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      Ulrike Krieg-Holz / Lars Bülow

      Linguistische Stil- und Textanalyse

      Eine Einführung

      A. Francke Verlag Tübingen

      © 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

      www.francke.de[email protected]

      Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

      E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

      ePub-ISBN 978-3-8233-0025-0

      

      1. Text als linguistischer Gegenstand

      Am Anfang jeder textanalytischen Überlegung sollte die Frage nach der Definition des Untersuchungsgegenstandes stehen: Was ist ein Text?

      Prinzipiell wird das Spektrum unterschiedlicher Textauffassungen durch zwei extreme Positionen eingegrenzt. Die eine bezeichnet als ‚Text‘ alles das, was an beobachtbar geäußerter Sprache – wie auch immer realisiert – vorliegt. Die andere Position bezieht den Textbegriff auf das Funktionieren von Sprache jenseits der Satzgrenze. Diese Blickrichtung vom Satz zum Text soll hier den methodologischen Ausgangspunkt bilden, von dem aus verschiedene Herangehensweisen an die linguistische Beschreibung von Texten entwickelt werden bzw. die Analyse der Wesensmerkmale von Texten erfolgt.

      In der Struktur einzelner Sprachen können u.a. folgende Ebenen erscheinen:

       Text

       Satz

       Wortgruppe

       Wort

       Minimale Elemente (bedeutungstragende: z.B. Morpheme, bedeutungsunterscheidende: z.B. Phoneme)

      Der Begriff ‚Text‘ bezeichnet in diesem Zusammenhang zunächst die sprachliche Struktur oberhalb der Struktur des Satzes. Dementsprechend wird der Text aufgefasst als ein übersatzförmiges, d.h. transphrastisches Gebilde (vgl. engl. phrase ‚Satz‘). Das bedeutet jedoch nicht, dass eine textlinguistische Analyse erst oberhalb der Satzebene beginnt. Vielmehr bedarf sie auch der systematischen Betrachtung der Elemente auf tieferliegenden Ebenen der Sprachbeschreibung. Es bedeutet ebenfalls nicht, dass ein Text immer unbedingt aus Einheiten zusammengesetzt ist, die als Sätze definiert werden können. Das heißt, Texte können – wie noch zu zeigen sein wird (vgl. Kap. 3 und 4) – grundsätzlich nicht ausschließlich durch grammatische Einheiten (wie die des Satzes) bestimmt werden, sonst müssten zahlreiche, für einzelne Textsorten besonders charakteristische Textelemente von vornherein von der Analyse ausgeschlossen werden. Dazu würde der Slogan SOS-Kinderdorf – Wir sind Familie! einer Werbeanzeige ebenso gehören wie Brot im Tank als Überschrift zum Thema „Herstellung des Biokraftstoffs E10 aus Getreide“ in einer überregionalen Tageszeitung.

      Mit der Blickrichtung vom Satz zum Text verbindet sich eine Perspektive, die den Text als etwas Ganzes Lesbares und in sich mehr oder weniger Geschlossenes betrachtet. Dabei geht es weniger um solche Fälle wie den Zettel mit der Aufschrift Prüfung! an einer Bürotür, die sehr weite Definitionen des Begriffes ‚Text‘ einschließen (vgl. Kap. 1.1), sondern vor allem um komplexere sprachliche Gebilde, wie es die spätlateinische Wurzel des Wortes Text (lat. textus ‚Gewebe, Geflecht‘, abgeleitet vom Verb texere ‚weben, flechten‘) in Analogie zur Struktur von Textilien bereits suggeriert.

      Der Begriff der ‚Textualität‘ bezeichnet dabei die Menge an Eigenschaften, die ein sprachliches Gebilde zu einem Text machen. Dazu muss zunächst die Frage beantwortet werden, welche Gemeinsamkeiten etwa zwischen einem Buch, einem Zeitungsartikel, einem Brief, einer Printanzeige oder einer Internetseite bestehen. Auf dieser Grundlage kann dann der Frage nachgegangen werden, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein sprachliches Gebilde, also eine bestimmte Ansammlung sprachlicher Erscheinungsformen, als Text wahrgenommen wird. Diese Bedingungen an Texte und deren spezifische Eigenschaften werden in der sprachwissenschaftlichen Forschung mit den Termini ‚Textualitätskriterien‘ oder ‚Textualitätsmerkmale‘ erfasst. Die Bestimmung und Beschreibung dieser Textualitätskriterien bzw. Textualitätsmerkmale ermöglicht dann eine Definition des Begriffes ‚Text‘ (vgl. Kap. 1.1).

