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und gab dem diktatorischen Institut des Kommissars den Nimbus charismatischer Erwählung mit ausufernden Zuständigkeiten. Sein „Kulturprogramm“ forderte eine strikte Trennung von Staat und Kirche, monumentale Revolutionsarchitektur, eine „Lebensgemeinschaft“ der „Meister“ mit ihren Schülern und eine „Streichung der theologischen und juristischen Fakultät“ an den Hochschulen. An seine Mitarbeiter im Ministerium schrieb Landauer am 12. April:

      „Unter Räteregierung ist nichts anderes zu verstehen, als daß das, was im Geiste lebt und nach Verwirklichung drängt, nach irgendwelcher Möglichkeit durchgeführt wird. Wenn man unsere Arbeit nicht stört, so bedeutet das keine Gewalttätigkeit; nur die Gewalt des Geistes wird aus Hirn und Herzen in die Hand und aus den Händen in die Einrichtungen der Außenwelt hineingehen.“135

      Landauer erteilte sich damit eine unbeschränkte Vollmacht jenseits bürokratischer Formen. Landauer akzeptierte Diktatur, Putsch und revolutionäre Gewalt. Seine charismatische Apologie einer amorphen „Gewalt des Geistes“ war ein klarer Fall von „Erziehungsdiktatur“, wie Schmitt sie 1923 in seiner Broschüre über Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus als „Schicksal der Demokratie“ und Dialektik der Revolution beschrieb: „Die Konsequenz dieser Erziehungslehre ist die Diktatur, die Suspendierung der Demokratie im Namen der wahren, erst noch zu schaffenden Demokratie.“ (GLP 37)

      In der Nacht von Landauers diktatorischer Dienstanweisung, vom 12. zum 13. April, putschte das Münchner Militär und verhaftete einige Mitglieder der Räteregierung. Nun kam die Stunde der Kommunisten, die sich strategisch im Hintergrund gehalten hatten und an der ersten Räteregierung nicht beteiligt waren. Die bolschewistischen Berufsrevolutionäre Eugen Leviné und Towia Axelrod, in Russland geboren, organisierten den gewaltsamen Widerstand gegen das Militär. Landauer und Niekisch schieden aus dieser zweiten Räteregierung aus. Umgehend kam es zu einer Reichsintervention mit Beteiligung des Freikorps Epp. Ende April eskalierten die Kämpfe. Die kommunistische Führungstroika tauchte unter. Anfang Mai wurde München durch Regierungstruppen befreit. „Gustav Landauer wurde festgenommen und im Gefängnis Stadelheim ohne Verhandlung von Soldaten ermordet.“136 Die gewählte Regierung Hoffmann übernahm nun vorübergehend wieder die Macht. Landauer war damals wohl der einzige Revolutionsführer, der ohne Prozess ermordet wurde. Viele andere wurden von Standgerichten und Volksgerichten abgeurteilt, aber nur Leviné wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Da Landauer nur der ersten Räteregierung angehört hatte, wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach, wie Erich Mühsam oder Ernst Toller, lediglich zu Festungshaft verurteilt worden.

       3. Schmitts Mauthnerkritik

      Carl Schmitt äußerte sich niemals eingehend über Landauer und den zeitgenössischen Anarchismus. Er positionierte sich auch zu philosophischen Klassiker wie Kant, Nietzsche oder Dilthey nur beiläufig; es ist also nicht nachweisbar, wie er Landauer wahrnahm. Wenn Landauer aber von Mauthner her verstanden werden kann, so gibt Schmitts frühe Mauthner-Kritik einigen Aufschluss. Für seine erkenntnistheoretische Positionsnahme waren frühe Auseinandersetzungen mit Mauthner und Vaihinger wichtig. Für Mauthners Problemstellung fand Schmitt dabei mit Vaihingers Fiktionalismus gleichsam die Lösung. Deshalb verschwand Mauthners Name nach 1914 aus seinem Werk. Zwei deutliche Spuren hat die Auseinandersetzung mit Mauthner aber im Werk hinterlassen: eine Miszelle und eine satirische Parodie: Als Rechtsreferendar in Düsseldorf publizierte Schmitt in einer Monatsschrift für deutsche Kunst, dem von Wilhelm Schäfer herausgegebenen Organ Die Rheinlande, vor 1914 mehrere kleine Miszellen. 1913 erschien seine Mauthner-Miszelle unter dem Titel Die Philosophie und ihre Resultate. Sie kritisiert das gerade erschienene Wörterbuch der Philosophie. Schmitt verteidigt Mauthner hier eingangs gegen den „Gerichtshof“ des banalen Publikums. Er kritisiert aber, dass „ein imponierender Aufwand von Scharfsinn und Tiefe des Geistes als inhaltliches Ergebnis ein armseliges Mäuslein gebiert“.137 Schmitt meint, dass Mauthners Philosophie systematisch nicht vertretbar sei; Sprachgeschichte und Sprachkritik treffen nicht den idealen Geltungsanspruch der Erkenntniskritik. Die praktische Wahrheitspräsupposition sei unhintergehbar. Grundsätzlich meint Schmitt: „Das Problem der Wahrheit und das der Objektivität ist nicht identisch mit dem der Intersubjektivität.“138 Mauthners Methode hält er aber für fruchtbar. Er bestätigt dem Wörterbuch Einsichten in die alltagssprachliche Form des philosophischen Vokabulars und betont die anregenden „Beobachtungen und Ergebnisse“ im Detail. Schmitt sieht Mauthner in der Tradition der Skeptiker und würdigt seine zentrale Einsicht, dass es „noch andere Richtigkeit [gibt] als die sprachliche“. Er nennt ihn einen „Mensch[en] mit guten Augen“ und verwendet also eine mystische Metapher für den Mystiker.

