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Das Mündel des Apothekers. Stefan Thomma
Читать онлайн.Название Das Mündel des Apothekers
Год выпуска 0
isbn 9783839268926
Автор произведения Stefan Thomma
Издательство Автор
Elfriede brachte dem Apothekermündel täglich mehrmals zu essen und versorgte sie.
»Wenn es stimmt, was die Leute sagen, kommt heute noch Erzherzog Ferdinand nach Nördlingen. Ich hoffe sehr, dass er dem Treiben hier ein Ende setzt.«
»Das wird auch langsam Zeit! Hier oben ist es alles andere als gemütlich«, murrte Katharina.
Unter dem Dach des Patrizieranwesens war ab der Mittagszeit eine fast unerträgliche Hitze und die kleinen Fenster an den Giebelseiten des Hauses ließen nur wenig Licht in den Raum. Von den Dachbalken hingen Spinnweben, die wie graue Tücher wirkten. Alles war mit einer dicken Staubschicht überzogen. Aus Langeweile begann Katharina, Kisten und Säcke zu durchstöbern, die vor längerem achtlos abgestellt worden waren. Sie enthielten Tuchballen aus vergangenen Tagen, andere Kleidung ihrer längst verstorbenen Stiefmutter.
Nicht mehr lange, dann würden sie mir vielleicht passen, dachte sie sich. Ein Kleid nach dem anderen betrachtete sie und hielt es vor ihren Körper, um abzuschätzen, wie es an ihr wirkte. Auf dem Boden der Kiste blieb ihr Blick auf einem Buch haften.
Der Einband war aus dunkelbraunem Leder gefertigt und an den Ecken mit schweren Metallbeschlägen versehen. Um es aufzuschlagen, musste ein Riegel geöffnet werden. Es war unverschlossen. Katharina setzte sich unter eines der kleinen Fenster und fing an zu blättern.
›Freitag, 3. Februar 1612: Wenn ich ihn sehe, schlägt mein Herz schneller. So also fühlt sich die Liebe an.
Mittwoch 11. Juli 1612: Heute ist es passiert. Josef war so einfühlsam und trotzdem wild und stürmisch. Das würde ich mir von Benedikt auch wünschen …‹
Was zur Hölle waren das für Aufzeichnungen? Und wer war Josef?, fragte sie sich.
›Benedikt hat mir ja schon lange nicht mehr beigewohnt. Er war so außer sich, als er erfuhr, dass ich mich ausgerechnet einem Hofmeister hingegeben habe. Ich kann von Glück reden, dass Benedikt es für sich behalten hatte. Sonst hätte man mich wohl mit der Schandgeige um den Hals aus der Stadt gejagt. Es tut mir leid, Benedikt. Es war ein Fehler von mir …‹
Katharina blieb der Mund offen stehen. Daher also der Familienstreit.
Als sie weiter im Buch blätterte, fiel eine einzelne Seite heraus. Ein Brief an meinen Stiefvater. Vom Augsburger Stadtmedicus?
›Mein lieber Freund Benedikt, sicherlich erinnert Ihr Euch noch an Elena, die im Doktorenhaus die kleine Kammer bewohnte. Sie behauptet, von Euch schwanger zu sein. Ich dachte mir, Ihr solltet das erfahren. Vielleicht ist ja doch etwas Wahres daran. Euer alter Freund Engelhard Metzner, Augsburg 8. März 1620.‹
Das wird ja immer besser. Meine Stiefmutter lässt sich auf einen Hofmeister ein und der Stiefvater schwängert eine Frau in Augsburg. Moment mal. 8. März 1620?
Nachdem sich immer mehr Menschen auf dem Rathausplatz einfanden und ein wirres Stimmendurcheinander entstand, blickte Katharina neugierig aus dem kleinen Giebelfenster.
»Nördlinger Bürger, hört mich an«, begann Erzherzog Ferdinand seine Rede. »Ihr habt mich enttäuscht. Meineidig seid ihr geworden, eines irren Glaubens wegen. Ihr alle seid beschuldigt, ein freiwilliges Bündnis mit den Schweden eingegangen, und dem nicht genug, habt ihr Widerstand während der Belagerung dem Kaiser gegenüber geleistet. Die bedingungslose Kapitulation wurde bereits am 7. September unterzeichnet und sämtliche Waffen der Stadt konfisziert. Ich fordere von Euch eine Brandschatzung in Höhe von 100.000 Reichstalern sowie 8.000 Reichstaler für die der Artillerie entstandenen Kosten. Alle Besitzungen, die Gustav Adolf der Stadt vermacht hat, sind an die katholischen Klöster zurückzugeben. Im Gegenzug wurden meine Offiziere angewiesen, Plünderungen, Diebstähle und Misshandlungen aufs Härteste zu bestrafen. Die Stadt Nördlingen soll weiterhin den Status der Freien Reichsstadt und der evangelischen Konfession behalten dürfen, wenn …« Jubel brach unter den Bürgern aus. Freudig umarmte jeder seinen Nebenmann.