      Texte signalisieren Textualität durch bestimmte Hinweise, sog. Textualitätshinweise, die wiederum auf der Grundlage der Textualitätsmerkmale bestimmt und systematisiert werden können (vgl. Kap. 1.2). Sowohl die Textualitätsmerkmale als auch die Textualitätshinweise bestehen dabei aus sprachlichen und außersprachlichen Komponenten.

      Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis, dass sich der Ausdruck ‚Text‘ in diesem Buch ausschließlich auf die schriftbasierte Kommunikation bezieht. Die grundlegende Unterscheidung zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch scheint auf den ersten Blick unproblematisch, sie wird innerhalb der Sprachwissenschaft traditionell mit dem Begriff des Mediums verbunden. Schriftlichkeit wurde im Allgemeinen komplementär zur Mündlichkeit wahrgenommen und daher im Vergleich mit dieser und in Abgrenzung von dieser definiert und charakterisiert. Der Begriff der Schriftlichkeit umfasst neben den gesellschaftlichen Traditionen und Funktionen des Schreibens vor allem die Merkmale und die Charakteristik geschriebener Texte, ihre Textkonstitution und die Bindung an die Schriftsprache unter dem Gesichtspunkt des sprachlichen Systems. Dabei ist vorerst von elementarer Bedeutung, ob eine Äußerung aufgeschrieben ist oder nicht. Die kognitiven Produktions- und Verarbeitungsprozesse unterscheiden sich beim Schreiben und Lesen deutlich vom Sprechen und Zuhören, was zum Teil an den Eigenschaften des Mediums liegt. So gilt das Schreiben in der Regel als langsamer und als stärker geplanter Prozess, worauf besser strukturierte und kohärentere Texte zurückgeführt werden, die komplexer aufgebaut und in mehreren Arbeitsgängen konzipiert, überarbeitet und korrigiert werden können.

      Die Ausdrucksvielfalt der geschriebenen Sprache ist gegenüber der gesprochenen Sprache einerseits eingeschränkt, weil sie nicht über paraverbale Ausdrucksformen verfügt (z.B. Lautstärke, Stimmqualität, Rhythmus) oder mit nonverbalen Ausdrucksformen verbunden ist (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Blickverhalten usw.). Andererseits verfügt sie über Ausdrucksmittel, die die gesprochene Sprache nicht hat und die oft als Kompensationsformen interpretiert werden. In der geschriebenen Sprache entsprechen dem Parasprachlichen im engeren Sinne dabei weniger die häufig genannten Satzzeichen, sondern eher die sehr stark differenzierbaren Schrifttypen und Schriftgrößen sowie die besonderen Eigenschaften der Trägermedien.

      Schriftlichkeit ist generell gekennzeichnet durch Einwegigkeit (deshalb Monologizität), durch die Reduktion der para- und nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten, die auf der syntaktischen, lexikalischen und textlinguistischen Ebene kompensiert werden müssen1, durch fehlende Synchronie von Produktion und Rezeption sowie durch das Fehlen des unmittelbaren pragmatischen Kontextes, wodurch weitere verbale Kompensationen notwendig sind. Alle vier Punkte werden häufig als pragmatische Defizite von Schriftlichkeit zusammengefasst, d.h., die Spezifika der schriftlichen Kommunikation gelten als Mängel, die durch größere sprachliche Anstrengungen kompensiert werden müssen, dafür aber auch die größere kulturgeschichtliche Leistung darstellen.

      Modernere Bestimmungen des Konzepts der Schriftlichkeit nehmen neben der medialen Umsetzung vom phonischen ins graphische Medium eine konzeptionelle Schriftlichkeit an, die auf bestimmte Merkmale der Kommunikationssituation (vgl. Kap. 4.3.1) zurückgeführt wird. Dazu gehört beispielsweise das Kriterium der raum-zeitlichen Distanz der Kommunikationsteilnehmer.

      Schriftliche

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