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ist, das für jeden Lexikoneintrag Informationen wie Lautgestalt, Bedeutung und Wortart (Nomen, Verb, Adjektiv etc.) enthält. Allerdings enthält das mentale Lexikon nicht nur vollständige Wörter, sondern auch Wortbausteine wie un-, ver-, ent-, -bar, -lich, mit deren Hilfe komplexe Wörter gebildet werden können.

      Jeder kompetente Sprecher einer Sprache hat auch ohne Grammatikschulung ein intuitives Verständnis, was ein Wort ist und was nicht. So werden die meisten Sprecher des Deutschen darin übereinstimmen, dass Hund, aber oder Personenvereinzelungsanlage Wörter des Deutschen sind, während die oben genannten Wortbausteine un-, ver-, ent-, -bar, -lich es nicht sind. In der Folge wollen wir uns dennoch kurz mit der Frage befassen, wie diese Sprecherintuitionen in eine Definition des Wortbegriffs übersetzt werden können. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber recht bald, dass dieses Unterfangen keineswegs einfach ist. Tatsächlich gibt es im Gegensatz zu anderen sprachlichen Bausteinen wie Phonem oder Morphem (siehe dazu weiter unten) bislang keine allgemein akzeptierte formale Definition des Wortbegriffs. Ein Grund dafür ist sicherlich der bereits angesprochene Charakter von Wörtern als integrierte Bauteile, die als Schnittstelle zwischen verschiedenen Teilmodulen der Grammatik fungieren und einen Komplex aus lautlichen, morphologischen, syntaktischen und semantischen Eigenschaften bilden. Eine kritische Auseinandersetzung mit entsprechenden Definitionsversuchen kann aber dazu beitragen, unser intuitives Vorverständnis dessen, was ein Wort ist, zu schärfen.

      Unsere Wahrnehmung und unser Verständnis davon, was ein Wort ist, ist stark von der Schriftsprache geprägt. Es lässt sich jedoch leicht zeigen, dass ein rein orthografischer Wortbegriff auf der Basis von Getrennt- vs. Zusammenschreibung zu Problemen führt:

(4)a.Alt: irgend jemand; neu: irgendjemand
b.Alt: wieviel vs. wie viele; neu: wie viel, wie viele

      Die Beispiele in (4) zeigen einige Unterschiede zwischen alter und neuer Rechtschreibung. Es ist offensichtlich, dass entsprechende Veränderungen lediglich das Resultat orthografischer Konventionen darstellen – es ist nur schwer vorstellbar, dass sich der Wortstatus von wieviel oder irgend jemand mit dem Einsetzen der Rechtschreibreform quasi über Nacht geändert hat. Eine Definition des Wortbegriffs, der sich rein an der Schreibung orientiert, ist also wenig hilfreich. Vielversprechender sind daher Definitionsansätze, die sich auch auf Eigenschaften gesprochener Sprache anwenden lassen. Konzentriert man sich dabei auf lautliche Eigenschaften, dann können Wörter als Lautfolgen definiert werden, die aufgrund von unabhängigen phonetisch-phonologischen Kriterien als separate sprachliche Einheiten identifizierbar sind (relevant sind hier z.B. Grenzsignale wie Pausen oder die Beobachtung, dass Wörter in vielen Sprachen nur genau einen Hauptakzent tragen können). Allerdings lässt ein solcher phonologischer Wortbegriff die Tatsache außer Acht, dass es sich bei Wörtern – im Gegensatz beispielsweise zu Silben – nicht um rein phonologische Einheiten handelt; vielmehr stellt das Wort das zentrale Grundelement von Morphologie und Syntax dar.

      Vor dem Hintergrund eines grammatischen Wortbegriffs können Wörter als kleinste frei auftretende sprachliche Zeichen definiert werden, die mit bestimmten grammatischen Merkmalen (z.B. Wortklasse [Nomen, Verb etc.], Numerus [±Plural], Genus [±Feminin, ±Maskulin], Kasus, Tempus etc.) assoziiert sind und Gegenstand von syntaktischen Regeln sein können (vgl. auch Abschnitt 2.2 zum Begriff des syntaktischen Worts). So repräsentiert die Form habe im folgenden Beispiel zwei unterschiedliche grammatische bzw. syntaktische Wörter, die beide dem Grundwort hab-(en) zugehörig sind:

(5)a.Ich habe Peter getroffen.
b.Er sagt, er habe Peter getroffen.

      In (5a) ist die Form habe ein grammatisches Wort mit den Merkmalen [Verb, Präsens, Indikativ, 1. Person, Singular], während in (5b) ein anderes grammatisches Wort mit den Merkmalen [Verb, Präsens, Konjunktiv I, 3. Person, Singular] vorliegt.

