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ein paar Falten spielen um seinen leicht lächelnden Mund. Seine weit aufgerissenen blauen Augen blicken Stolz erfüllt in die Menge.

      Für einen Menschen wäre dieser Anblick nichts Besonderes gewesen, doch aus den Mienen der Zuschauer sprechen Entsetzen und Verblüffung. Sofort erfüllt lautes Gemurmel und Getuschel den Raum.

      »Wie ist das möglich, Herr?«, ruft einer.

      »Das will ich dir sagen«, spricht Radu weiter und der Saal liegt wieder in Totenstille vor ihm. »Ihr alle kennt den Brunnen im großen Saal der Festung.« Ein paar nicken eifrig, der Rest lauscht, traut sich kaum zu atmen. »Wir haben die Hexen dazu zwingen können, ihn in eine unversiegbare verzauberte Quelle zu verwandeln. Derjenige, der sich ihr Wasser über sein Haupt ergießen lässt, soll menschliche Gestalt annehmen und in der Menschenwelt leben können, ohne erkannt zu werden.«

      Ein Raunen geht durch die Menge, die meisten tauschen ungläubige Blicke, doch keiner protestiert, denn der lebende Beweis steht ja dort vor ihnen. Plötzlich beginnt einer in der hinteren Reihe lautstark zu jubeln und bald stimmt der ganze Saal in die Freudenschreie ein. Es wäre wahrscheinlich den ganzen Abend so weiter gegangen, hätte der alte Radu nicht wieder das Wort ergriffen: »Halt!«, ruft er mit drohender Stimme, die den ganzen Saal erfüllt. Mit schnellen Schritten geht er auf die erste Reihe zu, die augenblicklich ehrfürchtig ein Stück zurückweicht. Er hebt seinen Finger mahnend in die Höhe.

      »Ihr werdet die Vorzüge dieses neuen Zaubers sicherlich genießen, doch ich warne euch: Wenn auch nur ein Mensch hinter das Geheimnis kommt und ihr ihn nicht sofort beseitigt, wird das mit euch passieren!«

      Ohne Vorwarnung tritt er noch ein Stück näher an die Masse heran, greift wahllos nach einem jüngeren Alters und haut ihm die nun wieder an seinen Fingern erschienenen langen Klauen in die Schultern. »Dies soll euch allen eine Lehre sein!«, ruft er aus und übertönt damit den verzweifelten Angstschrei des Opfers. Mit einer schnellen Bewegung hat der Meister den Hals des Jungen nach hinten überstreckt und rammt seine spitzen Zähne in seinen Hals. Blut spritzt, dann noch ein kurzes Zucken und der Körper fällt schlaff zu Boden. Die Umstehenden treten hastig noch weiter zurück, dann schreit Radu: »Und jetzt geht hinaus, Brüder und Schwestern und genießt die Freiheit!«

      Er richtet das blutverschmierte Gesicht gen Himmel und lacht laut und voller Triumph.

      KAPITEL 1 – NÄCHTLICHER BESUCH?

       Es ist mitten in der Nacht, als ich plötzlich aus dem Schlaf gerissen werde. Kalte Schwärze umgibt mich. Es muss um Mitternacht sein. Was hat mich geweckt? Ein lautes Knacken meiner Dielen. Da ist es schon wieder. In Sekundenschnelle sitze ich aufrecht im Bett, schaue mich in meinem Zimmer um. Zitternd versuche ich meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Mein Herz rast. Ich hätte schwören können, dass eine dunkle Gestalt an meinem Bett gestanden hat. Dass sie mich angestarrt hat.

       Ich blinzelte, dann war sie spurlos verschwunden.

      Das ist absurd, versuchte ich mir einzureden. Ich schüttelte den Kopf und versuchte den Gedanken zu vertreiben. Das musste eine Auswirkung der vielen Horrorfilme sein, die ich mir in den Sommerferien zusammen mit Ashley angeschaut hatte. Dennoch wollte es mir nicht gelingen zu entspannen. Mein Herz pochte immer noch heftig.

      Ein Blick durch mein Zimmer versicherte mir, dass sich dort keiner verstecken konnte. Langsam entkrampften sich meine Muskeln. Der Raum war noch sehr spärlich eingerichtet, da wir erst in der letzten Woche nach Floresville gezogen waren.

      Das Fenster hatte ich wegen der unerträglichen Hitze am Abend offen gelassen, doch nun peitschte ein kalter Wind durch die Dachgaube. Vorsichtig schwang ich meine Beine aus dem Bett und erschrak. Da war das Knacken wieder.

