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das Gluckern der riesigen Heizkörper und die abgewetzte Schreibunterlage, auf der die monströse Schreibmaschine thronte. Alles war wieder präsent.

      ,Mach dir keine Notizen‘, hatte die Stimme gesagt. Es war notwendig gewesen mit den Anweisungen sorgfältig umzugehen und die selbstverständlichsten Dinge zu betonen. Der Anrufer wusste das. Er war geduldig. Geduld und Beharrungsvermögen waren seine Haupttugenden. Er hatte fast ebenso lange gewartet wie die Angerufenen. Große Dinge brauchten Zeit, um zu reifen. Die Leitung war sicher. Sie konnten sich Zeit lassen.

      Rose beschränkte sich aufs Zuhören. Sie war zu klug, um Fragen zu stellen. ,Wende die Technik an‘, hatte die Stimme geraten. Rose wusste, dass der Rat gut war. Sie übersetzte die knappen Informationen in eine Bilderfolge, die sich leicht einprägen ließ und memorierte die Abfolge der Bilder, bis sie automatisch vor ihrem geistigen Auge aufstieg, sobald sie an ihren Auftrag dachte.

      Es war wie damals. Sie hatte eine Begabung für Physik und Mathematik. Die anderen Kinder im Waisenhaus nannten sie einen ,Zahlenkopf‘. Die Leiterin der Anstalt stellte sie einer Gruppe von Herren in schweren Mänteln vor. Es wurden ihr Aufgaben gestellt, die sie mit Leichtigkeit löste. Das Mädchen konnte den zufriedenen Gesichtsausdruck der Männer sehen. Dann hieß man sie, ihre Sachen zu packen. Eine schwarze Limousine verschluckte sie und brachte sie zu einem Ort, an dem alle Bewohner Zahlenköpfe waren.

      Rose war damals nicht Rose. Sie war ein Rohdiamant, der geschliffen und in Form gebracht werden musste. So sagte man es ihr und so handelte man. Nach ihrer Ausbildung wurde sie zugeteilt. Kurz vor ihrer Abreise bat man sie noch, ein Tonband mit ein paar Sätzen aus ihrem Lieblingsbuch zu besprechen.

      Rose sah in der Ferne das schimmernde Band der Themse und die Hochhäuser des Bankendistrikts. Am Piccadilly Circus würde Touristentrauben überteuertes Bier trinken und über die Leuchtreklamen staunen. Rose verlangsamte die Fahrt und bog in rascher Folge in immer enger werdende Seitenstraßen ein.

      Das Gebäude war ein Schandfleck. Rose hatte in Erfahrung gebracht, dass es ein Hotel, danach ein Einkaufscenter und nach der Insolvenz einer dubiosen Investorengruppe ein Parkhaus hätte werden sollen. Die letzten sieben Jahre war das Gerippe aus Beton und Stahl mit den leeren Fensterhöhlen dem Zerfall preisgegeben und wartete vergeblich auf seine Rettung. Auf Rettung hoffte das gesamte triste Stadtviertel, das sich so grundlegend von den prächtigen neuen Bauwerken der Inner City unterschied.

      Rose parkte den Volvo auf einem Grasstreifen, der mit Schutt und Abfall übersät war. Das Gebäude war mit Metallzäunen gesichert aber Obdachlose, Drogenabhängige und Sprayer hatten die Eingeweide des Baus längst für sich entdeckt. Selten ließen sich Polizei und Wachdienste sehen, um für einige Stunden eine Art Normalzustand herbeizuführen. Kaum waren die barschen Stimmen und die Sirenen verklungen, sickerten die Hoffnungslosen in die Ruine zurück, wo ihr angestammter Platz war. Graffitis bedeckten jeden Zentimeter des Mauerwerks.

      Rose zögerte keinen Augenblick. Sie vertraute der Stimme am Telefon. So hatte sie es gelernt.

      ,Sei unbesorgt. Wir haben ein Auge auf dich‘, hatte die Stimme gesagt, als ob sie Gedanken lesen könnte. ,Wir haben uns der Sache angenommen‘. Rose richtete den Strahl der Taschenlampe auf einen Verhau aus Brettern, der einen klaffenden Eingang notdürftig abdeckte. Es schien kein Mensch in der gottverlassenen Gegend unterwegs zu sein. Ein leichter Wind trug Brandgeruch und das schläfrige Gebell eines Hundes heran. Das war alles. Rose arbeitete mit dem Brecheisen, so wie es ihr befohlen worden war. Wie ein Schatten schlüpfte sie in das Gebäude und wandte sich nach rechts. ,Bob Rules‘ schrie ein neongelbes Graffiti.

      Der Lichtkegel der Taschenlampe tanzte über Schlafsäcke und verstreuten Müll. Es war, wie die Stimme versprochen hatte. Der Bau gehörte ihr. Rose blieb stehen. Sie musste sich orientieren. Sickerwasser tropfte auf den Boden. Rose rief die memorierte Bildfolge ab. Sie würde weit in die Eingeweide des Gebäudes vordringen. Betontreppen führten nach unten, wo die Dunkelheit modrig und schwer brütete. Rose ließ einen Brocken Beton in die Tiefe fallen. Wasser spritzte auf. Es würde nicht einfach werden, das Paket zu bergen.

