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erledigt: Das Volk wählte sich falsche Führer. Wenn Schmitt nach 1945 endlich zugab, dass der „charismatische Führer“ ein destruktiver Hasadeur war, verwarf er auch seine frühere „personalistische“ Antwort.

      Schmitt flüchtete aus den Krisen der Weimarer Demokratie in die totalitäre Diktatur. Sein Werk war in den kritischen Analysen stärker als in den radikalen Antworten. Manche frühere Positionen revidierte er nach 1945. „Eine geschichtliche Wahrheit ist nur einmal wahr“ (VRA 415), schrieb er seinen Lesern nun ins Stammbuch, äußerte sich nicht mehr offen nationalistisch und verzichtete auf öffentliche Kommentare zur Bundesrepublik, der er privatim aber die Souveränität und Legitimität bestritt. Die Neue Rechte beruft sich heute gerne auf Schmitt als „Klassiker“ des Rechtsintellektualismus, da direkte NS-Anschlüsse unmöglich sind, rezipiert ihn aber meist nur mimetisch und epigonal auf niedrigem Niveau. Sie übernimmt Schlag- und Stichworte ohne originäre Analysen. Von Mohler über Maschke zu Kubitschek zeigt sich hier auch ein intellektueller Absturz. Es gibt heute erneut eine Sehnsucht nach einfachen Antworten und starken „Führern“. Die „charismatischen“ Führer und Autokraten aber entpuppen sich vielfach erneut als populistische Idioten, Dummköpfe, Hochstapler und Hasadeure. Ist Schmitts Befund einer Entliberalisierung der Demokratie heute wieder sachlich aktuell, so zeigen die populistischen Demagogen, dass der Ruf nach dem souveränen Führer und radikalen Systemalternativen keine tragende Antwort bietet. Liberalismus ohne Demokratie verkennt den Gleichheitsanspruch des Individualismus, Demokratie ohne Liberalismus und Liberalität aber wird totalitär. Nur die strikte Befristung und Beschränkung der Macht schützt vor falschen Führern.

Teil A: Gegenrevolutionäre Profilierung im geistesgeschichtlichen Spiegel

       I. Der „schmale Weg des Transzendentalismus“. Schmitts Weg zur gegenrevolutionären Souveränitätslehre

       1. Fehlende Antwort auf den Rechtshegelianismus?

      Carl Schmitt begann seine akademische Karriere als Strafrechtler. Das Strafrecht gehört zum öffentlichen Recht.1 Ähnlich wie sein Straßburger akademischer Lehrer Fritz van Calker (1864–1957) verband Schmitt es mit dem Staatsrecht, wenn er seine Habilitationsschrift der Staatsphilosophie widmete und seine Studie explizit als „philosophische Untersuchung“ (WdS 9) und „Argumentation“ bezeichnete. Er kombinierte Strafrecht und Staatsrecht also früh und grundlegend mit philosophischen Fragen. Die Kombination Strafrecht und Rechtsphilosophie war seit Kant und Feuerbach akademisch gängig, weil das Recht des Staates, seine Bürger zu bestrafen, nach liberaler Auffassung besonders begründungsbedürftig ist. Gustav Radbruch (1878–1949) vertrat diese Kombination lange in Heidelberg; Schmitt kam in Straßburg mit Max Ernst Mayer (1875–1923) in engeren Kontakt, der ebenfalls für die Verbindung von Strafrecht und Rechtsphilosophie stand.

      Die deutsche Universitätsphilosophie tendierte nach 1900, nach gängiger philosophiegeschichtlicher Einschätzung,2 zum Übergang vom Neukantianismus zum Neo-Hegelianismus, zu Lebensphilosophie und Phänomenologie. Wilhelm Windelband (1848–1915), ein Schulpapst der – von der sog. „Marburger Schule“ (Cohen, Cassirer, Natorp) sich abgrenzenden – sog. „südwestdeutschen Schule“ des Neukantianismus, hatte lange (1882–1903) in Straßburg gewirkt und 1910 bereits eine „Erneuerung des Hegelianismus“ proklamiert. Diese Schule war kultur- und wertphilosophisch akzentuiert. Schmitt grenzte sich mit seiner Habilitationsschrift auch von der „Marburger“ Ethik Cohens ab und neigte mehr der „südwestdeutschen“ Betrachtungsweise zu, wie sie in Straßburg vorherrschte.

