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waren nur wenige Menschen zu sehen, denn die Ernte erforderte alle Hände.

      Hemjalis musste viele neue Bewohner angelockt haben, denn Hendel erkannte keinen von ihnen. Das irritierte ihn nun doch ein wenig. Wo war der alte Grent, der immer im Schaukelstuhl vor seinem Haus saß? Der Alte war noch rüstig. Sollte er inzwischen doch gestorben sein? Hendel hätte das bedauert, denn als er und Halpert noch klein gewesen waren, hatte Grent ihnen immer Geschichten erzählt.

      Die Häuser waren klein und aus Steinziegeln gebaut. Hendel konnte sich noch an seine Jugend erinnern, als man die Steine im Uma´Roll gebrochen und mühsam in die richtige Form gebracht hatte. Die Häuser aus dem reichlich vorhandenen Holz zu errichten, wäre einfacher gewesen, doch der Stein widerstand Holzkäfern und Stürmen wesentlich besser. Alle Wände wurden weiß gestrichen, wie es im Königreich üblich war. An einigen blätterte der Putz ab, und es gab sogar ein paar kleine Risse. Das große Beben war auch an Hemjalis nicht spurlos vorübergegangen.

      Hendel stutzte.

      Man hatte das Haus des Dorfhändlers umgebaut. Es war nun nur noch der Anbau eines ungleich größeren Gebäudes, welches einer Lagerhalle ähnelte. Es gab ein breites Eingangsportal, zu dem zwei Stufen hinaufführten. In die beiden Flügel des hölzernen Portals waren zwei Zeichen eingearbeitet. Jedes von ihnen zeigte ein Kreuz, welches entfernt einem Schwert ähnelte und dessen stumpfe Spitze zum Boden zeigte.

      War ein neuer Händler nach Hemjalis gekommen und war dies das Zeichen seines Handelshauses?

      Hendel nahm sich vor, seinen Bruder danach zu fragen.

      Doch das hatte Zeit. Sie würden sich viele Neuigkeiten zu erzählen haben.

      Am Ende der Straße sah er die vertrauten Umrisse der Schmiede.

      Hier waren er und Halpert aufgewachsen. Hier hatten sie das Schmiedehandwerk von ihrem Vater erlernt.

      Das steinerne Gebäude hatte einen großzügigen Vorbau, der von hölzernen Balken gestützt wurde. Im unteren Bereich trugen sie Brandspuren, und Hendel lächelte unwillkürlich. Er konnte sich gut daran erinnern, wie oft er und Halpert glühende Eisen in das Holz gepresst hatten, bis ihr Vater sie, halb erzürnt und halb belustigt, davonjagte. Der untere Teil des Vordachs war von Ruß geschwärzt. Halpert würde die Esse mit Holzkohle heizen. Der rauchlose Brennstein, der in den Städten die Dampfmaschinen antrieb, war ihm sicherlich zu teuer.

      Die vordere Seite der Schmiede war offen und man konnte in sie hineinsehen. Hendel erkannte die alte Esse, den mächtigen Amboss und das Becken, in dem die glühenden Metalle in Wasser oder Öl abgekühlt wurden.

      Der Goldschmied glitt erleichtert aus dem Sattel und seufzte, während er sich streckte. Er schlang die Zügel des Pferdes durch einen Haltering und trat in den Schatten, den der Vorbau warf.

      „Halpert?“, rief er in die Schmiede hinein.

      Sie war nur mäßig vom Tageslicht erleuchtet. Hendel bemerkte, dass die Esse erkaltet war. Jetzt, zur Erntezeit, war das ungewöhnlich. Da gab es immer Bedarf an neuen Kappklingen oder daran, die alten zu schärfen.

      „Halpert?“

      Er bemerkte Bewegung im Halbdunkel. Überrascht sah er eine Frau, die näher trat und ihre Hände an einer Schürze abwischte. Sie war ein sehr ansehnliches Weib, wie er sofort registrierte. Alles genau da, wo es einen Mann begeistern musste.

      „Ihr sucht meinen Mann, guter Herr?“, fragte sie freundlich. Die Stimme hatte einen sanften und zugleich lockenden Klang.

      „Euren Mann?“ Hendel ächzte überrascht. Wie war sein Bruder nur an dieses Prachtweib gekommen? „Nun, äh, ja, ich suche Halpert. Wer, äh, seid Ihr, gute Frau?“

      „Ich bin Halperts Weib, Inrunavga. Wartet hier. Ich werde ihn sogleich holen.“

      Sie wandte sich ab und zeigte dabei jenen Hüftschwung, der in Hendel sofort Neid auf das Glück des Bruders hervorrief. Die Schöne hatte nicht nach dem Grund seines Besuches gefragt. Scheinbar war sie kein besonders neugieriges Weib, was Hendel eher ungewöhnlich fand. Andererseits war es ihm nur recht. So konnte er seinen Bruder besser überraschen, und der würde sicher große Augen machen, wenn Hendel so unvermutet vor ihm stand.