      Für einen Augenblick war Rose in Sorge. Was, wenn sie das Paket nicht bergen konnte? Was, wenn der Mechanismus nicht funktionierte? Was würde dann mit ihr passieren? Sie hielt inne, atmete tief und regelmäßig und folgte dem Licht. Sie war sicher, dass man sie beobachtete. Die Mission musste zu Ende geführt werden. Von ihr. Die Stimme hatte sie ausgesucht. Von anderen wusste sie nichts, aber es gab sie. Irgendwo.

      Der Schacht war in ein Becken eingelassen, das verhindern sollte, dass Grundwasser nach oben stieß. Eine trübe Brühe schwappte bei jedem Schritt gegen das Gemäuer. Der faulige Gestank war überwältigend. Rose schwenkte die Taschenlampe. Eine Ratte ließ sich vorbeitreiben. Rose machte sich an die Arbeit.

      Das Brecheisen hatte gute Dienste geleistet. Rose war vollkommen erschöpft. Das Paket war sperrig und schwer. Rose achtete darauf, es möglichst sanft zu behandeln, als sie es nach oben wuchtete. Sie hatte die Taschenlampe verloren. Rose folgte ihrem Instinkt und dem Fetzen Grau, der wie eine Verheißung durch den Bretterverhau des Eingangs schimmerte. Sie hatte noch 50 Minuten bis zu ihrem Schichtbeginn. In dieser Nacht würde es eine Boeing 747 – 8F Frachtmaschine von Atlas Air sein. Ein Routinejob.

      Rose rüstete sich für eine letzte Anstrengung. Der Volvo erwartete wie ein urzeitliches Reptil aus Blech seinen Besitzer. Rose öffnete den Kofferraum. Sie sah sich um. Zerknüllte Zeitungsblätter wirbelten über das verwahrloste Gelände. Die toten Augen des Gebäudes starrten zurück. Es hatte zu regnen begonnen. Rose nickte zufrieden. Sie schien die Nässe und Kälte nicht zu spüren.

      „Na, da wollen wir doch mal schauen, wen wir hier haben“.

      Die Stimme klang aufsässig mit einem Unterton von Schadenfreude. Rose saß kerzengerade hinter dem Lenkrad. Sie bewegte keinen Muskel und atmete flach.

      „Hände ans Lenkrad und eine viertel Drehung nach links!“, befahl die Stimme. Ein gebündelter Lichtstrahl tastete unsicher über das Wageninnere und verharrte einen Augenblick zu lange auf dem Firmenschild ,Global Supply Systems Ltd.‘, das am Overall von Rose festgemacht war.

      Rose machte keine Anstalten die Schmutzspuren ihres nächtlichen Ausflugs zu verbergen.

      „Schon ein paar Einsätze gehabt, was?“, bemerkte die Stimme. „Schwarzarbeit vermute ich.“ Die Stimme klang, als habe sie fette Beute entdeckt. „Mal was nebenbei, oder?“ „Kofferraum“. Das Licht erlosch. Rose blinzelte und nahm die Hände vom Lenkrad.

      „Kannst du dir nicht mal einen anderen Spruch einfallen lassen, Fred?“, rief sie dem fülligen Mann zu, der in der grauen Uniform eines Sicherheitsdienstes an der Fahrertür des Volvos lehnte. Früher war Fred Polizist gewesen und besserte seine Pension als Kaufhausdetektiv und Wachmann auf. Die Scheinwerfer des Volvos warfen Lichtflecke auf einen Flugzeughangar und zwei Pisten, die sich im Nirgendwo verloren. Die Scheibenwischer schaufelten den stärker werdenden Regen von Seite zu Seite. Fred lachte gutmütig. In dem durchsichtigen Plastiküberzug sah er aus wie die Karikatur eines Superhelden.

      ,Kofferraum‘. Rose konnte über den Triebwerkslärm das Wort erahnen, das der Wachmann aussprach.

      „Moment, Sir.“ Rose griff hinter sich und präsentierte eine Schachtel Donuts. Schoko mit Cremefüllung und Mandelsplittern. Eine derbe Männerhand griff ins Wageninnere nach dem Karton.

      „In Ordnung. Sie können passieren.“ Freds Bauch hüpfte unter dem Plastik. Seine Stimme klang zufrieden und dankbar.

      „Dann bis morgen, Fred“, rief Rose, als sich das Rolltor langsam öffnete. Das kleine Ritual war beendet. ,Verstaue das Paket so, dass es nicht gefunden werden kann‘, hatte die Stimme befohlen. Rose hatte sofort gewusst, was zu tun war. „Lass es dir schmecken, Fred“, murmelte Rose und fuhr quer zum Rollfeld über eine markierte Strecke. Die Verwaltungsgebäude duckten sich in den Regen. Der Tower sah aus wie ein verwaschenes Gemälde.

      ,Mach alles wie immer‘. Rose rief sich die Mahnung ins Gedächtnis zurück, als sie darüber nachdachte, ob sie die Stechuhr betätigen sollte, die ihren Dienstbeginn markierte. Fred würde wie immer mit seinem Feldstecher in seiner unbeheizten Wachhütte kauern und ihren Weg

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