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während Dream-In-The-Days Wehen schnell nacheinander kamen. Angefangen von ihrem Aufbruch, dann die Sache mit den Apachen bis hin zu John Black und seinem Hund. Keine der Frauen unterbrach auch nur einmal ihre Erzählung. Ja, es war eine gute Methode, sich von dem Geschehen unter ihnen abzulenken.

      Sogar Dream-In-The-Day schien sich beim Klang ihrer Stimme zu entspannen – oder das Kind, wie Großmutter behauptete.

      Am Ende musterte die alte Frau aus dem Dunkel heraus Summer-Rain. Nachdenklich legte sie den Kopf auf ihre dünnen, sehnigen Arme. In ihren Gedanken tauchte ein Bild auf, das sie lieber nicht heraufbeschwören wollte. Insbesondere nicht vor Summer-Rain, schon gar nicht jetzt. Sanft berührte sie den von Brandnarben gezeichneten Arm des Mädchens und war dankbar, sie wieder hier bei sich zu haben. Als Summer-Rain ihr das Gesicht zuwandte, fragte sie sie leise, so dass es die anderen nicht hören konnten: „Glaubst du, dass dieser Hund eine Verbindung zu deinem Tiergeist hat und er ihn zu dir schickte, um dich zu beschützen?“

      Summer-Rain, die sie nur erstaunt über eine solche Frage anstarren konnte, erschauerte. Es war ihr plötzlich, als berührte sie ein Schatten. Sie wusste zunächst keine Antwort. Dann aber, nach kurzem Besinnen, lächelte sie und schüttelte das, was sie bedrücken wollte, ab. „Diese Erklärung hätte dem alten Trapper gefallen, Großmutter“, sagte sie.

      Die alte Frau nickte. „Ich bin froh und dankbar, dass sich dieser alte Mann um dich gekümmert hat – sehr froh …“ Schwer seufzend lehnte sie sich zurück an die Felsenwand der Höhle. Das Schweigen, das sich danach auf alle legte, wurde nur durch Dream-In-The-Days unterdrückte Schmerzenslaute unterbrochen.

      „Was denkt ihr? Haben sie es alle rechtzeitig geschafft? Und unsere Männer – die Krieger – können sie diesen Feind dort unten besiegen?“, unterbrach Dark-Night leise die nur zäh dahinfließende Zeit.

      Großmutter beugte sich zu ihr hinüber, sanft die Binde über ihrer Nase berührend. „Mach dir keine Sorgen“, sagte sie ebenso leise. „Wir können es nicht wissen. Bis dahin sollten wir uns diese Fragen nicht einmal stellen.“

      Das war zwar nicht das, was Dark-Night hören wollte, doch bevor sie sie weiter damit beunruhigen konnte, legte die alte Frau ihr sanft die Hand auf den Mund. Bis auf Dream-In-The-Days unterdrücktes Stöhnen herrschte lange Zeit wieder Schweigen. Dann meinte Großmutter, als hätte Dark-Night ihre Frage eben erst gestellt: „Wenn sie es nicht geschafft hätten, würden die Soldaten dort unten jetzt jubeln; aber sie sind still.“

      Damit hatte sie natürlich recht. Nur war das bisher niemandem außer ihr aufgefallen. Tatsächlich – draußen war es merkwürdig still geworden. Der Beschuss hatte aufgehört. Es drängte alle, aus der Höhle zu kriechen, um sich davon zu überzeugen, doch das wäre sehr dumm gewesen. Plötzlich wurde ihnen klar, dass niemand außer Dream-In-The-Days Mutter und Schwiegermutter von ihnen hier oben etwas wusste. Sie waren also völlig auf sich allein gestellt. Um die Zeit, bis das Baby käme, zu überbrücken und keine unnütze Grübelei aufkommen zu lassen, begann Großmutter, Geschichten aus ihrem eigenen Leben zu erzählen. Dream-In-The-Day hatte sich ein Stück Holz zwischen die Zähne geschoben, damit niemand sie jetzt, wo es vielleicht unten von Soldaten nur so wimmelte, hören konnte. Weil die Wehen stärker wurden, biss sie fest darauf. Während Großmutters Stimme leise dahinplätscherte, rückte die Geburt ihres Babys immer näher. Es konnte nicht mehr lange dauern.

      Summer-Rain hielt es vor Ungeduld kaum noch aus. Sie wollte endlich wissen, was unter ihnen vorging. Ihre Gedanken eilten bereits weit voraus. Schließlich mussten sie von hier weg. Dafür brauchten sie Pferde. Woran keine der anderen Frauen dachte, schwirrte ihr bereits seit einiger Zeit im Kopf herum. Um Gewissheit zu erlangen, wagte sie sich ungefragt ein Stück aus der Höhle. Inzwischen war es dunkel geworden, und der Mond stand schräg über ihnen im Osten. Ein Trompetensignal war zu hören; also waren die Soldaten noch in der Nähe. Summer-Rain sah die Feuer brennen, und ihr Herz klopfte laut. Die Soldaten hatten unter ihnen ihr Lager errichtet. Das hieß, dass sie noch eine Weile bleiben wollten. Auch auf der anderen Seite des Flusses waren Feuer zu sehen. Unruhig schaute sie auf die Menge der Zelte, auf die Wimpel und Fahnen, die sich im Nachtwind bewegten. Soldaten liefen dazwischen hin und her, einige waren zu Pferde, andere saßen um Feuer. Was sollten sie machen? Ratlos wandte sie sich zurück und suchte im Halbdunkel der Höhle die Augen von Großmutter, die jedoch gerade mit Dream-In-The-Day beschäftigt war.