      Ein morphologisches Kriterium besteht darin, dass Wörter eine komplexe innere Struktur aufweisen können, d.h. sie können aus mehreren Bausteinen zusammengesetzt sein, die selbst nicht frei vorkommen können wie un-, -bar etc. Diese atomaren Bauelemente der Morphologie nennt man Morpheme (vgl. Abschnitt 2.3). Der Wortbegriff lässt sich nun wie folgt fassen:

      Begriff des Worts: Wörter sind frei auftretende sprachliche Zeichen, die aus einer oder mehreren kleineren Einheiten (Morphemen) aufgebaut sind und Gegenstand von syntaktischen Regeln zur Erzeugung größerer Zeichenkomplexe wie Wortgruppen (Phrasen) oder Sätzen sein können.

      Obwohl eine Definition des Wortbegriffs, die sich auf morphologische und syntaktische Kriterien stützt, auf den ersten Blick recht erfolgreich zu sein scheint, ist auch sie mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, auf die wir an dieser Stelle nicht erschöpfend eingehen können. Schwierigkeiten macht z.B. das Verhalten von sog. Partikelverben (Verbindungen, die aus einem Verb und einer Partikel bestehen), die nicht immer als Einheit auftreten:

(6)a.Lydia und Leopold schlafen während der Vorlesung ein.
b.*Lydia und Leopold einschlafen während der Vorlesung.
c.Lydia und Leopold könnten während der Vorlesung einschlafen.

      Obwohl die meisten Sprecher wohl sagen würden, dass das Verb schlafen und die Verbpartikel ein zusammen ein Wort bilden (nämlich einschlafen), scheint (6a-b) nahezulegen, dass es sich um zwei separate Wörter handelt: Offenbar kann schlafen, nicht aber einschlafen, von einer syntaktischen Regel (Voranstellung des finiten Verbbestandteils im Hauptsatz) erfasst werden. Darüber hinaus können syntaktische Tests auch widersprüchliche Ergebnisse liefern, da einschlafen auch als sprachliche Einheit auftreten kann, vgl. (6c).

      2.2 Wörter und Wortformen

      Im Zusammenhang mit dem Begriff des grammatischen Worts haben wir bereits gesehen, dass in der Regel ein Unterschied gemacht wird zwischen einem (abstrakten) Grundwort, das in unserem mentalen Lexikon gespeichert ist, und den konkreten Realisierungsformen dieses Grundworts in bestimmten syntaktischen Umgebungen. Grundlage dieser Unterscheidung ist die Beobachtung, dass sich Wörter nicht nur hinsichtlich Lautgestalt und Bedeutung unterscheiden (wie z.B. Gurke und Wolke); wir können auch feststellen, dass ein und dasselbe Wort abhängig vom syntaktischen Kontext, in dem es auftritt, unterschiedliche Formen annimmt:

(7)a.Lydias Bruder spielt gerne Fußball.
b.Mit den Brüdern von Lydias Freundinnen verhält es sich ähnlich.
c.Lydia teilt die Fußballeuphorie ihres Bruders.

      In (7) tritt das Wort Bruder in drei verschiedenen Formen auf, die unterschiedliche Werte für Kasus und Numerus signalisieren: Nominativ + Singular in (7a), Dativ + Plural in (7b) und Genitiv + Singular in (7c). Traditionell wird das Phänomen, dass ein Substantiv abhängig vom syntaktischen Kontext in verschiedenen Formen auftritt, als Deklination bezeichnet. So kann die Form Brüdern nur in Satz (7b), nicht aber anstelle von Bruder oder Bruders in (7a) oder (7c) stehen (umgekehrt gilt das natürlich genauso). Etwas allgemeiner spricht man bei der Anpassung eines Worts an den syntaktischen Kontext von Flexion („Beugung“). Die Gesamtmenge aller flektierten Formen eines Worts bzw. einer Klasse von lexikalischen Elementen bilden ein Paradigma. Paradigmen stellen bestimmte Flexionsmuster dar und werden in der Regel in Form einer Tabelle repräsentiert:

SingularPlural
NominativBruderBrüder
AkkusativBruderBrüder
DativBruderBrüder-n
GenitivBruder-sBrüder

      Tabelle 1: Paradigma von Bruder

      Die in einem Paradigma zusammengefassten flektierten Wortformen haben eine Reihe von Gemeinsamkeiten (wie hier z.B. Genus: Maskulin); sie unterscheiden sich aber auch hinsichtlich bestimmter Merkmalswerte (hier z.B. Kasus und Numerus). Die Idee, dass es sich bei Bruder, Bruders,

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