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in die alte Tonkanne und goss den Tee auf. Er wartete drei Minuten, bevor er sich eine Tasse einschenkte. Etwas Warmes von innen, etwas Tröstliches, etwas Vertrautes. Hanjo sah auf das kleine eingerahmte Foto von Freya und seufzte. »Alles ist gut! Du musst dir keine Sorgen machen.«

      Seit er sie verloren hatte, quälten ihn wieder furchtbare Träume. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder etwas besser fühlen würde, hatte der Arzt gemeint und ihm ein paar Tabletten verschrieben. Hanjo wusste es besser. Keine Medizin der Welt würde ihm wirklich helfen. Er selbst musste einen Schlussstrich unter sein altes Leben ziehen. Dann würde er auch die Decke nicht mehr brauchen und all die anderen Sachen, von denen er sich noch nicht trennen konnte. Doch vorher gab es noch ein paar Dinge zu erledigen.

      Olli lag im Alkovenbett seines Wohnmobils und presste sich die Fäuste auf die geschlossenen Augen. Die Sonne schien durch die offene Dachluke. Eigentlich liebte er es, von Sonnenlicht geweckt zu werden, doch heute schmerzte es, wie ein Messer in seinem Kopf. Er hatte einen entsetzlichen Kater. Olli rollte sich auf die Seite. Seine Arme suchten nach ihr, vergeblich. Sie war weg. Er war ganz allein. Natürlich, dachte er. Sarah war nicht mehr da. Sein Herz zog sich für ein paar Sekunden zusammen und in seinen Augen brannten Tränen der Wut, wenn er an den gestrigen Abend dachte. Warum hatte sie das getan? Er hatte sie wirklich geliebt und er war vorher lange nicht mehr verliebt gewesen. Sarah war am Abend zu ihm ins Wohnmobil gekommen. Er hatte bereits auf sie gewartet und eine gute Flasche Rotwein entkorkt. Doch sie wollte keinen Wein, sie wollte sich nicht einmal setzen. Sie war in der offenen Tür stehen geblieben und hatte Schluss gemacht. Sie könne eben nicht mehr mit ihm zusammen sein, hatte sie gemeint. Erst hatte er gedacht, er habe sie falsch verstanden, dann glaubte er an einen schlechten Scherz. Er solle kein Drama daraus machen, hatte sie kalt erwidert. Er hatte zwei Gläser eingeschenkt und sie gebeten, zu bleiben und mit ihm zu reden. Er hatte doch nur wissen wollen, warum? Er hatte sie regelrecht angefleht. Sie würde sich freuen, wenn sie Freunde blieben und er ihr weiter beim Training helfen könnte. Sie hatte noch leise ›sorry‹ gemurmelt und war dann in die Nacht verschwunden. Er hatte eine Flasche Whisky geöffnet und den Abend mit Jack Daniels verbracht. Olli konnte sich nicht mehr erinnern, wann und wie er ins Bett gekommen war. Es war lange her, dass er sich bis zum Filmriss besoffen hatte. Mit zittrigen Beinen stieg er die Leiter hinunter. Es musste noch verdammt früh sein, aber an Schlaf war gar nicht mehr zu denken. Er stellte einen Topf mit Wasser auf den Gasherd, bevor er ins Bad ging. Die kalte Dusche hatte nicht den gewünschten Effekt. Er fühlte sich noch immer furchtbar und die Kopfschmerzen hatten auch nicht nachgelassen. Das Wasser war fast verkocht, als er wieder an den Herd kam. Olli goss den Rest in einen Becher und rührte löslichen Kaffee dazu. Dann öffnete er die Tür und setzte sich auf die Treppe. Der Himmel war strahlend blau und der Wind perfekt. Sarah mochte dieses Wetter genauso sehr wie er. Es würden wieder unzählige gut gelaunte Surfer durch die Wellen jagen. Olli campierte schon seit Saisonbeginn auf der großen Wiese. An den Wochenenden hatte er immer jede Menge Nachbarn. Auch in dieser Nacht waren noch ein paar Busse und Wohnmobile gekommen, doch es war noch keine Menschenseele wach. Die berühmte Ruhe vor dem Sturm, dachte er. In ein paar Stunden würde in der Bucht die Hölle los sein. Seit ein paar Jahren arbeitete Olli in den Sommermonaten als Kite- und Surflehrer für Hanjo. Schon als kleiner Junge hatte er jede freie Minute hier verbracht. Heute wünschte er sich zum ersten Mal weit weg. Der Kaffee schmeckte bitter, doch Olli zwang sich, ihn trotzdem zu trinken. Wie sollte er den Tag durchstehen? Sein Leben hatte sich über Nacht geändert. Er fühlte sich genauso elend, wie vor vielen Jahren. Damals war er am Ende gewesen und seine erste Liebe tot.

