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Darüber hinaus enthalten Wörter Informationen über ihr syntaktisches Verhalten, d.h. über mögliche oder notwendige Kombinationen mit anderen Wörtern. So wird es den meisten Sprechern des Deutschen klar sein, dass ein Wort wie besteigt keine vollständige Äußerung darstellt, sondern noch mindestens zwei Ergänzungen benötigt (z.B. wie in [Leopold] besteigt [das Matterhorn]). Ebenso gilt, dass ein Artikel wie das zwar mit einem Substantiv wie Buch oder Pferd verknüpft werden kann, nicht aber mit einem Adjektiv wie satt. Eine nähere Betrachtung zeigt also, dass es sich bei den vermeintlich einfachsten Bestandteilen von Sprache um komplexe integrierte sprachliche Bausteine handelt, die auf kleinstem Raum drei verschiedene Arten von Informationen bündeln (Bedeutung, Lautgestalt und syntaktisches Verhalten). Die kompetente Verwendung von Wörtern im Kontext einer Sprache stellt ein hochspezialisiertes Fähigkeitssystem dar, das wir beherrschen, ohne uns seiner Funktionsweise bewusst zu sein. So ist jedem Sprecher des Deutschen klar, dass es sich bei Gurke und Wolke um Wörter des Deutschen handelt, die sich in Lautgestalt und Bedeutung unterscheiden. Baut man sie in syntaktische Strukturen wie Sätze ein, so unterscheiden sich auch die Sätze in Laut und Bedeutung:

(1)a.Die Gurke ist grün.
b.Die Wolke ist grün.

      Ebenso verfügen wir über eine implizite Kenntnis der Regeln, die den Aufbau von Wörtern bestimmen. So wissen wir, dass die Wörter Gurke und Wolke nicht nur in einer Form auftreten – man kann sie in den Plural setzen, indem man ein -n anfügt. Die pluralischen Formen erfordern allerdings einen anderen syntaktischen Kontext, da die Form des Verbs mit dem geänderten Numeruswert des Nomens übereinstimmen muss (sog. Subjekt-Verb-Kongruenz). Das vorangestellte Sternchen/Asterisk (*) signalisiert, dass das Beispiel in (3) nicht wohlgeformt bzw. nicht akzeptabel ist.

(2)Die Gurken/Wolken sind grün.
(3)*Die Gurken/Wolken ist grün.

      Ein weiteres Beispiel für unser unbewusstes Wissen betrifft einen kreativen Aspekt von Sprache, nämlich die Bildung neuer Wörter aus vorhandenen Wörtern bzw. Wortbausteinen. So werden die meisten Sprecher erkennen können, dass ein Wort wie löwensicher (aus Löwe(n)+sicher) zwar kein gängiges, aber dennoch potentiell mögliches Wort des Deutschen ist, während dies für gurkensicher eher nicht zutrifft. Der zweifelhafte Status von gurkensicher ist auf eine semantische Unverträglichkeit zurückzuführen – bei Bildungen der Art X+sicher muss X in der Regel etwas potentiell Gefährliches oder Bedrohliches bezeichnen. Während gurkensicher uns zwar seltsam, aber dennoch irgendwie formbar vorkommt (z.B. in einer Welt, in der von Gurken eine Bedrohung ausgeht), sind Neuschöpfungen wie *Gurk(e)keit (aus Gurke+keit) oder *ungurk(e)bar (aus un+Gurke+bar) völlig ausgeschlossen. Die fehlende Wohlgeformtheit solcher Bildungen ist darauf zurückzuführen, dass sie gegen grammatische Regeln verstoßen (z.B. kann -keit nur an ein Adjektiv, nicht aber an ein Substantiv herantreten, vgl. Kapitel 5 für Details).

      Der unbewusste Charakter dieser Form unseres sprachlichen Wissens erschwert – aus fachdidaktischer Perspektive – die Vermittlung entsprechender Kenntnisse in Schule und Universität. Der vorliegende Band begegnet dieser Problematik, indem er eine Synthese aus sprachwissenschaftlicher und sprachdidaktischer Perspektive anstrebt, die spezifische Probleme des Grammatikunterrichts an der Schule berücksichtigt und als Grundlage für Studium, Referendariat und Lehrerfortbildung dienen kann. Inhaltlich gibt der Band einen Überblick über wesentliche einschlägige Phänomene des Deutschen und führt anhand dieser in zentrale Begriffe und Analysemethoden ein. Zu jedem Teilbereich werden nicht nur Empfehlungen zur weiterführenden Lektüre, sondern auch Aufgaben angeboten, die eine selbständige Lernkontrolle und Prüfungsvorbereitung ermöglichen.