»… wenn ihr mir den Treueeid neu leistet«, beendete der kleine, bucklige Erzherzog unter Jubel seine Ansprache.
Na endlich komme ich aus diesem staubigen Loch, freute sich Katharina und stürmte die Treppen hinab.
Vor dem Apothekerhaus stapelte sich der gesamte Warenbestand der Trossweiber. Riesinger hatte ihn für einen guten Preis aufgekauft.
»Schafft einfach alles in die Offizin«, wies Riesinger die Marketenderinnen an.« Die Kühe und Ziegen bringen wir vorerst im Pferdestall unter.« Neben Mehl und Getreide waren es hauptsächlich württembergischer Wein, Bier, Speck und Salz, aber auch Töpfe, Pfannen, Seile und eben alles für den täglichen Bedarf. Die Waren hatten die Trossweiber den Soldaten abgekauft, die in württembergischem Gebiet plünderten. Doch das störte den Apotheker nicht sonderlich. Bei der momentanen Lage würde er nicht lange auf seiner Ware sitzenbleiben. Es gab immer noch einige Familien, die sich etwas leisten konnten, und die Bauern würden ihn für das Vieh einfach kostenlos mit Milch und Fleisch versorgen, bis die Schuld abgetragen war.
Elfriede humpelte schimpfend in gebückter Haltung, unter dem Gelächter der Hübschlerinnen, einem ausgebüxten Huhn hinterher. Doch dieses genoss gackernd und flügelschlagend seine Freiheit.
»Wir wollten uns bei euch bedanken und uns verabschieden, Elfriede. Wir ziehen mit dem Tross weiter. In Nördlingen bleibt ja nur ein kleiner Trupp.« Die Haushälterin stützte ihre Arme in die Hüften und streckte den Rücken durch.
»Wir haben zu danken. Eure Waren und Lebensmittel hat uns der Himmel geschickt. In Zeiten wie diesen ist es nicht einfach als Händler. Und vielleicht kommt ihr wieder mal in die Gegend. Ihr seid immer willkommen«, bedankte sich die Haushälterin und verabschiedete die Frauen.
Auf dem Marktplatz bildete sich erneut eine Menschenansammlung. Einige schimpften und hoben drohend die Fäuste.
»Was ist denn nun schon wieder!«, murrte Elfriede und stapfte neugierig Richtung Rathaus.
»Im Namen des Kaisers werden die hier Anwesenden der gemeinschaftlichen Plünderung und Unzucht angeklagt und zum Tode durch Enthauptung verurteilt. Die Urteile werden heute Mittag auf dem Galgenberg vollstreckt!«, rief ein kaiserlicher Offizier auf dem Marktplatz aus.
»Hängt die Lumpen doch gleich hier auf, dann sparen wir uns den Fußmarsch!«, brüllte der Schmied.
»Das Urteil ist viel zu milde! Die Bastarde gehören aufs Rad geflochten!«, schimpfte ein anderer. Als Elfriede dem Apotheker davon berichtete, hörte dieser interessiert zu und verschwand darauf wieder in der Offizin.
*
Bereits eine Stunde vor Mittag fanden sich Dutzende Neugierige vor dem Hexenfelsen ein. Riesinger hatte auf seinen Pferdekarren einen provisorischen Verkaufsstand gezimmert und verpflegte die Anwesenden mit Bier und württembergischem Wein.
Es herrschte schon eine ausgelassene Stimmung, als der Nördlinger Scharfrichter kurz vor Mittag die beiden Verurteilten zur Richtstatt brachte. Seine Miene war ausdruckslos. Die quer über sein Gesicht verlaufende Narbe schien zu leuchten. Die gefesselten Todeskandidaten wurden auf den zehn Fuß hohen Hexenfelsen geführt, somit hatte auch bei größeren Zuschauermengen jeder eine gute Sicht. Die Verurteilten hatten ihre kniende Haltung bereits eingenommen, als der kaiserliche Offizier die Anklage noch einmal verlas.
»Fangt endlich an!«, erklangen Rufe aus der Menge.
»Genau, sonst geht vorher der Wein noch aus!«, lachte ein Mann. Der Henker hielt das Richtschwert mit beiden Händen und holte zum Hieb aus. Durch seinen Schwung mit dem Schwert glitten ihm die Füße auf dem moosigen Untergrund weg und er landete samt seinem Mordwerkzeug auf dem Hintern. Die Menge grölte und brüllte vor Lachen.
»Wohl etwas aus der Übung, Egger!«, spotteten die Ersten. Sichtlich nervös, holte der Scharfrichter erneut aus, verfehlte sein Ziel und streifte den Kopf des Verurteilten nur leicht. Das Richtschwert traf klirrend den Felsen, dass es Funken schlug. Wieder grölten und brüllten die Zuschauer. Dem kaiserlichen Offizier gelang es nur mit