      Stefan zündete sich die nächste Zigarette an. Sein Hals kratzte bereits. Sophie machte ihn aggressiv. Als er Tina damals kennengelernt hatte, hatte er sich wirklich bemüht, zu Sophie ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Doch diese arrogante Ziege hatte ihn immer von oben herab behandelt. Sophie war einfach oberflächlich und karrieregeil. Sie hatte ja nicht mal davor zurückgeschreckt, als Polizeireporterin zu arbeiten. Stefan hasste diese Blutsauger, die sich mit ihren Kameras auf Unfallopfer, Zeugen und Leichen stürzten. Sie waren wie Aasgeier. Jede Katastrophe machte sie glücklich und satt. Während er versuchte, das Böse zu bekämpfen, hofften sie auf eine fette Story. Je grausamer das Verbrechen, desto größer die Schlagzeile. Stefan drückte die halb gerauchte Zigarette im vollen Aschenbecher aus. Mehrere Kippen fielen dabei auf den Boden. Auch wenn Sophie schon lange nicht mehr in diesem Metier arbeitete, blieb sie in seinen Augen eine Leichenfledderin. Sie hatte den Opfern das Letzte genommen, die Ehre. War er ungerecht? Seine Frau wirkte so glücklich über den Besuch. Sophie war nun einmal ihre Freundin und Tina hatte ein bisschen Abwechslung bitter nötig. Aber musste Sophie gleich zwei Wochen bleiben? Sonst residierte sie doch lieber in Luxushotels. Seine Frau hatte ihn eindringlich gebeten, keinen Streit vom Zaun zu brechen. Stefan seufzte. Er würde das Beste aus der Situation machen. Vielleicht war er einfach zu empfindlich. Die Hauptsache war doch, dass er das Wochenende mit seinen Kindern verbringen würde. In dieser Sekunde klingelte sein privates Handy. Stefan nahm das Gespräch an. »Hey, Süße! Ich bin gleich bei euch!«

      »Süße? Finde ich wirklich nett, aber ich muss dich da enttäuschen. Ich bin es nur, die lästige Sophie.«

      »Ist was mit Tina oder den Kindern?« Plötzlich wurde ihm heiß und kalt vor Angst. Dass Sophie in freundschaftlicher Absicht anrief, war ausgeschlossen.

      »Nein, alles in Ordnung mit deiner Bande! Hör zu! Ich stehe hier am Strand vor einer Leiche. Pelle hat sie gefunden.«

      Stefan entspannte sich. Aber was erzählte die Verrückte da? »Eine Leiche? Bist du sicher?«

      »Ob ich sicher bin?«, fragte Sophie gereizt. »Ich stehe einen Meter vor ihr! Sie ist um die 25 und sie war bestimmt mal sehr hübsch.«

      Sie nervte ihn mit ihrem oberschlauen Getue. Er wurde regelrecht wütend. »Ach ja! Die Polizeireporterin hat mal wieder alles unter Kontrolle! Schon Fotos gemacht? Wie lautet denn die Schlagzeile?«

      »Mensch, hör auf mit den alten Geschichten. Das ist ja lächerlich! Ich stehe vor einer Leiche, kapiert! Was soll ich jetzt machen? 110 anrufen? Oder kommst du selbst?«

      »Wo?«, fragte er etwas ruhiger.

      Sophie klang freundlicher. »In Gold.«

      »Bleib einfach da stehen! Ich bin spätestens in 15 Minuten da. Und fass ja nichts an!«

      »Nein? Gut, dass du mir das sagst! Mann! Bring deinen Arsch hierher, ich hab ein mulmiges Gefühl. Irgendetwas stimmt da nicht.«

      Stefan fluchte laut. Sophie hätte vollkommen ausgereicht, um ihm sein Wochenende zu verderben. Musste sie auch noch über eine Leiche stolpern? Er atmete tief durch und wählte die Nummer der Kollegen auf Fehmarn.

      »Polizeiwache Burg. Larrson am Apparat.«

      »Broder, ich bins, Stefan Sperber.«

      »Mensch! Schön, dass du dich mal meldest. Auch wenn es noch verdammt früh ist.«

      »Wetten, du bist gleich anderer Ansicht? In Gold liegt angeblich eine Leiche!«

      Stefan feuerte sein Handy auf den Beifahrersitz und schlug heftig gegen das Lenkrad. Dann bog er ab und fuhr auf der kleinen Straße nach Gold. Mulmiges Gefühl? Lächerlich! Sophie witterte nur eine Story. Sie konnte es wohl doch nicht lassen. Ein Hund, der Blut einmal geleckt hatte, würde immer wieder jagen. Hunde durfte man aber zumindest erschießen.

      Ben hörte sein eigenes Herz klopfen. Luftblasen stiegen an die Oberfläche. Ihr langes Haar schwebte im Wasser wie Seegras und umrahmte ihr angstverzerrtes Gesicht. Er konnte sehen, dass sie schrie. Er wollte ihr helfen, doch er kam nicht an sie heran. Algen hatten seine Füße gefesselt. So sehr er auch strampelte, er konnte sich nicht befreien.

      Ben schreckte hoch. Er war verschwitzt und seine kinnlangen Locken klebten ihm im Gesicht. Er hatte nur geträumt. In Wirklichkeit lag er auf der Matratze in seinem Bus. Seine Beine hatten sich in einem Sarong verfangen. Die Algen, dachte er. Er befreite sich aus dem bunten Tuch und feuerte es wütend in die Ecke. Er schob die Seitenschiebetür seines klapprigen Ford Transit zur Seite, um frische Luft hereinzulassen. In der Nacht waren noch mehr Busse und Wohnmobile gekommen. Die Wiese sah aus wie ein Campingplatz. Bei diesem wunderbaren Wetter und dem konstanten Wind war das ja auch kein

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