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eklig. Vielleicht auch ein Floh, vielleicht auch von einem Hund, wer weiß.

      Jedenfalls gibt das mal wieder eine abendliche Waschzeremonie. Das ist das Einzige, was hilft, wenn man das Gefühl hat, es könnte ein Floh sein. Alles, aber auch alles auswaschen.

      Am nächsten Tag geht es ins Valle Deseado. Das Tal ist benannt nach dem Rio Deseado, der in den Anden entspringt und bei Perito Moreno in den Lago Buenos Aires fließt.

      Ein junger Mann aus der Stadt hat mir davon erzählt, als ich ihn frage, wo man hier wandern könne.

      Er erzählt, es sei eigentlich ein Tal der Tiere, was mich umso neugieriger macht. Es sei eine lange Wanderung, zunächst zu einer Lagune und dann durch die Berge über die Hügel.

      Vor der Lagune käme man durch den Tierfriedhof. Dort gehen die Tiere zum Sterben hin.

      Das klingt etwas unheimlich, aber das Wetter ist wundervoll und ich will mich unbedingt bewegen.

      Diese Natur zieht mich raus aus den Städten, aus den Häusern, aus den Kneipen, um sie zu begehen. Er fährt mich ein Stück aus der Stadt heraus und zeigt mir den Einstieg.

      Es ist ein weiter Weg, ich bin sechs Stunden unterwegs. Es ist wundervoll und ich treffe keinen Menschen. Nach einer Viertelstunde gibt es keine Stadt mehr, nur noch Weg, Hügel, Gras, Berge, Sonne und Ruhe. Ich fühle mich frei und atme tief durch. Ich gehe immer langsam und schaue nach allem, Pflanzen und Tiere.

      Wegen dieses langsamen Tempos finde ich selten Mitwanderer, weil sie immer alle viel schneller sind und wenn ich Begleitung möchte, muss ich eben schneller laufen, was mir wenig Spaß macht, weil ich das Ganze überhaupt nicht als irgendeine Art von Sport betrachte und immer eher schauen als laufen möchte.

      Wenn ich eile, sehe ich nämlich nichts mehr, dann höre ich auch nichts und rieche nichts.

      Auf der linken Seite des Weges liegt ein großes Gerippe, wahrscheinlich von einer Kuh, der Boden ist feucht, aber warm, hohes Gras und ein paar Büsche. Je mehr ich mich der Lagune nähere, desto sumpfiger wird es. Es ist absolut ruhig hier. Ich höre nur das Gezwitscher der Vögel. Dann bin ich fast über einen toten Vogel gestolpert. Wenig später höre ich ein leises Rascheln hinter einem Gebüsch, ich gehe näher, schrecke aber sogleich zurück, dort liegt ein Hund, er sieht müde zu mir auf. Offensichtlich habe ich ihn gestört. Ich ziehe mich zurück, ihn aber weiter beobachtend. Er ist in einem erbärmlichen Zustand, zu schwach zum Aufstehen und völlig abgemagert, er liegt im Sterben. Irgendwie bekomme ich Angst und gehe zum Weg zurück. Mein intensives Bedürfnis zu helfen, zu retten, muss ich zurückdrängen. Es wäre hier völlig unangemessen, denn offensichtlich hat der Hund sich hier einen Ort gewählt, außerhalb der Stadt, weg von den Menschen, einen paradiesischen Ort, zum Sterben.

      Also wie der Mann gesagt hat? Das Tal des Todes. Langsam gehe ich weiter und sehe noch ein paar Knochen und Skelette. Zufall ist das nicht. Ich weiß zwar inzwischen, dass man in Südamerika tote Tiere oder Skelette nicht wegräumt, nicht von der Straße und nicht von den Feldern. Der Tod ist viel normaler als bei uns und wird nicht so versteckt. Aber es ist mir doch etwas unheimlich. Ich werde dann sehr traurig. So viel Tod hier um mich herum und dann in dieser Traumlandschaft.

      Schwer auszuhalten, so dass ich mich gar für einen Moment frage, ob ein Umweltgift diese vielen Tiere hat sterben lassen. Das wäre für Südamerika nicht so ungewöhnlich.

      Aber Tiere ziehen sich zurück, wenn die Zeit des Sterbens gekommen ist, und wohl offensichtlich an diesen Ort hier. Warum – bleibt ihr Geheimnis, man kann nur spekulieren, jedenfalls werden sie hier sicher nicht gestört – normalerweise. Die Verbindung von Tod und so unglaublich schöner Natur hat mich auf dieser Reise noch viele Male beschäftigt.

      Je näher man einem Traum kommt, desto näher ist man auch dem Tod.

      Und so laufe ich weiter, fast meditativ in diese Gedanken versunken, bis ein Tier mitten auf dem Weg mich stoppen lässt.

