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Schneeflocken, die mir die Sicht blockieren. Ich breite die Arme aus und lasse dieses Gefühl hinaus, lasse es durch meine Fingerspitzen in die Luft gleiten und gebe es frei.

      Ein Freudenschrei von Roberta und ein staunendes „Wow“ von Fletcher, lassen mich die Augen aufreißen.

      Zu meinem großen Erstaunen sehe ich, wie die Oberfläche des Sees gefriert. Es beginnt am Ufer und breitet sich krachend bis zur Mitte des Sees aus. Aber das ist nicht das einzige Wunder: Vom Himmel fallen hunderte Schneeflocken, dann tausende, und nun Millionen von ihnen. Sie landen tänzelnd auf dem Eis und legen sich dort nieder. Auch am Ufer fällt Schnee und als ich zu Chris´ Haus herüber sehe, ist schon das Dach weiß.

      Strahlend übers ganze Gesicht drehe ich mich um und blicke in die freudig erstaunten Gesichter von Fletcher und Roberta. Fletcher beginnt zu jubeln, als hätte seine Lieblingsfußballmannschaft ein Tor geschossen, während Roberta ihren Stock in die Armbeuge klemmt und mir applaudiert.

      Ich lege den Kopf in den Nacken, breite die Arme aus und lasse die Schneeflocken auf meinem Gesicht landen, während ein noch nie dagewesenes Glücksgefühl mich durchströmt.

      Kapitel 11

      Nachdem sich das Glücksgefühl wieder gelegt hat, fühle ich mich schlapp und matt. Roberta erklärt, dass dies ganz normal sei, da mein Körper sich erst an die Magie gewöhnen muss und ich gerade einen Zauber der Königsdisziplin vollführt habe. Sie und Fletcher sind sich einig, dass es für heute genug war.

      „Wir sehen uns morgen wieder. Ich werde hier sein, wenn du den Pilzkreis auf Fletchers Lichtung betrittst“, sagt Roberta und schnippst mit den Fingern. Mit einem leisen Windhauch ist sie verschwunden.

      „Werde ich das auch irgendwann können?“, frage ich und blicke erstaunt auf die Stelle, an der sie vor einer Sekunde noch stand.

      „Vermutlich“, antwortet Fletcher und kommt an meine Seite. „Ich kann mich nicht mit einem Fingerschnippsen verschwinden lassen. Wahrscheinlich ist das auch so eine Königsdisziplin.“

      „Wo ist sie jetzt?“, will ich wissen und fahre mit den Händen durch die Luft.

      Fletcher zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

      Wir gehen zurück zu seiner Lichtung, und ich spüre, wie sich bleierne Müdigkeit über meine Glieder senkt. Der Rückweg wird beschwerlich und ich gähne mehrfach.

      „Das war wirklich ein bisschen viel für den ersten Versuch“, sagt Fletcher und verlangsamt seine Schritte, damit ich nicht allzu weit zurückfalle.

      „Ja, vielleicht. Aber ich muss so viele Weiße-Magie-Punkte sammeln wie möglich, bevor ich zum schwarzen König gehe“, murmle ich müde und gähne erneut. „Damit beim nächsten Vollmond die weiße Seite gewinnt. Was denkst du, wie viele Punkte hat mir das Einfrieren des Sees gebracht?“

      Fletcher lacht kurz auf und zuckt mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung, aber ich würde sagen, dass dein Glas mit den weißen Spielsteinen jetzt voller ist, als das mit den schwarzen Spielsteinen.“

      „Wirklich? Habe ich durch diesen Eiszauber die dunklen Zauber wieder wettgemacht?“

      „Sicherlich.“

      Zufrieden, aber erschöpft und schweigend gehen wir den Rest des Weges, bis ich mich endlich in Fletchers alten Mercedes plumpsen lassen kann und er mich zu Chris´ Haus fährt.

      Wir verabreden uns für den nächsten Tag und verabschieden uns.

      Ich hole den Haustürschlüssel aus der Tasche und stecke ihn ins Schloss. Chris scheint noch unterwegs zu sein, da mein Wagen nicht auf der Einfahrt steht. Ein wenig unbehaglich öffne ich die Tür, wobei ich mich wie ein Eindringling fühle.

      Zwei Meter hinter der Tür steht meine Tasche. Chris hat sie offenbar aus meinem Auto genommen, bevor er damit zu Elvira gefahren ist. Obenauf liegt ein Zettel.

