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das Grab ausgehoben war, trugen sie den Toten hinüber, legten ihn sacht

      hinein und hüllten ihn in seinen Umhang. Sorgsam legte Kormund die

      schlaffe Hand an den Griff von Lektwins Waffe und bedeckte die Brust mit

      dem Schild des Toten. Schluchzend stand Anmalyn an Kormunds Seite, als

      die Erde ihren Mann bedeckte.

      Kormund räusperte sich. »So ruht hier nun Lektwin, des Harnats Sohn und

      Gefährte von Anmalyn. Er war ihr ein guter Mann und ein wahrer Pferdelord,

      der in viele Schlachten geritten ist und dem grünen Umhang zur Ehre

      gereichte.«

      Kormund räusperte sich erneut, um dann den Eid der Pferdelords zu

      sprechen. »In des Lebens Wonne und des Todes Not, soll Eile sein stets das

      Gebot, in Treue fest dem Pferdevolk, der Hufschlag meines Rosses grollt, soll

      Lanze bersten, Schild zersplittern, so wird mein Mut doch nie erzittern, ich

      stehe fest in jeder Not, mit schnellem Ritt und scharfem Tod.«

      Anmalyns Knie gaben nach, doch Kormund umfing die Witwe sanft und

      hielt sie aufrecht. »So lasst uns nun den Toten ehrenvoll zu den Goldenen

      Wolken geleiten.«

      Die Schwertmänner der kleinen Schar zogen ihre Klingen und schlugen sie

      in langsamem Rhythmus an ihre Rundschilde. Der Takt wurde schneller und

      glich schon bald dem Hufschlag galoppierender Pferde, dann verstummte er

      unvermittelt mit einem letzten Schlag.

      Schweigen senkte sich über das Grab, nur Anmalyns leises Schluchzen war

      zu hören. Kormund sah die Männer an. »Sie kann hier nicht allein

      zurückbleiben, wir werden sie mit nach Eternas nehmen. Der Pferdefürst wird

      für sie sorgen.«

      Einer der anderen schüttelte den Kopf. »Besser zu einem der Weiler, guter

      Herr Kormund. Sie würde sich in der Stadt nicht wohlfühlen.«

      Hatmerlemin kratzte sich am Nacken. »Es ist nur so ein Gedanke, Ihr

      guten Herren, aber warum fragen wir nicht den guten Herrn Timmin? Auf

      einem Gehöft würde sie sich in ihren alten Tagen wohler fühlen, und sie hätte

      sicher nichts dagegen, wenn er ihre Schafe hütet.«

      Kormund sah den Reiter überrascht an. »Ihr habt recht, Hatmerlemin. So

      mag sich im Unglück noch etwas Glück finden lassen.«

      Nachdem auch Anmalyn den Vorschlag freudig angenommen hatte,

      geleiteten sie die Witwe mit ihrer Habe und den Schafen zum Gehöft des

      Herrn Timmin, dessen Familie die Nachbarin bereitwillig in ihrem Heim

      aufnahm. Das Pferdevolk kümmerte sich um die seinen, und sicher würde

      bald auch eine neue Familie das verwaiste Gehöft Lektwins zur Heimstatt

      nehmen.

      Als der Streiftrupp schließlich seinen Weg fortsetzte, musste Kormund

      immer wieder an die alte Witwe denken. Mann und Sohn waren in Ehren von

      ihr gegangen, aber konnte Ehre Trost für den Verlust eines geliebten

      Menschen sein? Kormund wusste es nicht. Manchmal war er froh, dass er

      kein Weib erwählt hatte, das um ihn weinen würde. Vielleicht würde niemand

      um ihn trauern, wenn er den letzten Ritt machte. Aber man sollte ihn auch

      nicht betrauern. Wenn er dereinst zu den Goldenen Wolken jagte, sollte das

      Pferdevolk Grund haben, seinen Ruhm zu besingen.

      Kormund wandte sich im Sattel um. »Auf, Ihr Herren, die Streife ist noch

      nicht beendet. Lasst uns eilen, denn bald ist die Wehrübung der Pferdelords,

      und dann wird es viel zu erzählen und zu besingen geben.«

      Hatmerlemin lachte fröhlich auf. »Und dazu reichlich Gerstensaft und

      Wein.«

      Kormund nickte. Im Augenblick empfand er allerdings keine große

      Freude.

      Kapitel 4

      Merdonan, die Hauptstadt der Ostmark des Pferdevolkes, war in vielerlei

      Hinsicht ein ungewöhnlicher Ort. Sie war aus dem Zusammenschluss

      einzelner Gehöfte hervorgegangen, jedoch wegen der Nähe zum Ostgebirge

      gleich als befestigter Grenzweiler angelegt worden. Damals hatte eine

      hölzerne Palisade die Gebäude umgeben. Doch sehr schnell war der Weiler zu

      einer Stadt herangewachsen, die man, ganz ungewöhnlich für eine Stadt der

      Pferdelords, nicht mit einer hölzernen Befestigung umbaut hatte, sondern mit

      einer Stadtmauer aus Stein. Diese war vier Längen hoch und von einem

      überdachten Wehrgang umgeben. In regelmäßigen Abständen waren

      Plattformen angelegt, auf denen kleine Katapulte standen, und breite

      Aufgänge führten zur Mauerkrone hinauf. Lediglich das Haupttor im Westen

      war von zwei massigen Wehrtürmen flankiert.

      Die Mauer hatte den Vorteil, dass sie bei einem Angriff Schutz bot, und

      zugleich den Nachteil, dass sie nur schützte, was von ihr umschlossen wurde.

      Da in Merdonan über dreitausend Menschen lebten, war die Stadt trotz ihrer

      Ausdehnung eng bebaut, denn jeder Bürger wollte innerhalb des Walls

      wohnen. Die Häuser waren schmal und bis zu drei Ebenen hoch, und die

      Gassen zwischen ihnen waren eng. Nur die breite Hauptstraße, die vom

      Stadttor zum Zentrum und weiter bis zum Großen Turm an der Ostmauer

      führte, machte hierin eine Ausnahme.

      Die hohe Bevölkerungsdichte Merdonans machte die Stadt auch

      verwundbar, denn derart viele Menschen brauchten auch viel Wasser und

      Nahrung. Die Wasserversorgung war unproblematisch, denn in der Nähe zum

      Sumpfland war der Grundwasserspiegel niedrig, und es war ebenso leicht,

      einen Brunnen zu graben, wie es schwierig war, ein stabiles Fundament im

      Boden zu errichten. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln erfolgte hingegen

      durch die Gehöfte im Umland der Stadt. Die Ostmark bot guten Weidegrund

      und Ackerboden, und es gab große Herden von Hornvieh und Schafen sowie

      ausgedehnte Getreidefelder. Im Zentrum der Stadt befand sich der

      Versammlungsplatz, auf dem der Markt abgehalten wurde, und wenn man der

      breiten Straße weiter folgte, erreichte

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