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Neigungen nicht nur in Katalonien, „Brexit“, einen dramatischen Umbruch der Parteiensysteme u.a. in Italien und Frankreich, rechtspopulistische Herausforderungen in vielen europäischen Staaten. Die großen europäischen Kernstaaten regierten schon vor den Corona-Zeiten mehr oder weniger im Krisenmodus. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie folgte 2020 ein globaler Ausnahmezustand, der zu starken Einschränkungen von Grundrechten und Prinzipien der liberalen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit führte. Eine unproblematisch stabile liberale und parlamentarische Demokratie findet sich heute fast nirgendwo. Fast überall zeigt sich eine „Wendung“ zum autoritären, exekutiven oder totalen Staat, wie sie Schmitt im Untergang der Weimarer Republik für die frühen 1930er Jahre schon als Folge einer Zwischenkriegs- und Krisenzeit diagostiziert hatte.

      In der Bundesrepublik erinnerte die Regierungsbildungskrise 2017/18 am Beginn der vierten Amtszeit Angela Merkels erneut an Weimarer Verhältnisse: 1930 war die Sozialdemokratie in Weimar aus einer Koalitionsregierung ausgestiegen und es gab bis zum Januar 1933 nur noch sog. Präsidialkabinette, vom Reichspräsidenten gestützte Minderheitsregierungen, um Neuwahlen zu vermeiden, die extremistische Parteien (NSDAP, KPD) gestärkt hätten. Bundespräsident Steinmeier erinnerte an diese historische Parallele, als er seine SPD 2018 zur Regierungsverantwortung und neuerlichen Merkel-GroKo ermahnte. Die Furcht vor Neuwahlen blieb die Amtszeit Merkel IV hindurch aktuell, ein plötzlicher Bruch der arg gebeutelten und geschrumpften GroKo wurde nur pragmatisch vermieden. Einige Jahre lang erlebten wir das katastrophale Scheitern der Conservative Party und des politischen Systems des United Kingdom an der Brexit-Entscheidung von 2016. Das Mutterland der parlamentarischen Demokratie und des Liberalismus zerlegte sich selbst. Es zerstörte dabei nicht nur seine parlamentarische Kultur, sondern diskreditierte auch das Instrument der Volksabstimmungen, das vor wenigen Jahren noch vielfach als Hoffnungsanker galt. Trump verleugnete Ende 2020 seine Wahlniederlage und rief fast unverblümt zum Sturm auf das Capitol auf, sodass ein zweites Impeachment-Verfahren eingeleitet wurde. Die Mehrheit der Republikaner hielt aber weiter zu Trump und lehnte eine Amtsenthebung ab. In der Bundesrepublik wäre sie deshalb vielleicht ein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz. Natürlich ermöglichen solche Krisen auch heilsame Reformen und Regenerationsprozesse. Es wäre aber naiv anzunehmen, dass die Verheißungen liberaler Demokratie aus diesen Krisen unbeschadet wiederauferstehen. Verkündigte mancher nach 1989 noch sehr vollmundig den definitiven Triumph der demokratischen Mission der Westlichen Welt, ist heute der kritische Befund der Zwischenkriegszeit nach 1918 erneut aktuell, dass der „bürgerliche“ Liberalismus in seinen elementaren Bestandsvoraussetzungen eklatant gefährdet und geschwächt ist.

      Wer einem solchen Krisenbefund zustimmt, wird sich über das weltweite aktuelle Interesse an Carl Schmitt (1888–1985) nicht wundern.13 Schmitt war ein scharfer Kritiker des Liberalismus, Vordenker des „autoritären“ und „totalen“ Staates, Apologet des Weimarer Präsidialsystems und „Kronjurist“ des Nationalsozialismus. Als junger, hochbegabter Jurist beobachtete er schon vor 1918 den Wandel zur Militärdiktatur unter den Bedingungen des Krieges und folgte diesem Zug zur Diktatur dann als Lebensthema. Als Staatsrechtslehrer konzentrierte er sich dabei auf die deutschen Verhältnisse. 1921 publizierte er eine erste große Monographie Die Diktatur, die ihm sogleich Berufungen nach Greifswald (1921) und Bonn (1922) eintrug. 1928 wechselte er nach Berlin und kehrte 1933 nach kurzem Kölner Intermezzo wieder dahin zurück. 1945 verlor er infolge seiner starken nationalsozialistischen Belastung seine Berliner Professur.

