Скачать книгу

sehr ich mich auch bemühe, ich fühle mich lediglich benommen, außerdem schmerzt mein Kopf.

      Ich möchte den Arm heben, aber er ist taub, als hätte ich lange darauf gelegen. Ich hebe noch einmal den Kopf an. Mein rechter Arm hängt ein Stück weit über die Bettkante, das weiße Fleisch, das unter dem Laken hervorlugt, hebt sich farblich kaum von diesem ab. In meiner Armbeuge steckt etwas. Ein Schreck durchfährt mich. Es ist eine Kanüle, die mit Pflastern befestigt ist. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie mir etwas in die Vene gespritzt haben.

      Ich möchte schreien, aber kein Laut entweicht meiner Kehle. Mein Mund verzieht sich nur, sodass meine rauen Lippen aufspringen und sich der metallische Geschmack von Blut auf meiner Zunge ausbreitet. Ich zwinge mich, den Kopf auf die andere Seite zu drehen. Nur unter Aufbringung all meiner Kraft gelingt es mir, meinen linken Arm unter der Decke hervorzuwühlen. Der Ärmel meines schwarzen Anzuges ist aufgekrempelt. Meine Haut ist ebenmäßig weiß und glatt. Keine Spur von einem schwarzen Mal. Doch das tröstet mich keineswegs. Vielleicht bekommt man es erst später. Ich weiß nicht, wie lange der Prozess der Verwandlung dauert.

      In diesem Moment höre ich hinter mir etwas surren, ein Lufthauch streicht über meine Kopfhaut. Dann Schritte. Zwei. Drei. Im nächsten Moment verdunkelt etwas neben mir das Licht der grellen Neonröhren an der Decke. Ich hebe den Blick. Es ist ein fremder Mann. Er trägt ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose, aber keinen Einheitsanzug. Seine Stirn ist hoch, auf seinem Kopf glänzen kahle Stellen. Seine kurzen dunklen Haare sind von grauen Strähnen durchzogen. Um seine Augen herum ziehen sich Falten, sein Mund ist klein und zusammengepresst. Ist er einer der Obersten? Er ist älter als dreißig, so viel ist sicher. Einen kurzen Moment lang durchströmt mich Erleichterung. Die Geschichten über die frühe Sterblichkeit der V23er sind vielleicht gar nicht wahr.

      Er setzt sich ans Fußende meiner Liege. Lange sehen wir uns nur in die Augen. Er strahlt eine natürliche Autorität aus, eine Strenge, die mich verunsichert. Was erwartet er von mir? Sollte ich etwas sagen?

      »Wie geht es dir?«, fragt er mich schließlich. In der völligen Stille wirkt seine dunkle feste Stimme wie Donnergrollen.

      Ich stutze ob seiner Frage. Niemand in der Zentrale hat mich bislang nach meinem Befinden gefragt. Ich rufe mir seinen Tonfall in Erinnerung. Habe ich ehrliches Interesse herausgehört? Oder war er genauso kalt und nüchtern gewesen wie bei allen anderen Obersten?

      Er sieht mich weiterhin durchdringend an. Ich sollte etwas sagen, damit er mich nicht für schwachsinnig hält.

      »Ich habe Kopfschmerzen.« Meine Stimme ist brüchig und leise. Ich erschrecke mich davor. Im nächsten Moment schäme ich mich für meine dumme Antwort. Ich jammere wie ein Kind! Weshalb sollte es ihn interessieren, ob ich Kopfschmerzen habe?

      »Du wirst wieder auf die Beine kommen.« Der Anflug eines Lächelns, aber es wirkt wie Balsam. Hier lächelt sonst keiner. »Du hast es meinen Laboranten ganz schön schwer gemacht.«

      Ein Schwall heißen Blutes steigt mir in den Kopf. Ich ärgere mich darüber. Ich sollte mich nicht dafür schämen. Es ist mein gutes Recht, über mein Leben zu bestimmen.

      »Was möchten Sie von mir?«, frage ich geradeheraus.

      »Mir das Mädchen ansehen, das so vollkommen anders auf das Serum reagiert hat als alle anderen.«

      Weshalb? Wie haben denn die anderen reagiert? Die Frage liegt mir auf der Zunge, aber ich verkneife sie mir.

      »Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen«, sagt der Fremde, der mir gleichermaßen freundlich wie unnahbar und autoritär vorkommt. »Mein Name ist Chris Hampton, Captain der Zentrale. Ich denke nicht, dass du schon einmal von mir gehört hast.«

      Ich bin verwirrt. Ich erinnere mich an seinen Namen, aber mehr auch nicht. Ich wusste nicht, wer er ist und dass die Zentrale überhaupt einen Captain hat. Sicherlich ist er eine wichtige Person. Weshalb interessiert er sich für mich? Und weshalb ist er anders als die anderen V23er?

