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am ehesten der im allgemeinen Sprachgebrauch geläufigen Bedeutung von Ressentiment entspricht die Selbststeigerung durch Herabsetzung des Anderen. Scheler beschreibt diesen Mechanismus als »Werttäuschung«, als die »illusionäre Herunterdrückung der wertvollen Eigenschaften des Vergleichsobjekts« beziehungsweise als eine »spezifische ›Blindheit‹ für sie«.35 Der Druck, der auf dem Selbst angesichts seiner ewigen Unterlegenheit lastet, vermindert sich, sobald der Andere seiner Überlegenheit beraubt ist. Je mehr das Vergleichsobjekt in seinem Wert herabgesetzt wird, desto mehr löst sich die Spannung zwischen der angestrebten Selbstbehauptung und der eigenen Unfähigkeit dazu. Auf diese Weise gelingt es, das eigene »Lebens- und Machtgefühl« wieder zu steigern – »wenn auch auf illusionärer Grundlage«.36 Dabei bilden die ressentimentalen Entwertungsmechanismen vielfältige Strategien aus. Bei der direkten Herabwürdigung wird schlichtweg der Wert des Anderen geleugnet, der Wert seiner Person, seiner Eigenschaften und Fähigkeiten, seiner Leistungen und Errungenschaften. Scheler verweist auf die Metapher vom Fuchs und den zu sauren Trauben. Der Fuchs, der sehnsüchtig nach den schon überreifen Trauben blickt, sie aber trotz mehrerer Versuche nicht erreichen kann, weil sie zu hoch hängen, wendet sich schließlich von ihnen ab mit dem Hinweis, dass sie ihm ja noch zu unreif und darum zu sauer wären.37 Bei der indirekten Herabwürdigung werden dem Anderen nicht rundheraus sein Wert, seine Vorzüge und Erfolge abgesprochen – stattdessen »wird etwas, ein A, bejaht, geschätzt, gelobt, nicht um seiner inneren Qualität willen, sondern in der – aber ohne sprachlichen Ausdruck bleibenden – Intention, ein anderes, B, zu verneinen, zu entwerten, zu tadeln. Das A wird gegen das B ›ausgespielt‹«.38 Um im Bild zu bleiben: der Fuchs würde etwa unter dem Hinweis, dass die tiefer hängenden Brombeeren doch viel besser schmecken und eigentlich niemand Trauben wirklich mag, betont lässig davon trotten. Alternativ beschreibt Scheler die Herabwürdigung des Anderen nicht durch die Leugnung seines Werts, sondern durch Modifikation des Wertungssystems selbst. Nicht der Wert der Person des Anderen und seiner Qualitäten wird dann geleugnet, sondern der Wertmaßstab, nach dem dieser bisher bemessen wurde, wird auf den Kopf gestellt, das bisher Gute als doch eigentlich schlecht umgedeutet. Während der Fuchs eben noch die Reife der Trauben leugnete, was ja nach wie vor den Wohlgeschmack süßer Trauben zur Grundlage hat, gesteht er jetzt zu, wie reif und süß die Trauben sind – besteht aber zugleich darauf, dass süße Trauben nicht schmackhaft und nur dann wirklich gut seien, solange sie sauer sind! Die Modifikation des Wertungssystems, an dem sich der Eigen- und Fremdwert ermisst, bezeichnet Scheler in Anlehnung an Nietzsche sogar als »Hauptleistung des Ressentiment«. An diesem Punkt setze die »Fälschung der Werttafeln« ein und das Ressentiment beginne, selbst schöpferisch zu werden und neue Werte und Ideale durch die Umwertung des bestehenden Wertekanons hervorzubringen.39 Hier deutet sich denn auch die epochale Wirkungsgeschichte an, die Nietzsche dem Ressentiment in der Genealogie der Moral herbei schreibt, wie weiter unten noch zu betrachten sein wird.