      Ein Hund, denke ich, wie schön, da habe ich eine Begleitung jetzt, denn je länger ich gehe, mit diesen Gedanken beschäftigt, desto stärker wird der Schatten meiner Einsamkeit.

      Ich bin ja nun hier in der Ferne ganz allein und auf dieser Wanderung ebenfalls und in dem Moment merke ich, dass ich mal wieder auch mein Handy nicht dabei habe. Ich habe keine Beziehung zu diesem Gerät.

      Ich gehe näher, der Hund bleibt sitzen, bis ich erkenne, dass es ein Fuchs ist.

      Der beobachtet mich scharf, legt den Kopf zur Seite und denkt nicht daran, die Flucht zu ergreifen. Ich muss grinsen, ich mag ihn und fühle mich wie ein blöder Tourist und Eindringling in seinem Revier.

      In Zeitlupe krame ich meinen Fotoapparat aus der Tasche, frage ihn, ob ich ein Foto machen darf. Er lässt es zu und es entstehen mehrere ausgezeichnete Porträts.

      Sehr langsam und sehr stolz zieht er von dannen. Ich empfinde eine warme Freundschaft und gehe weiter.

      Dann erreiche ich die Lagune und beobachte wilde Pferde, die dort grasen, und viele verschiedene Vögel. Sie sind alle nicht scheu und ich kann gute Fotos machen.

      Nach vielen Stunden muss ich umkehren. Der Weg aber geht immer weiter. Wo er wohl endet?

      Auf dem Rückweg habe ich etwas Angst, an dem Ort des Sterbens wieder vorbeizukommen. Vielleicht ist der Hund schon tot. Ein paar Kaninchen kreuzen meinen Weg und an der Lagune sind jetzt Flamingos.

      Tiere gehen mit dem Tod ziemlich normal um. Sie ziehen sich zurück – auch ins Alleinsein –, weil man ja eben auch alleine geht. Vielleicht gar nicht so schlecht. Bei uns ist es gewünscht, wenn jemand da ist und die Hand hält. Das ist wegen unserer Angst. Aber werden wir nicht letztlich allein geboren und sterben allein?

      Die Tiere legen sich hin, schließen die Augen und warten dann aufs Sterben. So war es bei meiner Katze. Ob es den Tieren gut tut, dann noch gestreichelt zu werden oder gar in den Arm genommen zu werden, wie es meine Schwester mit ihrem Hund gemacht hat?

      Ich weiß das nicht. Vielleicht würde ich auch lieber allein sein in diesem Moment.

      Meistens fragt man ja aber nicht die Sterbenden, sondern die Lebenden meinen zu wissen, was für sie gut und richtig ist.

      Als ich aus diesem schrecklichen Hotel auschecke, will dieser Machomensch mir noch die Provision von booking.com draufschlagen. Ich muss erst sehr deutlich werden und ihm sagen, dass ich jetzt booking.com anrufe, bis er endlich Ruhe gibt. Und dass er die Provision zahlen muss und nicht ich.

      El Chalten

      Nach El Chalten muss ich dann doch einen Nachtbus nehmen. Um 23.35 Uhr soll er abfahren. Das tut er natürlich nicht und dann sitze ich nachts auf diesem kleinen Busbahnhof. Der Bus hat zwei Stunden Verspätung.

      Es ist bitterkalt. Zwei junge Argentinier sind auch hier gestrandet. Angst habe ich keine, im Gegenteil, wir drei unterhalten uns bestens. Die Toilettenfrau, die die ganze Nacht vor dem Klo sitzt – ich weiß gar nicht auf welche Gäste sie wartet oder warum sie hier ist –, macht uns einen Tee. Vielleicht hat sie einen gewalttätigen Mann daheim oder vielleicht hat sie auch gar kein Zuhause.

      Es kommt nur noch dieser eine Bus in der Nacht.

      Der eine Argentinier ist auch ein Tourist, ein Reisender im eigenen Land. Er will sein Land kennenlernen. Sein Rucksack ist klein und Geld hat er kaum, also fährt er immer nachts, um Hotelkosten zu sparen. Aber er ist sehr neugierig. Er kennt und weiß von seinem Land weniger als ich und sein Traum ist es, einmal durch Europa zu reisen, so wie die europäischen Backpacker durch Argentinien touren. Dieser Traum wird wohl nie in Erfüllung gehen, weil er einfach kein Geld hat.

      Wieder kommt mir in den Kopf, wie ungeheuer privilegiert wir doch sind. Das sieht man aus der Ferne meistens besser als von zuhause aus.

      Natürlich haben Jugendliche in anderen Ländern genau die gleichen Träume und Wünsche nach Reisen und wollen die Welt kennenlernen. Aber so viele können sich das nicht leisten.Ob da wohl so ein reicher Backpacker aus Europa auch drüber nachdenkt, wenn er durch Patagonien zieht? Flashpacker nennt man sie heute, die jungen Individualtouristen mit viel Geld und hohen Ansprüchen

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