      Er scheint mir meine Gedanken im Gesicht abzulesen. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin lediglich hier, um mir das Phänomen mit eigenen Augen anzusehen.«

      Ich hebe die Augenbrauen, sage aber nichts. Mein Blick wandert zu meinem Arm, der noch immer unter der Decke hervorlugt. Ich starre auf die Kanüle.

      »Hat man mir ...?« Ich kann nicht weitersprechen, weil meine Stimme bricht.

      »Ja, du hast das Serum von uns erhalten. Wie du weißt, ist es ein großes Privileg.«

      Mein Herz klopft wie wild, gleichzeitig kämpfe ich mit den Tränen. Tränen der Wut. Ich hasse mich selbst, weil ich mein ganzes Leben lang daraufhin gearbeitet habe, diesen Alptraum zu erleben. Ein Leben in einer Lüge.

      Sollte ich Mr. Hampton darauf ansprechen, dass ich kein Mal am linken Arm habe? Nein, das weiß er sicherlich längst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er jeden verwandelten Rekruten an seinem Krankenbett besucht. Es muss etwas passiert sein, dass anders verlaufen ist als bei anderen. Mir brennt die Frage unter den Nägeln, ob Mr. Hampton selbst ein Mal hat, aber ich traue mich nicht, sie zu stellen. Wäre doch nur Cade hier, vielleicht könnte er mir weiterhelfen. Der Gedanke an ihn erschüttert mich noch mehr. Jetzt muss ich wirklich hart dagegen ankämpfen, keine Träne zu vergießen.

      »Hat man dir schon mitgeteilt, in welchem Arbeitsbereich man dich einsetzen wird?«, fragt er mich.

      Ich krame kurz in meinem Gedächtnis. »Ja. In der Wäscherei.«

      Mr. Hampton nickt. »Eine typische Anfängeraufgabe. Wie stehst du dazu?«

      Ich komme mir seltsam ertappt vor. Wie bei einem Verhör, bei dem ich genau weiß, dass ich schuldig bin. Hoffentlich bemerkt er nicht, wie sehr ich schwitze. Was möchte er von mir hören? Während ich in seine grauen Augen blicke, fasse ich einen Entschluss. Ich sollte mich nicht mehr wehrhaft zeigen. Wie wenig Sinn das macht, habe ich am eigenen Leib gespürt. Nein, ich sollte das Spiel mitspielen und stattdessen auf eine passende Gelegenheit lauern, um dem Irrsinn zu entfliehen.

      Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Ich freue mich auf meine Karriere als Mitglied des Volkes V23. Ich möchte meine Aufgaben gewissenhaft erfüllen.«

      Herrje, wie dämlich sich das anhört! Das glaubt er mir doch nie im Leben.

      »Schön, dass du dich dazu entschlossen hast. Ich hatte schon befürchtet, du könntest wieder toben und mich anspringen. 75-2 hat mich bereits darauf vorbereitet, wie wehrhaft du bist. Für gewöhnlich verhalten sich unsere Rekruten ein wenig anders.« Er sieht mich eindringlich an, als wollte er hinter meinen Augen ergründen, was in meinem Gehirn vorgeht. Ein Glück, dass er meine Gedanken nicht lesen kann. Was meint er mit anders?

      Ich denke an Neal. Auch er hat sich verändert. Ihm scheint alles egal geworden zu sein. Ich erinnere mich daran, wie tief der Schock saß, als ich erfuhr, dass er Cade und mich verraten hat. Das hätte er niemals getan, wenn er Herr seiner selbst gewesen wäre. Neal hat die Obersten immer heimlich verachtet. Er hätte nicht mit ihnen zusammen gearbeitet. Meine Wut auf ihn schmilzt bei dieser Erkenntnis dahin. Wenn die Verwandlung beinhaltet, dass man zur Marionette der Führungsetage wird, sollte klar sein, was von mir erwartet wird. Hat man mir nicht deutlich zu verstehen gegeben, dass die Obersten nicht zögern, unliebsame Quertreiber zu töten?

      Ich schlucke. »Ich entschuldige mich für mein dummes Verhalten.«

      Mr. Hampton nickt. »Zu diesem Zeitpunkt hast du es noch nicht besser wissen können. Es sei dir verziehen.« Sein Blick wandert zur Kanüle in meinem Arm. »Ich werde gleich jemanden rufen lassen, der sie entfernt. Danach kannst du auf dein Zimmer gehen, etwas essen und dich ausruhen. Morgen trittst du deine Arbeit in der Wäscherei an.«

      Ich wage nicht, einen Kommentar dazu abzugeben, sondern nicke nur dankbar, als hätte er mir ein Geschenk gemacht. »Neal... 46-19... ist nach seiner Erstuntersuchung nicht rekrutiert worden. Bleibt er dennoch in der Zentrale?« Ich gebe mir Mühe, gleichgültig zu klingen. Er soll nicht merken, dass Neal mir etwas bedeutet.

      »Ja, das wird er. Nur, weil er nicht erwählt wurde, heißt es nicht, dass er gänzlich untauglich

Скачать книгу