      Seit den 1920er Jahren publizierte er in rascher Folge grundlegende und schlagkräftige Schriften, die heute in vielen Sprachen intensiv diskutiert werden. Genannt seien nur: Politische Theologie (1922), Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), Der Begriff des Politischen (1927), Verfassungslehre (1928), Der Hüter der Verfassung (1931), Legalität und Legitimität (1932). Schmitt trennte strikt zwischen Liberalismus und Demokratie. Den Parlamentarismus betrachtete er dabei als eine liberale Form politischer Willensbildung und Entscheidung. Schmitt betonte aber eine Spannung von Idee und Realität; er meinte, dass die parlamentarische Debatte sich in der modernen Demokratie nicht mehr „rationalistisch“ an politischer Argumentation und Überzeugung ausrichtet, sondern dass der einzelne Abgeordnete zum abhängigen Agenten im „Parteienstaat“ der Parteilinie mutiert. In seiner Verfassungslehre kennzeichnete er das liberale Verfassungsdenken vor allem durch die strikte Gesetzesbindung, Gewaltenteilung und starke Grundrechtsbestimmungen. Er meinte, dass die Verbindung von Demokratie mit Liberalismus, die uns heute um der Liberalität willen selbstverständlich erscheint, eigentlich historisch ist und demokratische Gleichheit sich auch antiliberal und außerparlamentarisch in anderen Formen politischer Willensbildung äußern und organisieren kann. Die Weimarer Republik eröffnete der „unmittelbaren Demokratie“ hier u.a. den außerparlamentarischen Weg des Volksbegehrens und Volksentscheids. Der politische Extremismus nutzte diese Instrumente zur Schwächung des parlamentarischen Systems.

      Anders als die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik bot die Weimarer Verfassung mehr Möglichkeiten für eine antiparlamentarische Regierungsbildung.14 Der Reichspräsident wurde in Weimar direkt vom Volk für sieben Jahre gewählt. Nach dem Tod Friedrich Eberts übernahm Paul von Hindenburg, der einstige Generalfeldmarschall, Kriegsheld und Träger der Militärdiktatur, das Amt; 1932 wurde er gegen Hitler wiedergewählt. Weil der Reichstag seit 1930 keine parlamentarisch getragene Regierung mehr wählte, stützte Hindenburg Minderheitsregierungen. Im Januar 1933 ernannte er Hitler, den erklärten Totengräber der Republik, zum Kanzler und ermöglichte so den Untergang Weimars. Schmitt rechtfertigte die „kommissarische Diktatur“ des Präsidialregimes exponiert und trat spätestens seit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 zum Nationalsozialismus über. Er suchte nun die Nähe zu nationalsozialistischen Spitzenpolitikern wie Hermann Göring und Hans Frank und wirkte bis 1936 in wichtigen Funktionen an der nationalsozialistischen Gleichschaltung des Rechtssystems und der Rechtswissenschaft mit. Bis 1942 rechtfertigte er den nationalsozialistischen Imperialismus als herrschaftliche „Großraumordnung“.

      Schmitt beobachtete nicht nur einen Zug zur Diktatur, sondern rechtfertigte diese Entwicklungen auch sehr grundsätzlich. Er war tatsächlich davon überzeugt, dass eine politische Ordnung Deutschlands jenseits der liberalen und parlamentarischen Demokratie legal und legitim möglich sei. Dabei verstand er sich als Jurist, der auf dem Boden des geltenden Rechts argumentiert. Begrifflich trennte er zwischen Legalität und Legitimität. Die Rede von „Legitimität“ meidet das stärkere Wort vom „Naturrecht“ und betont den historischen Wandel der Rechtsauffassungen. Als antiliberaler Denker und lebensphilosophischer „Existentialist“ lehnte Schmitt ein katholisch-christliches „ewiges“ Naturrecht ebenso ab wie das universale Vernunftrecht der Aufklärung und des deutschen Idealismus nach Kant. Schmitt dachte radikal politisch und nationalistisch. Die „dynastische Legitimität“ der Kaiser und Könige hatte seiner Auffassung nach im Weltkrieg kläglich versagt und abgedankt. Zur Rechtfertigung des Rechts blieb deshalb nur die „demokratische Legitimität“. Schmitt erklärte mit seiner Verfassungslehre den politischen „Willen“ der Nation zum Geltungsgrund des Rechts, zur Legitimität der Legalität. Diesen „Willen“ bezeichnete er auch als „Macht oder Autorität“ und sprach im Vokabular des Existentialismus von einem „Recht auf Selbsterhaltung“. Als Jurist bemühte er sich weniger um die rechtsphilosophische Klärung seiner Legitimitätsauffassung als um die nationalistische Mobilisierung des politischen „Willens“, der die Verfassung tragen sollte. Er setzte keinen starken Rechtsbegriff gegen die herrschende Legalität und Legitimität, sondern analysierte zunächst nur die Rechtsgrundlagen der geltenden Verfassung.

      Die Weimarer Republik entstand nach dem Ersten Weltkrieg unter äußerst schwierigen Rahmenbedingungen; Schmitt betrachtete sie zwar als ein „Diktat“ der Sieger des Ersten Weltkriegs, akzeptierte sie aber auch als „Verfassungsentscheidung“ nach dem klassischen Drehbuch des Nationalstaats: durch die Wahl einer Nationalversammlung, Verfassungsentwürfe und die positive Entscheidung der Nationalversammlung. Schon die Verfassungslehre meldet aber Vorbehalte an: Der tragende politische Wille kann schwächeln, schwinden oder auch revolutionäre Alternativen suchen. Die Autorität der Verfassung steht zur Disposition der revolutionären verfassunggebenden Gewalt.

      Artikel 1 der Weimarer Verfassung verfügte: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Das

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