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Reihe Modifikationen ausgedacht und einen tollen Plan dazu“. Harlan sprudelte geradezu über vor Enthusiasmus. Edith wäre es nie in den Sinn gekommen, den kleinen Jungen in dem großen Jungen zu bremsen. Sie hörte belustigt zu. Der Plan war, dass der Copter auf ein elektronisches Signal hin Hunderte goldener Flitterherzen, die in Säckchen angehängt waren, dem Wind überantworten würde. Zehn der Flitter hatte Harlan mit einem QR-Code bedrucken lassen. Sie waren der Hauptgewinn und berechtigten zum freien Eintritt zu einem Heimspiel der Brewers. Der Baseballclub hatte zusätzlich eine hübsche Summe für die Stiftung ,Kinder in Not‘ gespendet. Die Werbung für eine Aktion der Brewers im Cathedral Park war angelaufen. Niemand wusste etwas Genaues, aber die Stadt schätzte, dass sich Zehntausende das Event nicht entgehen lassen wollten.

      Die Baumgruppen trugen die Farbpalette des Herbstes zur Schau. Von zartgelb bis flammendrot wölbten sich die Blätterdächer. Ein frischer Wind aus dem Norden war aufgekommen. Das Drachensteigen konnte beginnen. Edith war nervös, als sie die anmutig rasanten Tänze der Lenkdrachen beobachtete. Tausende Augenpaare starrten zum Himmel und Applaus brach los, wenn ein waghalsiges Manöver nach dem anderen glückte. Ediths Nervosität war leicht zu verstehen. Harlan hatte sich beim häuslichen Flohmarkt mehr als üblich engagiert. Er hatte sogar darauf bestanden, kurz nach dem Frühstück Flyer in der Nachbarschaft zu verteilen. Viele Freunde hatten ihr Kommen zugesagt und Wort gehalten. Harlan hatte agiert wie ein Marktschreier. Socke pries an, Harlan verkaufte. Für jedes Ding hatte er eine Geschichte parat. Socke versprach Wunderdinge und Harlan kassierte. Die Menschentraube vor der Garage der Bales wurde erst kleiner, als die Mittagszeit näher rückte. Sie hatten fast alles verkauft.

      Der Anruf kam zur Unzeit. Harlan war nicht in Bereitschaft, aber ein Kollege hatte sich bei der Gartenarbeit so schwer verletzt, dass er ein Kind mit einer Verätzung nicht behandeln konnte. Harlan war der letzte Ausweg.

      „Es ist ganz einfach. Rechts, links, oben und unten. Und dann den roten Knopf drücken. Der Rest geht automatisch“. Behutsam erklärte Harlan Edith, wie sie den futuristisch aussehenden Copter zu steuern hatte. Er war voll bestückt und funktionsfähig. „Wenn der Sprecher der Brewers über das Mikrofon das Zeichen gibt, dann den roten Knopf drücken“, schärfte Harlan Edith ein, bevor er zu seinem Patienten fuhr. Mehr Zeit blieb nicht.

      Edith hätte sich keine Sorgen machen müssen. Mit angehaltenem Atem brachte sie das Fluggerät schwankend in die Höhe, bis es über allen Köpfen schwebte. Harlan hatte nicht übertrieben. Jedes Kind konnte das Gerät bedienen. „Viel Glück“, wünschte die Mikrofonstimme der andächtig schweigenden Menge. Dann brach Jubel los, als eine lange Spur goldener Herzen im Wind zu Boden taumelte. Die Sprühvorrichtung hatte ebenfalls ihre Pflicht getan. Sie war von Harlan akribisch unter Laborbedingungen präpariert worden. Milzbrandsporen wirbelten unsichtbar durch die Luft. Der Tod verbreitete sich schnell.

      Schon am nächsten Tag zeigten sich erste Symptome. Später wurden die Arztpraxen und Kliniken mit Patienten überflutet, die unter Starkhusten, Fieber und Atembeschwerden litten. Die ersten Todesfälle traten nach drei Tagen ein. Edith war unter den ersten Opfern. Zuvor hatte sie verzweifelt nach Harlan gesucht. Niemand schien ihn gesehen zu haben. Er war wie vom Erdboden verschluckt.

      Die Welt schien aus den Fugen geraten zu sein.

      ,Anthrax‘ titelten die Gazetten. Kurz nach dem verheerenden Anschlag auf London, der die Finanzmärkte mit in den Abgrund gerissen hatte, ein bioterroristischer Angriff in den USA.

