Скачать книгу

wirklich eine Raubkralle ist, dann werde ich sie finden und erlegen.«

      Nedeam dachte an die tote Raubkralle, die er im Vorjahr gesehen hatte, als

      ein Beritt des Pferdefürsten vorbeigekommen war. Es war ein schlankes und

      schönes Tier gewesen, etwa groß wie ein Wolltier, doch mit tödlichen Krallen und einem mörderischen Gebiss mit langen Reißzähnen ausgestattet. Es hatte

      ein goldgelbes und unglaublich weiches Fell besessen. Schon eine einzelne

      Raubkralle war nicht zu unterschätzen, doch meist lebten und jagten sie in

      einem Rudel von drei oder vier Tieren.

      Balwin spürte die Besorgnis der anderen und lächelte aufmunternd. »Ich

      habe einen guten Bogen und scharfe Pfeile. Außerdem einen starken Arm und

      eine scharfe Klinge. Es wird schon gut gehen.«

      »Jedenfalls solltest du nicht allein gehen«, sagte Meowyn besorgt. »Wenn

      es mehrere sind, wirst du rasch in Bedrängnis kommen. Du weißt, dass sie

      angreifen, wenn sie sich bedroht fühlen oder hungrig sind.«

      Nedeams Vater zuckte die Schultern und strich sich durch den dichten

      Bart. »Keine Sorge, Weib, ich werde auf mich achten.« Er sah sie an und

      nickte dann. »Das werde ich wirklich.« Plötzlich lachte Balwin dröhnend auf

      und schlug vergnügt mit der Faust auf den Tisch. »Was rede ich da von

      Raubkrallen, wo doch heute noch etwas viel Gefährlicheres geschieht? Unser

      Sohn geht allein in die Stadt, das nenne ich Gefahr.« Er schlug Nedeam

      erneut auf die Schulter. »Ah, er wird stumpfe Klingen zu überteuerten Preisen

      kaufen«, knurrte er und zwinkerte Nedeam dabei zu. »Er wird nur auf Unsinn

      achten und statt guter Messer wertlose Süßwurzeln erstehen, nicht wahr?«

      Nedeam sah das besorgte Gesicht seiner Mutter und nickte mechanisch.

      Für einen Moment aßen sie schweigend, bis Balwin seine Schüssel von

      sich schob und Meowyn auffordernd ansah. »Ich denke, es ist an der Zeit.

      Nedeam, du gehst Stirnfleck satteln, das ist deine Aufgabe, deine Mutter wird

      dir währenddessen etwas Ordentliches zu essen einpacken.« Und zu Meowyn

      gewandt: »Gib ihm etwas von dem getrockneten Pferdefleisch mit, es ist

      haltbar und nahrhaft. Ich werde inzwischen die Felle und die Wolle holen.«

      »Und die alte Klinge«, erinnerte ihn Nedeam.

      Balwin nickte. »Und die alte Klinge, junger Herdenhüter.«

      Nedeam folgte ihm nach draußen, während Meowyn den Reiseproviant

      packte: Brot, Wolltierkäse und getrocknetes und leicht gesalzenes

      Pferdefleisch. Im Land der Pferdelords gehörte Pferdefleisch zu den

      Grundnahrungsmitteln, aber kein Pferdelord verzehrte jemals das Fleisch des

      eigenen Pferdes. Verstarb ein Tier, so schenkte man das Fleisch dem

      Nachbarn.

      Ein Stück vom Haus entfernt befand sich die kleine Koppel, in der die

      Pferde der Familie standen und in deren einer Ecke ein offenes Mauergeviert

      errichtet worden war, das mit Grassoden und Steinen abgedeckt war. Wurde

      die Witterung im Winter zu stürmisch oder aber setzten die schweren

      Regenstürme ein, die gelegentlich mit Eiskörnern versetzt waren, zogen sich

      die Pferde dorthin zurück. Selbst die Tiere in den Tälern suchten dann Schutz

      zwischen den Felsen. Doch die Pferde der Hochmark waren bekannt dafür,

      dass sie ungewöhnlich zäh und robust waren. Und sie waren Kämpfer, denn

      die Männer der Hochmark trainierten ihre Reittiere für den Kampf. Ihr Huf

      und ihr Gebiss konnten ebenso tödlich sein wie Pfeil, Lanze oder die blanke

      Klinge.

      Nedeam trat in die Koppel, sprach mit den Pferden, die ihn freudig

      begrüßten und ihre Köpfe an ihm rieben. Doch an diesem Tag interessierte

      ihn nur ein einziges Pferd: Stirnfleck. Der große braune Hengst hatte einen

      lang gezogenen weißen Fleck an seiner Stirn und war das stärkste ihrer

      Reittiere. Normalerweise wurde er nur von Balwin geritten, und so war dieser

      Tag für Nedeam in doppelter Hinsicht außergewöhnlich, würde er doch nicht

      nur allein nach Eternas reiten, sondern auch noch auf dem Hengst seines

      Vaters. Der Hengst tänzelte aufgeregt, als er begriff, dass er nun bald aus der

      beengenden Koppel herauskommen würde. Stirnfleck liebte lange Ausritte,

      und als ihm Nedeam Satteldecke und Sattel auflegte, verharrte der Hengst

      bereitwillig. Nedeam zog den Sattelgurt straff und sah dabei wehmütig auf

      den leeren Lanzenschuh am rechten Steigbügel und die leere Halterung für

      den Schildriemen. Noch vier lange Jahre würde es dauern, bis er endlich als

      Kämpfer geschult werden und den Umhang des Pferdelords erhalten würde.

      Vier Jahreswenden!

      Nedeam seufzte leise und legte Stirnfleck das Zaumzeug an. Der Hengst

      schnaubte leise, als er die großen Tragetaschen über die Kruppe aufgelegt

      bekam, denn er mochte die Beengung durch diese Lastbehälter nicht. Zuletzt

      befestigte Nedeam die großen Ledertaschen noch am Riemen des Sattels,

      sodass sie nicht verrutschen konnten. Dann nahm er Stirnfleck am Zügel und

      führte ihn aus der Koppel.

      Balwin trat gerade aus dem kleinen Anbau des Hauses und trug gegerbte

      Häute und Felle sowie Nedeams Jagdbogen über dem Arm. Sorgfältig schob

      er Felle und Häute in die Tragetaschen und band den Bogen zusammen mit

      einem Pfeilköcher am Sattel fest. »Biete dem Eisenschmied erst die zweite

      Wahl an«, sagte Balwin. »Seine Augen sind nicht mehr besonders, und er

      wird ohnehin versuchen, dich zu übervorteilen. Achte auf rostige Stellen an

      den Klingen, die er dir bietet. Kratze den Rost sorgfältig ab. Manche sagen,

      Guntram biete Klingen an, die beschädigt seien, und überdecke die

      Bruchstellen mit Schmutz.« Balwin lächelte. »Ich glaube nicht, dass Guntram

      wirklich solch ein Gauner ist, aber er ist immerhin Eisenschmied und ein

      elender Feilscher.«

      Balwin sah Meowyn mit dem Proviantsack aus dem Haus treten. »Und lass

      deiner Mutter etwas von der Süßwurzel übrig, mein Sohn. Das wird sie

      freuen.«

Скачать книгу