      Zur Vertiefung der in dem vorliegenden Band verhandelten fachwissenschaftlichen Gegenstände eignen sich die Überblicksdarstellungen in der Dudengrammatik (Duden 2016) und in Eisenberg (2013). Eine empfehlenswerte populärwissenschaftliche Einführung in die wunderbare Welt der Wörter ist Miller (1993). Darüber hinaus gibt es eine Reihe nützlicher Online-Angebote zur deutschen Grammatik, die gegebenenfalls schneller zur Hand sind:

       ProGr@mm (die Propädeutische Grammatik), ein Lernsystem zur Grammatik des Deutschen, das ursprünglich für die universitäre Lehre konzipiert wurde: http://hypermedia.ids-mannheim.de/programm/index.html

       grammis 2.0, ein multimediales Informationssystem zur deutschen Grammatik: http://hypermedia.ids-mannheim.de

       canoonet, ein Online-Service, der Wörterbücher und Informationen zur Grammatik des Deutschen bereitstellt

       Ein ausführlicher Foliensatz zu einer stärker theoretisch orientierten Einführung in die Morphologie findet sich auf der Homepage von Fabian Heck (Universität Leipzig): http://home.uni-leipzig.de/heck/

      Wir möchten uns an dieser Stelle bei Sandra Döring und Peter Gallmann bedanken, deren Kommentare und Hinweise wesentlich zur Verbesserung des ursprünglichen Manuskripts beigetragen haben. Ferner gilt unser Dank unseren Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden des Lehramts Deutsch, die uns mit Rat und Tat unterstützt haben: Lisa Alert, Patrick Brandt, Lara Hann, Fabian Heck, Marek Konopka, Franziska Münzberg, Fabiana Netzband, Dominik Spott, Ulli Wassner, Angelika Wöllstein und Anne Wolter. Weiterhin möchten wir uns bei allen Studierenden, die im SoSe 2016 und 2017 das Seminar „Kritische Auseinandersetzung mit der Schulgrammatik“ (Universität Leipzig) besucht haben, bedanken, da sie uns mit ihren kritischen Fragen und ihren Eindrücken aus den Praktika wichtige Anhaltspunkte für die Konzeption des Buches gegeben haben. Alle verbleibenden Unzulänglichkeiten sind natürlich von uns zu verantworten.

      2 Grundbegriffe

      2.1 Das Wort

      Bei der grammatischen Beschreibung einer Sprache müssen lautliche, morphologische, syntaktische und semantische Aspekte berücksichtigt werden. Die lautlichen Eigenschaften einer Sprache sind Gegenstand von Phonetik und Phonologie. Die Phonetik befasst sich mit dem Inventar und den Eigenschaften von Sprachlauten, während die Phonologie das Lautsystem einer Sprache beschreibt – wie z.B. die sprachspezifischen Regeln, nach denen Laute zu größeren Einheiten wie Silben verknüpft werden. Die Syntax legt die Regeln fest, wie die Wörter einer Sprache zur Bildung von größeren strukturierten Einheiten wie Wortgruppen (Phrasen) und Sätzen kombiniert werden können. Bedeutungsaspekte werden in der Semantik behandelt, die beschreibt, wie sich die Bedeutung eines Satzes aus den lexikalischen Bedeutungen von Wörtern und den speziellen strukturellen Beziehungen zwischen diesen ergibt. Gegenstand der Morphologie schließlich sind die universellen und sprachspezifischen Regularitäten, die die innere Struktur und den Aufbau von Wörtern betreffen.

      Wörter stellen für die meisten Sprecher wohl die offensichtlichsten Bestandteile von Sprache(n) dar. Dennoch stößt unser Wissen über Wörter schnell an seine Grenzen. So haben die wenigsten Sprecher eine Vorstellung davon, über wie viele Wörter sie verfügen. Dies liegt zum Teil daran, dass es nicht ganz klar ist, welche Einheiten in die Zählung eingehen. Soll man gehe, gehst, geht, gehen, ging etc. als eigenständige Wörter zählen, oder berücksichtigt man lediglich eine Grundform wie gehen? Zudem ist der Begriff des Wortschatzes mehrdeutig. Zum einen kann er sich auf die Anzahl der Wörter in einer Sprache beziehen. Für das Deutsche geht man von einem Gesamtwortschatz aus, der je nach Schätzung zwischen 300000 und 500000 Wörtern liegt. Nimmt man dazu noch das Vokabular spezieller Gebiete wie Fachsprachen hinzu, dürfte die Zahl der Wörter in die Millionen gehen. Zum anderen kann sich der Begriff des Wortschatzes aber auch auf die Zahl der Wörter beziehen, über die ein einzelner Sprecher verfügt. Hier kommen entsprechende Schätzungen auf Zahlen zwischen 30000 bis 200000 Wörtern, wobei es große Unterschiede geben kann abhängig von Faktoren wie Alter oder Bildungsgrad.

      Man nimmt an, dass der Bestand an Wörtern,

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