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Verändere dein Bewusstsein. Michael Pollan
Читать онлайн.Название Verändere dein Bewusstsein
Год выпуска 0
isbn 9783956143069
Автор произведения Michael Pollan
Жанр Математика
Издательство Bookwire
«Wir waren nicht sicher, ob das möglich ist», erzählte Jesse, aber er und seine Kollegen glaubten, «es wäre ein großer Fehler, wenn es bei medizinischen Zwecken bliebe». Warum ein Fehler? Weil Bob Jesse nicht so sehr an den psychischen Problemen der Menschen interessiert war, sondern an ihrem spirituellen Wohlergehen – indem er Entheogene für die Besserung Gesunder einsetzte.
Kurz nach dem Treffen in Esalen leistete Schuster einen Beitrag, der sich als sein wichtigster erweisen sollte: Er erzählte Bob Jesse von seinem alten Freund Roland Griffiths, den er als genau «den untadeligen Forscher» beschrieb, den Jesse suchte, und als «Wissenschaftler ersten Ranges».
«Allem, was Roland mal angefangen hat, hat er sich völlig verschrieben», erinnert sich Jesse an Schusters Worte, «auch seiner Meditation. Wir finden, das hat ihn verändert.» Griffiths hatte Schuster von seiner wachsenden Unzufriedenheit mit der Wissenschaft und seinem immer tieferen Interesse an den «großen Fragen» erzählt, die sich bei seiner Meditation ergaben. Also rief Schuster Griffiths an, berichtete ihm von dem interessanten jungen Mann, den er gerade in Esalen kennengelernt habe, erklärte, dass sie sich beide für Spiritualität interessierten, und schlug vor, sie sollten sich treffen. Nach kurzem E-Mail-Verkehr flog Jesse nach Baltimore, um in der Cafeteria des Bayview Medical Campus mit Griffiths zu essen, woraufhin eine Reihe von Gesprächen und Treffen folgte, die schließlich an der Johns Hopkins University zu ihrer Zusammenarbeit bei der Studie von 2006 über Psilocybin und mystische Erfahrung führten.
Doch es fehlte noch ein Puzzleteil: ein weiteres Mitglied des wissenschaftlichen Teams. Die meisten Drogenversuche, die Griffiths bisher durchgeführt hatte, waren an Pavianen und anderen nichtmenschlichen Primaten vorgenommen worden; er hatte viel weniger klinische Erfahrung in der Arbeit mit Menschen und begriff, dass ein erfahrener Therapeut an dem Projekt teilnehmen musste – ein «führender Kliniker», wie er es formulierte. Wie es der Zufall wollte, hatte Bob Jesse ein paar Jahre zuvor auf einer Psychedelik-Tagung einen Psychologen kennengelernt, der nicht nur den Anforderungen entsprach, sondern auch in Baltimore lebte. Und ein noch größerer Zufall war, dass dieser Psychologe, der Bill Richards hieß, vermutlich mehr Erfahrung in der Anleitung psychedelischer Reisen in den 1960er und 1970er Jahren hatte als jeder andere, außer vielleicht Stan Grof (mit dem er schon zusammengearbeitet hatte). Bill Richards war es, der im Frühling 1977 im Maryland Psychiatric Research Center in Spring Grove einem Amerikaner die allerletzte legale Dosis Psilocybin verabreicht hatte. Seither hatte er in seinem Haus in einem grünen Viertel Baltimores namens Windsor Hills konventionellere Psychotherapie betrieben und geduldig darauf gewartet, dass der Staat einlenkte und er wieder mit Psychedelika arbeiten konnte.
«Wenn man das Gesamtbild im Blick hat», sagte er, als wir uns zum ersten Mal in seinem Büro trafen, «dann gibt es diese Drogen schon mindestens fünftausend Jahre, und sie wurden oft bekämpft und tauchten wieder auf, das hier ist also nur ein weiterer Zyklus. Aber der Pilz wächst immer noch, und irgendwann musste diese Arbeit wieder erlaubt werden. Das habe ich zumindest gehofft.» Als ihn Bob Jesse 1998 anrief und er sich kurz darauf mit Roland Griffiths traf, konnte er sein Glück kaum fassen. «Es war aufregend.»
Bill Richards, ein außergewöhnlich aufgeweckter Mann in den Siebzigern, bildet eine Brücke zwischen den beiden Zeitabschnitten der Psychedelik-Therapie. Walter Pahnke war bei seiner Hochzeit Trauzeuge; er arbeitete in Spring Grove eng mit Stan Grof zusammen und besuchte Timothy Leary in Millbrook, New York, wo dieser nach seiner Verbannung aus Harvard gelandet war. Auch wenn Richards den Mittleren Westen, wo er 1940 geboren wurde, vor einem halben Jahrhundert verließ, hat er die Sprechweise des ländlichen Michigan beibehalten. Inzwischen trägt er einen weißen Spitzbart, hat ein ansteckendes gackerndes Lachen und beendet viele seiner Sätze mit einem gut gelaunten, kräftigen «weißte?».
Richards, der sowohl einen Doktor in Psychologie als auch in Religionswissenschaft hat, hatte 1963 seine erste psychedelische Erfahrung als Theologiestudent in Yale. Er studierte damals in Deutschland, an der Göttinger Universität, und fühlte sich vom Fachbereich Psychiatrie angezogen, wo er von einem Forschungsprojekt mit einer Droge namens Psilocybin erfuhr.