      Der Ressentimentale greift zur Deutungshoheit über das, was gut und das, was schlecht beziehungsweise böse ist. Er besetzt die Positionen, die eben noch als wertvoll galten – denen er aber aufgrund der eigenen Unzulänglichkeiten nicht gerecht zu werden vermag – nun negativ, als unwert, als verwerflich. Aber eben nicht, weil diese intrinsisch schlecht oder verachtenswert wären – sondern allein aus der eigenen Ohnmacht, diese erfüllen zu können, heraus. Konsequenterweise wird das Gegenteil von dem, woran er aus seiner Ohnmacht heraus scheitert – also das, was er selbst verkörpert – nun positiv besetzt. So wird der Ressentimentale selbst derjenige, der das, was als gut, als wertvoll und erstrebenswert gilt, repräsentiert. Doch auch diese ›neuen‹ Werte und Ideale haben wiederum keinen Selbstzweck. Vielmehr dienen sie dem Ressentimentalen zur Erklärung der Überlegenheit des Anderen (der zu unredlichen, schmutzigen Mitteln greift und allein deswegen überlegen ist) und der eigenen Unterlegenheit (weil man selbst redlich ist und sich die schmutzigen Mittel verkneift); und zugleich zur Umkehrung des Kräfteverhältnisses zu den eigenen Gunsten: sie garantiert die eigene Überlegenheit auf dem moralischen Feld. Das Ressentiment ist die »Flucht der Schwäche in die moralisierende Verachtung der Stärke«.40 Gerechtigkeit wird in der Hand des Ressentimentalen zur Waffe – zunächst gegen den Überlegenen und schließlich gegen jeden, der nicht die gleiche Verbitterung zum Ausdruck bringt, die er selbst in sich fühlt: »Sie wandeln unter uns herum als leibhafte Vorwürfe, als Warnungen an uns […]! Unter ihnen giebt es in Fülle die zu Richtern verkleideten Rachsüchtigen, welche beständig das Wort ›Gerechtigkeit‹ wie einen giftigen Speichel im Munde tragen, immer gespitzten Mundes, immer bereit, Alles anzuspeien, was nicht unzufrieden blickt und guten Muths seine Strasse zieht«.41 Im Ressentiment verselbständigt sich eine Eigendynamik, die grundsätzlich und zu allererst das Negative sieht: »Es ist in ihm etwas, das schelten möchte, herabziehen, verkleinern«,42 lässt sich mit Scheler sagen und mit Deleuze ergänzen, dass »[d]ie Zurechnung von Fehlern, die Verteilung von Verantwortlichkeiten, die fortwährende Anklage« zu seinen zentralen Motiven zählt.43 Das eigentliche Movens dahinter ist und bleibt aber das neidvolle Herabziehen des Höheren und die Rache gegen sein Höherstehen – verborgen hinter einer Maske der Unschuld, die nicht nur den Anderen täuschen soll, sondern genauso sich selbst. Der Ressentimentale ist aber nicht bloß Ankläger, er wird auch Paranoiker: durch den stets verdächtigenden, stets nach Gründen für eine Verurteilung suchenden Blick, wird er zu jemandem, der immer in Habachtstellung ist, der immer Überfall und Hinterhalt, überall Gefahr und Verschwörung vermutet, und jedem als potenziellen Feind und Gefährder begegnet.

      Frappierend an der Konstellation, die durch die ressentimentgetriebenen psychologischen Abwehrmechanismen hervorgebracht wird, ist, dass der Ressentimentmensch in die Situation gerät, seine Identität und seinen Eigenwert nicht positiv aus sich selbst heraus zu stiften, sondern negativ über und gegen den Anderen. Seine Selbsterfahrung gründet nicht in einem überzeugten oder gar »triumphierenden Ja-Sagen zu sich selber«, sondern in einer Abwehrhaltung, im »Nein zu einem ›Ausserhalb‹, zu einem ›Anders‹, zu einem ›Nicht-selbst‹«.44 Während sich der Starke aktiv aus sich selbst, dem Eigenen heraus konstituiert, definiert sich der Ressentimentmensch reaktiv über die Umwertung der »Gegen- und Aussenwelt«. Er hat diese geradezu zur eigenen Voraussetzung – dermaßen stark prägt ihn die ressentimentale Ohnmachtserfahrung. »Diese Umkehrung des werthesetzenden Blicks – diese nothwendige Richtung nach Aussen statt zurück auf sich selber – gehört eben zum Ressentiment«.45 Er leidet so sehr an seiner Umwelt, dass er sie nur noch als antagonistisch zu erfahren imstande ist. Das wird, wie gesehen, durch die vom Ressentiment erzwungenen selbstbildstabilisierenden Maßnahmen noch einmal verstärkt, indem der Andere, der Feind als eigentlich Schuldiger, als eigentliche Quelle seiner Leiden identifiziert wird. Nur in der permanenten Anklage anderer erwächst ihm die Möglichkeit, das eigene Selbstbild zu entlasten.46 Der Ressentimentmensch konstituiert sich dann wiederum dem Anderen gegenüber als Antithese, als Gegenentwurf. Das bedeutet aber auch, er definiert sich zu allererst über das (angebliche) Unrecht, dass ihm angetan wurde.

      Dies erweist sich als eine doppelt negative Identitätsstiftung: erstens wird erst von der Erfahrung des Anderen her das Eigene abgeleitet. Während die Selbstkonstitution des Selbstgewissen einen eigenständigen und souveränen Akt darstellt, lässt die des Ressentimentmenschen diese Souveränität wesentlich vermissen. Zweitens basiert diese Selbsterfahrung auf gegenseitiger Herabwürdigung: einerseits erfährt sich der Ressentimentmensch als der Schwächere und Unterlegene, und unterstellt dabei dem (vermeintlich) Überlegenen, mit Verachtung auf ihn herabzublicken. In seiner verqueren Wahrnehmung erfährt er von ihm nichts als Kränkung. Das führt andererseits dazu, dass er für den Anderen seinerseits nichts als Verachtung übrig hat. Dies ist seine Urerfahrung mit dem Anderen, mit allen Anderen, das Sentiment, das sich wiederum untrennbar an seine Selbsterfahrung geheftet hat. Sein »Verhältnis zur Umwelt ist auf das Böse gebaut und dadurch in seinen Wurzeln vergiftet«.47 Diese Feindbild konstruierende, Antagonismus schaffende, Unfrieden stiftende Dynamik entspringt zutiefst der inneren Logik des Ressentiments. Sie ist ein unhintergehbarer Aspekt desselben.

      Das birgt wiederum zweierlei Konsequenzen: einerseits verschafft

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