      „Fühle dich wie Zuhause! Du bist meine Gefährtin, Mein ist Dein! Bis später. Chris“, lese ich vor und drücke mir danach den Zettel auf die warme Stelle an meinem Brustbein. Noch nie hat ein Mann mich so willkommen geheißen wie er, noch nie habe ich nach so kurzer Zeit so stark für jemandem empfunden. Ein herzliches Seufzen dringt aus meiner Kehle. Ich hebe meine Tasche an und gehe damit an dem großen Kamin vorbei in Richtung Küche. Meine Sachen lege ich auf einem der Barhocker vor der Kücheninsel ab und steuere auf die Luxus-Kaffeemaschine zu. Ihr Display begrüßt mich freundlich und zeigt mir vier Wahlmöglichkeiten für heiße Getränke auf: Cappuccino, Espresso, Latte Macchiatto und heiße Schokolade. Ich hole einen Becher, stelle ihn unter die Düse und drücke den Knopf neben den verheißungsvollen Worten „Heiße Schokolade“. Sobald ich ihn betätigt habe, beginnt die Maschine zu brodeln und ihren eigenen Zauber zu wirken. Der herrliche Duft von süßer Milch und Schokolade kommt mir entgegen. Ich ziehe meinen Mantel aus und lege ihn auf den nächsten freien Barhocker, als ein leiser, klingelnder Piepton mir signalisiert, dass mein Kakao fertig ist. Es ist eine Wohltat für meine kalten Finger sie um die heiße Tasse schließen zu können. Mit dem Becher in der Hand gehe ich zur Glaswand und spähe durch die Tannen hindurch runter zum See. Lächelnd erblicke ich die weiße Schneedecke auf der gefrorenen Eisfläche, die durch meine Macht entstanden ist.

      Ich kann kaum glauben, wie sich mein Leben innerhalb weniger Tage verändert hat. Während ich meinen Kakao trinke und auf die winterliche Landschaft blicke, denke ich über meine Vergangenheit nach und wie sich nun, da ich scheinbar meine Bestimmung gefunden habe, alles fügt. Ich hatte bereits ein Dutzend verschiedener Jobs, doch nie war ich in einem glücklich. Von Bürokauffrau, über Tischlerin, bis hin zu Krankenschwester habe ich alles gemacht, doch nie fühlte ich mich dazu berufen. Ich habe meine beste Freundin Carmen immer beneidet, weil sie in ihrer Arbeit aufblüht und davon schwärmt, wie sie Meetings für ihren Chef vorbereitet, Anrufe zu ihm durchstellt oder seine Post sortiert. Sie liebt diesen Job (und ihren Chef), ich hingegen fühlte mich nie lange wohl an meinen Arbeitsplätzen. Doch jetzt ergibt all das einen Sinn! Obwohl ich noch nicht viel über die Parapsychologie oder die Magie weiß, fühle ich mich zu ihr hingezogen, ich bin neugierig und möchte alles darüber erfahren. So ging es mir bislang noch nie!

      Ich stelle meine leere Tasse in die Spüle, nehme meine Tasche und mache mich auf die Suche nach einem Badezimmer. Wenn man um den Kamin herumgeht, der majestätisch in der Mitte des Hauses thront, kommt man von der Küche zu einem Esszimmer und dann wieder zum Eingangsbereich, der ans Wohnzimmer grenzt. Hinter dem Esszimmer führt eine Treppe nach oben und davor befinden sich zwei Türen. Vorsichtig öffne ich die erste Tür und spähe in eine Art Arbeitszimmer hinein. Ich schließe die Tür wieder und versuche es mit der nächsten, doch dahinter verbirgt sich bloß ein Gäste-WC mit einem kleinen Waschbecken. Also gehe ich die massive Holztreppe empor, die in den ersten Stock führt. Oben komme ich in einem U-förmigen Flur an, an dessen Wände mehrere Türen sind. Ich blicke mich suchend um und entdecke ein gekritzeltes buntes Bild, welches an einer der Türen klebt. Als ich nähertrete, sehe ich, dass in schiefen und krummen Buchstaben der Name „Christobel“ darauf geschrieben steht, und ganz unten steht klein und krakelig „Riva“. Ich lächle in mich hinein, während ich das Bild der kleinen Künstlerin betrachte. Sie hat sich selbst und Chris gemalt, wobei Chris eher wie ein schiefer, hinkender Bär aussieht.

      Ich drücke die Klinke herunter und spähe in den Raum. Es ist ein ziemlich großes Schlafzimmer, mit einem übergroßen Bett an der einen Seite und einem Bücherregal, welches die gesamte gegenüberliegende Wand bedeckt auf der anderen Seite. Aufgrund des Bildes an der Tür und dem karierten Hemd, welches achtlos am Fußende des Bettes liegt, erkenne ich, dass es Chris´ Schlafzimmer ist. Einen kurzen Moment überlege ich, ob ich wirklich eintreten soll. Dann entscheide ich mich dafür und schließe die Tür hinter mir.

      Ich komme mir vor wie ein Spion, oder eine liebestrunkene Stalkerin, während ich mich in Chris´ privatestem Raum umblicke. Dann jedoch rufe ich mir in Erinnerung, dass er mir schon zweimal gesagt hat, ich solle mich hier wie zuhause fühlen, und dazu gehört nun einmal auch, sich umzusehen. Also lasse ich meine Bedenken fallen und sauge den männlich holzigen

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