«Ich hatte keine Ahnung, was das war, aber zwei Freunde von mir hatten daran teilgenommen und interessante Erfahrungen gemacht.» Einer der beiden, dessen Vater im Krieg umgekommen war, war ins Kindesalter zurückgefallen und saß auf dem Schoß seines Vaters. Der andere hatte Halluzinationen von SS-Leuten, die in den Straßen marschierten. «Ich hatte noch nie eine nennenswerte Halluzination gehabt», sagte Richards kichernd, «und wollte einen Einblick in meine Kindheit bekommen. Damals betrachtete ich meinen Geist als psychologisches Labor, deshalb beschloss ich, freiwillig teilzunehmen.
Das war noch bevor man die Bedeutung von Set und Setting begriff. Man führte mich in einen Kellerraum, gab mir eine Spritze und ließ mich allein.» Die beste Voraussetzung für einen Horrortrip, doch Richards erlebte genau das Gegenteil. «Ich hatte das Gefühl, in eine unglaublich detailreiche Bilderwelt einzutauchen, die wie islamische Architektur aussah, mit arabischer Schrift, über die ich nichts wusste. Und dann verwandelte ich mich irgendwie in diese verschlungenen Muster und verlor meine gewohnte Identität. Und ich kann bloß sagen, dass sich der ewige Glanz mystischen Bewusstseins offenbarte. Mein Bewusstsein war überflutet von Liebe, Schönheit und Frieden, weit über alles hinaus, was ich je gekannt oder für möglich gehalten hatte. ‹Ehrfurcht›, ‹Herrlichkeit› und ‹Dankbarkeit› waren die einzigen Worte, die noch Gültigkeit besaßen.»
Die Schilderungen derartiger Erfahrungen klingen stets ein bisschen dürftig, zumindest im Vergleich zu der emotionalen Wucht, die vermittelt werden soll; für ein lebensveränderndes Ereignis wirken die Worte geradezu läppisch. Als ich das Richards sagte, musste er lächeln. «Sie müssen sich einen Höhlenmenschen vorstellen, der mitten nach Manhattan versetzt wurde. Er sieht Busse, Mobiltelefone, Wolkenkratzer, Flugzeuge. Und dann zappen Sie ihn in seine Höhle zurück. Was erzählt er über seine Erfahrung? ‹Es war groß, es war eindrucksvoll, es war laut.› Er hat nicht den Wortschatz, um ‹Wolkenkratzer›, ‹Aufzug›, ‹Mobiltelefon› zu sagen. Vielleicht spürt er, dass die Szene irgendeine Aussagekraft oder Ordnung hatte. Doch wir brauchen Wörter dafür, die es noch nicht gibt. Wir haben fünf Buntstifte, brauchen aber fünfzigtausend verschiedene Farbtöne.»
Mitten in seiner Reise kam einer der Fachärzte vorbei, um nach Richards zu sehen, und bat ihn, sich aufzusetzen, damit er seine Reflexe testen konnte. Als der Arzt mit seinem Gummihämmerchen auf seine Patellasehne klopfte, empfand Richards, wie er sich erinnert, «Mitleid mit der noch in den Kinderschuhen steckenden Wissenschaft. Die Forscher hatten keine Ahnung, was in meiner inneren Erfahrungswelt vor sich ging, sie wussten nichts von ihrer unaussprechlichen Schönheit oder ihrer potenziellen Bedeutsamkeit für uns alle.» Ein paar Tage nach der Erfahrung kehrte Richards in das Labor zurück und fragte: «Was für eine Droge haben Sie mir gegeben? Wie schreibt man das? Und der Rest meines Lebens besteht aus Fußnoten dazu!»
Aber nachdem in der Folge mehrere Psilocybin-Sitzungen keine mystische Erfahrung auslösten, fragte sich Richards, ob er den ersten Trip vielleicht überhöht hatte. Etwas später kam Walter Pahnke kurz nach seiner Doktorarbeit bei Timothy Leary in Harvard an die Universität, und die beiden wurden Freunde. (Es war Richards, der Pahnke während eines gemeinsamen Deutschlandaufenthalts zu dessen erstem psychedelischen Trip verhalf; offenbar hatte er in Harvard weder LSD noch Psilocybin genommen, weil er dachte, das könne die Objektivität des Karfreitagsexperiments beeinträchtigen.) Pahnke schlug vor, Richards solle es noch mal versuchen, diesmal aber in einem Raum mit gedämpfter Beleuchtung, Pflanzen und Musik und mit einer höheren Dosis. Wieder hatte Richards «eine unglaublich tiefgehende Erfahrung. Ich begriff, dass ich den ersten Trip nicht überhöht, sondern achtzig Prozent davon vergessen hatte. Ich habe nie an der Stichhaltigkeit dieser Erfahrungen gezweifelt. Das war das Reich mystischen Bewusstseins, von dem Shankara sprach, von dem Plotin schrieb, von dem Johannes vom Kreuz und Meister Eckhart schrieben. Es ist auch das, wovon Maslow mit seinen ‹Grenzerfahrungen› sprach – obwohl Abe dazu keine Drogen brauchte.» Richards studierte später an der Brandeis University unter Maslow Psychologie. «Abe war der geborene jüdische Mystiker. Er konnte sich einfach hinten in den Garten legen und eine