      Es dauerte einen Augenblick bis ich begriff, dass ich das Geräusch selbst ausgelöst hatte, als meine nackten Füße den alten Eichenboden berührten. Schnell huschte ich an meinem Schreibtisch vorbei und schloss das Fenster. Ich hielt einen Moment inne und betrachtete die dunklen Wolkenfetzen, die der Wind über den Himmel jagte. Nur ab und zu ließen sie den Mond durch ihre grauen Mauern blitzen.

      Plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke. Konnte jemand durch das Fenster eingestiegen sein? Ruckartig riss ich meinen Blick von dem Himmel los und drehte mich um. Dicht an die Wand gepresst durchsuchte ich die Schwärze nach einer Gestalt, nach einer Bewegung.

      Alles blieb ruhig. Ich zwang mich dazu, das Geräusch endlich zu vergessen.

      Es muss ein Albtraum gewesen sein. Wer sollte schon über den zwei Meter hohen Saarlouis-Zaun geklettert sein, der unser Grundstück umgab, um dann womöglich wie Spiderman zehn Meter an der Wand in die Höhe zu klettern und in mein schmales Fenster einzusteigen.

      Es ist absurd. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ich habe wirklich eine blühende Fantasie.

      Wesentlich entspannter schlich ich zurück in mein Bett, wobei mein Blick auf meinen Nachttisch fiel. Blitzartig wurde mein Herz schwer und Trauer brannte in meinen Adern. Da stand ein Foto von Julien, meinem…naja, unfreiwillig gewordenem Ex-Freund, und mir. Vor einigen Wochen noch hatte ich in Portland in seinen Armen gelegen und auf Wolke sieben geschwebt, doch dann hatte mein Vater kurzerhand beschlossen, nach Floresville in Texas zu ziehen. In unserem alten Zuhause war etwas Schreckliches passiert, und außerdem würde mein Dad in San Diego einen neuen Auftrag haben. Alles was ich wusste war, dass er beim FBI arbeitete und wirklich nie über seine Arbeit sprach. Ob er es nicht durfte oder einfach nur unklug fand, seiner 16- jährigen Tochter etwas anzuvertrauen, wusste ich nicht. Ich fragte auch nicht mehr nach, denn inzwischen war mir klar geworden, dass es nichts brachte und ich ohnehin nichts aus ihm herausbekommen würde.

      Ich war natürlich ziemlich verärgert darüber, dass ich all meine Freunde und mein Zuhause der letzten 15 Jahre verlassen sollte, doch schweren Herzens willigte ich schließlich ein und trennte mich von Julien. Ich tat es sehr ungern, da wir bereits elf Monate eine glückliche Beziehung geführt hatten, doch die fast dreieinhalb tausend Kilometer, die nun zwischen uns lagen, hätten für jedes Treffen mehr als eine Tagesreise gefordert und ich konnte mir eine Fernbeziehung einfach nicht vorstellen. Dass ich ihn früher als geahnt wiedesehen würde, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

      Traurig nahm ich das Bild von dem sonst noch leeren Nachttisch und legte es in die unterste Schublade, wo ich es sorgfältig mit ein paar bunten Halstüchern bedeckte. Es würde das Beste für mich sein, ihn einfach zu vergessen und aus meinem Leben zu streichen. Meine Illusion jener Nacht war bereits eine gute Ablenkung gewesen.

      Meine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und ich konnte an der Wand neben meinem Schrank die silberne Digitaluhr erkennen, die mir mein Vater zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich kniff die Augen zusammen, um die roten Ziffern erkennen zu können. Stöhnend ließ ich mich wieder in mein Bett sinken, zog die Bettdecke bis zu meinen Ohren nach oben und machte die Augen zu. Die Uhr hatte 01:54 Uhr angezeigt – in etwa viereinhalb Stunden würde ich wieder aufstehen müssen und alle Energie brauchen, um meinen ersten Schultag an der Floresville High School zu absolvieren.

      Ich werde meinen Vater bitten, sich um die Dielen zu kümmern, war das Letzte, was ich dachte, bevor ich wieder tief und fest einschlief und im Land der Träume versank.

      KAPITEL 2 – FLORESVILLE HIGH SCHOOL

      Robert nahm meine Hand, zog mich ganz nah an seine Brust und hob mit sanften Händen mein Kinn an, sodass ich in seine blaugrauen Augen blicken konnte. Er war zum Verlieben schön. Mein Herz fing heftig an zu klopfen, als er langsam seinen hübschen Kopf neigte, seine braunen Haare leicht in sein Gesicht fielen und schließlich seine Lippen die meinen berührten.

      »Schätzchen, bist du schon wach?«

      Der Kuss war unendlich schön. Ich legte meine Hände an seinen Nacken, um ihn noch näher an mich heranzuziehen.

      »Anjuli? Du musst jetzt wirklich aufstehen. Wir haben schon viertel vor acht!« Was? Die Stimme klang aber nicht nach Robert. Langsam

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