      Die schöne Frau kam in Begleitung eines Mannes zurück, der die Lederschürze eines Schmiedes trug. Er war kräftig, wie man es von einem Mann dieses Handwerks erwartete, und hatte ein freundliches Gesicht, doch er war sicherlich nicht Halpert.

      „Ich bin Halpert“, sagte der Fremde. „Ihr wolltet zu mir? Braucht Euer Pferd einen neuen Beschlag?“

      Hendel starrte den Mann mit offenem Mund an, bevor er sich fing.

      „Ihr … Ihr seid nicht Halpert“, stammelte er schließlich.

      Der Schmied grinste. „Ich werde wohl wissen, wer ich bin, guter Herr.“

      „Jedenfalls seid Ihr nicht Halpert. Das werde ich wohl weit besser wissen“, sagte Hendel erregt. „Ich bin sein Bruder und kenne ihn von Kindesbeinen.“

      Das Gesicht des Mannes verzog sich zu einem schiefen Lächeln. „Dann seid Ihr Hendel?“

      „Selbstverständlich bin ich das.“ Hendel wurde ärgerlich. Welchen Spaß erlaubte man sich hier mit ihm? „Ich bin den weiten Weg von Alneris hierhergekommen, um meinen Bruder zu besuchen. Ihr seid nicht mein Bruder. Was, bei den Finsteren Abgründen, geht hier vor?“

      Der Mann sah ihn nachdenklich an. „Von Alneris? Ja, das ist wahrhaftig ein weiter Weg. Es wäre besser für Euch gewesen, ihn nicht zu gehen.“

      „Was, verdammt, soll das heißen?“ Hendel beschlich plötzlich ein ungutes Gefühl.

      Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück und zuckte zusammen, als er ein leises Räuspern hinter sich hörte. Erschrocken fuhr er herum und sah die schöne Frau, die eine Kappklinge in den Händen hielt.

      „Was … Was hat das zu bedeuten?“, keuchte er.

      „Dass wir Euch den Rückweg ersparen“, antwortete sie mit sanfter Stimme.

      Die Kappklinge zuckte so schnell herum, dass Hendel zu keiner Bewegung kam.

      Für einen Moment schien die Schmiede um ihn zu kreisen, bis sein Kopf auf dem Boden aufschlug und seine Augen für immer erstarrten.

      Kapitel 4

      Einst hatte das Pferdevolk weit im Westen in der Nähe der Küste gelebt. Seine Stämme wohnten in runden Wehrdörfern, den Weilern, und machten sich gegenseitig das Leben schwer, denn ein Kämpfer konnte sich nur bewähren, wenn er die Pferde eines anderen Clans raubte. Dann veränderte sich das Land. Der Sand bedeckte die fruchtbaren Grasebenen und ausgedehnten Wälder, und mit dem Sand kamen die Barbaren. Der erste König einte die zerstrittenen Stämme des Pferdevolks unter seinem Banner, doch es war zu spät, um die Krieger der Sandclans zu besiegen. Das Pferdevolk musste seine Heimat verlassen und floh nach Osten, wo es das verlassene Land der Zwerge übernahm. Es überlebte den Krieg gegen den Schwarzen Lord, und als das Schlachten ein Ende hatte, stand es in Waffenbruderschaft mit dem Königreich von Alnoa.

      Aus den alten Clans entstanden die Marken, die von ihren jeweiligen Pferdefürsten regiert wurden und dem König verpflichtet waren. Die militärische Macht des Pferdevolkes basierte auf seinen Pferdelords. Männern, die der Treueid zum Waffendienst rief und die mit Stolz den grünen Umhang der Kämpfer trugen, wenn das Horn sie zur Schlacht rief.

      Vor vielen Jahren war es aus Eifersucht zum Zwist zwischen dem damaligen König des Pferdevolkes und dessen Bruder Garodem gekommen. Um Blutvergießen zu verhindern, war Pferdefürst Garodem mit jenen, die ihm zu folgen bereit waren, in das Gebirge von Noren-Brak gezogen. Hier, im Schutz mächtiger Berge, hatte er eine Reihe fruchtbarer Täler gefunden und die Hochmark des Pferdevolkes gegründet. Im größten Tal waren die Stadt und die Festung Eternas entstanden, umringt von ertragreichen Feldern. Kleine Siedlungen, die Weiler, standen in den anderen Tälern. Auf Familiengehöften wurden Schafe

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