      Wieder blickte sie hinunter. Es half nichts – ihr musste etwas einfallen. Sie hatte gehofft, die Soldaten würden abziehen. Wie es aussah, dachten diese aber nicht daran. Bis zum Fluss hinunter breitete sich das Lager aus. Immer mehr Feuer brannten und erhellten die Dunkelheit. So viele Soldaten auf einmal hatte sie noch nie gesehen. Manche von ihnen trugen Verbände, einige hinkten oder stützten sich auf ihre Kameraden. Die meisten saßen an ihren Feuern, hatten aber ihre Waffen in Reichweite neben sich liegen. Schräg unter ihr erblickte Summer-Rain ein großes Zelt vor einer Senke. Davor ging ein Posten auf und ab. Soeben ritten vier Männer vom Fluss herauf auf das große Zelt zu.

      Pawnee-Scouts. Wütend ballte sie die Fäuste. Pawnee und Comanchen hatten sich noch nie vertragen. Unbehelligt ritten sie durch dieses Lager, trugen Uniformjacken, sogar Soldatenmützen, und benahmen sich wie Sieger. Sie tat diese Gedanken mit einem Kopfschütteln ab. Viel wichtiger war die Frage: Wie lange hatten die Soldaten vor, hier zu bleiben?

      Während Dream-In-The-Day ihr Baby zur Welt brachte, blieb Summer-Rain auf ihrem Beobachtungsposten. Soeben ritten einige Soldaten mit einer größeren Anzahl Pferde unten am Geröllfeld vorbei nach Osten und entschwanden ihren Blicken. Sie musste unbedingt wissen, was sich dort befand. In ihrem Kopf begann sich eine Idee zu entwickeln. Bevor sie die Pawnee gesehen hatte, war sie davon überzeugt gewesen, es länger hier oben aushalten zu können. Nun war sie beunruhigt. Der kleinste Hinweis würde genügen, und die Pawnee würden hier heraufkommen. Weiße waren leicht in die Irre zu führen – da genügte eine einfache List. Diese Pawnee würden nicht so leicht zu täuschen sein. Und wenn es hell wurde, kam vielleicht einer von ihnen auf den Gedanken, hier hochzusteigen. Sie wandte sich um und bemerkte die Erschöpfung in Großmutters Gesicht. Die Frauen froren und es gab kein Wasser. Das letzte hatten sie Dream-In-The-Day gegeben. ‚Hier können wir nicht bleiben‘, dachte sie gerade, als das Baby geboren wurde. Deam-In-The-Day drückte es an ihre Brüste, damit seinen ersten Schrei unterdrückend. Obwohl die Geburt im Dunkeln stattgefunden hatte und das Umfeld nicht gerade geeignet für ein Willkommen war, kam es ihnen doch wie eine große Freude vor. Es war ein Mädchen. Großmutter hob das winzige Menschlein hoch und kurz in das spärliche Licht, das der Mond durch den Eingang warf. Dabei hielt sie dem Baby die Nase zu, damit es durch den Mund atmen musste und nicht schreien konnte. Das war das Erste, was Comanchenkinder lernten: nicht zu schreien.

      Dann bat sie den Großen Geist, es zu beschützen. Es wurde nicht viel gesprochen. Leise murmelten sie Gebete, dann wickelten sie das Kind rasch in eine der Decken, die sie dafür mitgenommen hatten. Das Mädchen schien gesund zu sein – mehr war nicht wichtig. Schon nach kurzer Zeit nahm Summer-Rain wieder ihren Beobachtungsposten ein. Jetzt jedoch, da sie die Pawnee fürchten musste, mit noch mehr Aufmerksamkeit. Bei dem großen Zelt vor der Senke tat sich etwas. Großmutter hatte ihr gesagt, dass dort vor gar nicht langer Zeit Light-Cloud mit Icy-Wind gekämpft hatte.

      Die vier Pawnee warteten anscheinend auf jemanden. Dann sah sie einen weißen Mann mit diesem Ding an der Seite, von dem John Black gesagt hatte, dass das ein Säbel sei. War das ihr Kriegshäuptling? Jemand brachte ihm ein Pferd, und er ritt mit den Pawnee unter dem Geröllfeld entlang. Gebannt beobachtete sie die Reitergruppe. Auf einmal hörte sie das Neugeborene hinter ihr. Nur ein kleiner, unterdrückter Schrei – mehr ein Luftschnappen. Sofort drückte Dream-In-The-Day ihrer Kleinen die Hand auf den Mund. Summer-Rain starrte erschrocken nach unten auf die Reitergruppe, denn der Wind wehte genau in ihre Richtung. Einer der Pawnee schaute hoch. Hatte er etwas gehört? Wie zur Bestätigung ihrer Befürchtung zeigte er mit ausgestrecktem Arm auf die Felsen.

      Summer-Rains Herz schlug schneller. Drei der Pawnee ritten mit dem weißen Soldaten weiter. Schon wollte sie aufatmen, doch da fiel ihr ein, dass es zuvor vier gewesen waren. Wo aber war dieser Pawnee? Er musste direkt unterhalb von ihnen sein. Eine Warnung zu den Frauen hin flüsternd, zog sie sich etwas zurück. Sie war sich sicher, dass er immer noch unter

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