      Die Mauthner-Miszelle ist ein Gelegenheitswerk. Intensiver beschäftigte sich Schmitt damals mit Vaihinger. Wenn er seine Vaihinger-Rezension in der Deutschen Juristen-Zeitung mit dem Titel „Juristische Fiktionen“139 überschrieb, ist der Rezeptionsgesichtspunkt bezeichnet, weshalb er Vaihinger gleichsam als pragmatische Antwort auf Mauthner las. Schmitt interessierte sich für den Fiktionalismus als praktische Philosophie und Ansatz zu einer pragmatischen, handlungsorientierten Auffassung der Sprache. Der Jurist setzt die praktische Bedeutung sprachlicher Fiktionen als Normen voraus. Die Tragweite von Vaihingers Fiktionalismus prüft Schmitt damals gleich in mehreren kleinen Texten und parodiert Mauthner dann in seiner Jugendsatire Schattenrisse als rechthaberischen Vielschreiber.140 Satirisch ergänzt er Mauthners Wörterbuch um einen Eintrag „Schmarrn“ und karikiert den Argumentationsstil so: „Denken ist Sprechen, Sprechen ist Muskelbewegung, Muskelbewegung ist Anstrengung, Aristoteles ist unangenehm, unangenehm ist Aristoteles, folglich ist Denken Schmarrn.“ (TB 1912/15, 343)

      Schmitt charakterisiert Mauthner durch einen „jüdischen Witz“. Er greift Mauthners Rede vom „Witz“ der Sprache auf und ersetzt die „Sprache“ durch den Verweis auf das Judentum; er persifliert Mauthner als Juden, in einem satirischen Buch, das er zusammen mit seinem jüdischen Jugendfreund Fritz Eisler pseudonym schreibt. Im Wert des Staates verweist er in einer Fußnote auf Mauthner, wenn er Lichtenbergs „es denkt in mir“ gegen Mauthner als „Ausdruck der überindividuellen Gültigkeit jeder richtigen Norm“ rechtfertigt. Schmitt trennt in Rezension und Satire zwischen der anregenden Wirkung von Mauthners Wörterbuch und der problematischen Philosophie insgesamt. Die Destruktion der Sprache als Verständigungsmittel findet er als Jurist absurd; er teilt aber Mauthners Anliegen, durch die Sprache hindurch zu einer präreflexiven Mystik zu finden. Damals war Schmitt bereits mit dem expressionistischen Dichter Däubler befreundet. In seinem 1916 erschienenen Buch Theodor Däublers ‚Nordlicht‘ spricht er dem Dichter das Verdienst zu, die Sprache vom „Naturalismus“ der Verständigung emanzipiert zu haben. Schmitt attestiert Däubler „die Umschaffung der Sprache zu einem rein künstlerischen Mittel“ und eine „absolute Musik der Sprache“.141 Die „Transzendenz“ des „Geistes“ betrachtet er als eine Wendung vom „Utilitaristimus“ der „Mittel“ zum ursprünglichen oder religiösen „Zweck“.

      Schmitt bejahte die expressionistische Emanzipation der poetischen Sprache vom alltäglichen Verständigungsmittel und löste seine Stellung zwischen Kaserne und Bohème, Alltag und Mystik in einen Dualismus der Perspektiven auf. Schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterschied er im Wert des Staates zwischen „Zeiten des Mittels und Zeiten der Unmittelbarkeit“ (WdS 197). Als doppelte Optik von Normal- und Ausnahmezustand hielt er an dieser Unterscheidung im Gesamtwerk fest. Oft wurde er einseitig in das Lager der Unmittelbarkeit und des apokalyptischen Ausnahmezustands gestellt. Der Jurist kann aber eigentlich nur ein „Advokat der Mittelbarkeit“ (WdS 108) sein. Schmitt war zwar der Meinung, dass die politische Theorie im 20. Jahrhundert von der „irrationalistischen“ Willensbildung der Massen ausgehen und die Medien politischer Kommunikation darauf ausrichten muss. Er wünschte als Jurist aber den „Aufschub“ und die rechts- und verfassungsstaatliche Formierung eines Normalzustands. Dem apokalyptischen „Einbruch“ des Ausnahmezustands konnte er aber in seiner doppelten Optik und expressionistischen Prägung einen postkonventionellen religiösen und mystischen Sinn abgewinnen. Mauthner gehörte dabei zu den Autoren, die ihm früh einige Stichworte gaben.

      

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