      Der damalige Neo-Hegelianismus spaltete sich in Links- und Rechtshegelianismus. Schmitt beobachtete die Entwicklung des marxistischen Links-Hegelianismus schon vor 1933 insbesondere bei Georg Lukács (1885–1971) und fragte lebenslang, wo Hegels Philosophie aktuell dominierte und residierte: ob etwa in Berlin, Moskau oder Rom, verkürzt formuliert. Schmitt unterschied „Hegel-Linien“ und trat gerade im Spätwerk explizit in einen Kampf um Hegels Erbe ein. Diesen Kampf führte er eigenwillig jenseits buchstäblicher Hegel-Studien wie der Sekundärliteratur. Seine Hegel-Rezeption lässt sich in ihrer Intensität allenfalls mit seiner Hobbes-Rezeption vergleichen; selbständige Hegel-Studien hat Schmitt aber nicht publiziert. Der junge Hegel und die Phänomenologie des Geistes beschäftigten ihn mehr als der spätere Systemphilosoph, der in Berlin „Naturrecht und Staatswissenschaft“ systematisch miteinander verknüpfte. Zu den bekannten Autoren des zeitgenössischen Rechtshegelianismus hielt Schmitt lebenslang auf Abstand: insbesondere zur Schule Julius Binders, die den Rechtshegelianismus in die nationalsozialistische Rechtswissenschaft trug und mit Karl Larenz einen gewichtigen Autor fand, der auch in der Bundesrepublik noch durch grundlegende Lehrbücher großen Einfluss auf die deutsche Rechtswissenschaft nahm.

      Diese buchstäbliche Distanz zum zeitgenössischen Rechtshegelianismus ist höchst verwunderlich; niemand wäre damals erstaunt gewesen, wenn Schmitt den Schulterschluss gesucht und sich zum Rechtshegelianismus bekannt hätte, wie es sein bedeutender Schüler Ernst Rudolf Huber (1903–1990) nach 1933 auch tat. Schmitts ambivalentes Verhältnis zur Philosophie lässt sich schon im Verhältnis zum zeitgenössischen Neuhegelianismus sehen. Seine Hegel-Rezeption ist hier nicht nachzuzeichnen. Nur eine Bemerkung sei erinnert: In den Verfassungsrechtlichen Aufsätzen heißt es 1958 in einer Glosse:

      „Schon meiner Dissertation ‚Über Schuld und Schuldarten‘ von 1910 hatte Karl Binding mit vollem Recht entgegengehalten, dass ihr die Auseinandersetzung mit dem Hegelianischen Strafrecht fehlt. In den folgenden Jahrzehnten bin ich den bedeutenden hegelianischen Rechtsphilosophen meiner Zeit, Julius Binder und Karl Larenz, eine Erwiderung auf ihre Argumente schuldig geblieben. An dieser Stelle kann ich das große Versäumnis nicht nachholen.“ (VRA 428)

      Die erwähnte Bemerkung von Karl Binding (1841–1920) ist nicht bekannt. Im Frühwerk hat Schmitt Binding rezipiert. Wahrscheinlich wardiese Rezeption für die Klärung seines Ansatzes auch wichtig; Schmitts Verhältnis zu Binding ist aus den Quellen aber kaum zu klären. Karl Larenz (1903–1993) hat Schmitt sicher gekannt; er gehörte wie Huber zu der jüngeren Generation, die im Nationalsozialismus die Lehrstühle (oft exkludierter Gelehrter) besetzte und die Rechtswissenschaft massiv nazifizierte. Binder und Larenz sahen die Nähen ihres neuhegelianischen Ansatzes zu Schmitts „konkretem Ordnungsdenken“3 und äußerten sich wiederholt zu dessen Schriften, während Schmitt schwieg. Was eine forcierte Hegelianisierung des Nationalsozialismus über Schmitt hinaus bedeutet, lässt sich damals an Hubers Schriften beobachten.

      Auch im Nationalsozialismus mied Schmitt weiter eine philosophisch-systematische Fundamentierung. 1958 sprach er in seiner Glosse nicht nur vom Hegelianischen Strafrecht,4 sondern von Hegel allgemein. Wenn er Binder und Larenz namentlich erwähnte, meinte er vermutlich weniger die Schriften als die schulbildende Wirkung Binders in Göttingen insbesondere auf Larenz.5 Ansonsten ist kaum verständlich, dass Schmitt schreibt, er sei Binder eine „Erwiderung“ schuldig geblieben. Zwar hat er dessen Göttinger Spätwerk seit 1919 kaum beachtet, insbesondere dessen 1925 erschienene Philosophie des Rechts nicht; Binders propädeutisches Werk Rechtsbegriff und Rechtsidee von 1915 aber hat er eingehend rezensiert. Diese 1916 erschienene Rezension ist ein Abschluss der „rechtsphilosophischen“ Grundlegungsarbeit des Frühwerks. Sie markiert eine Positionierung im Übergang vom Neukantianismus zum Neo-Hegelianismus und klärt Schmitts Distanz zum Neuhegelianismus in der Rechtswissenschaft. Als Abschied von expliziter rechtsphilosophischer Fundamentierung ist sie ein Epochenabschluss im Werk.

       2. Erste Antwort auf Neukantianer

      Schmitts Schrift Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, spätestens Januar 1914 bei Mohr erschienen,6 1916 als Habilitationsschrift in Straßburg eingereicht und 1917 erneut publiziert, stellt sich einleitend die Aufgabe, „den Staat in seiner Vernünftigkeit“ (WdS 15) zu erkennen. Mit dem liberalen Strafrechtsphilosophen P. J. A. Feuerbach geht Schmitt hier davon aus, dass Kant an der Trennung von Recht und Ethik gescheitert sei, weil „Recht nicht aus der Ethik abgeleitet“ (WdS

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