      Die Börsen reagierten mit erneuter Panik. Hunderte Milliarden Dollar an Buchwerten wurden in Sekunden vernichtet. Die Börsen in Hongkong, Frankfurt und New York setzten den Handel auf unbestimmte Zeit aus. Unternehmen kollabierten wie Kartenhäuser. Die Zentralbanken verständigten sich in einer konzertierten Aktion darauf, für einen Zeitraum von drei Monaten Anleihen und Aktien aufzukaufen, um die Lage zu stabilisieren. Das Menetekel einer globalen Bedrohung hing über der zivilisierten Welt und die Welt reagierte kopflos.

      Erste Ermittlungsergebnisse in London sprachen von einem großflächigen Blackout als Ursache für die Flugzeugabstürze, die weite Teile Londons verwüstet hatten. Experten erläuterten in Sondersendungen des Fernsehens, dass Störfelder mit enormen Feldstärken nötig wären, um einen derartigen elektromagnetischen Puls zu erzeugen. Immer wieder wurden die Bilder der aus dem Himmel stürzenden Flugzeuge zusammengeschnitten, die Amateurfilmer zur Verfügung gestellt hatten. Brennende Schneisen der Verwüstung in friedlichen Vororten, schwarze Rauchsäulen und überall Körper, die notdürftig verpixelt waren. Weitere Informationen wurden zurückgehalten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. So erklärte es ein sichtlich schockierter Premierminister in einer Ansprache die Briten.

      Auch in den USA wandte sich der amerikanische Präsident zur besten Nachrichtenzeit an die Nation. Er machte einen entschlossenen Eindruck. Entschlossen wie die ganze Nation. Niemals würden sich die USA beugen. Man werde den hinterhältigen Angriff mit Milzbranderregern auf die unschuldige Stadtbevölkerung Milwaukees mit aller Härte beantworten. Niemand dürfe die Stärke der USA unterschätzen.

      Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kam zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Wirtschafts- und Militärbündnisse rangen um eine Antwort auf die ungeheuerlichen Vorgänge. Rechtspopulistische Kreise forderten die Bildung von Bürgerwehren und die Wiedereinführung der Todesstrafe. Medien ohne Wahrheitsanspruch verbreiteten Meldungen, die von Angriffen durch Aliens, von Vertuschungen durch höchste Regierungskreise und von islamistischen Terrorzellen im Herzen der westlichen Demokratie berichteten. Russland und China boten Hilfe an. Es war ihnen daran gelegen, nicht in ernsthaften Verdacht zu geraten. Die arabischen Staaten protestierten. Sie sahen sich an den Pranger gestellt und fürchteten um die Zukunft ihres Wohlstandes, der durch die globalen Turbulenzen ohnehin gefährdet war.

      Wirtschaftsweise beklagten das Versagen der Politik in einem Jahrhundert, das der Menschheit so viele Chancen präsentiert hatte wie nie zuvor. Die Politik habe keine glaubwürdigen Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart, dozierte ein resigniert wirkender Forscher. Man brauche dringend neue Lösungen. Die Gesellschaften seien in sich tief gespalten. Diese Risse gelte es zu kitten. Die Anschläge zeigten, dass keine Zeit mehr für Debatten sei. Die Uhr sei auf eine Minute vor zwölf vorgerückt.

      In Genf schaltete ein unauffälliger älterer Herr im ,Le Richemond‘ den Nachrichtenkanal aus. Er hatte in den letzten Tagen viel zu tun gehabt. Die Mühe hatte sich ausgezahlt. Sie tappten im Dunkeln. Zufrieden sah er auf den Bildschirm seines Laptops, auf dem die Analysen dechiffriert wurden. Die Geheimdienste schwärmten aus wie Ameisen und sammelten ein, was als verdächtig gelten konnte. Niemand hatte etwas kommen sehen. Das würde sie erschrecken. Noch erschrockener würden sie sein, wenn sie sich durch den Wust von Festnahmen und Informationen gekämpft hatten und die Analytiker keine Strategie präsentieren konnten.

      Hans Rudy sah auf die Uhr. Die Stichworte waren gegeben, die Kontakte erneuert. Er hatte Anweisungen erhalten. Der Zug nach Wien ging in zwei Stunden.

      Der Fährbetrieb war fast zum Erliegen gekommen. Überall flimmerten die Ereignisse aus London über die Bildschirme. Hunderte Passagiere schoben sich in quälend langsamem Tempo vorwärts. Die Fahrt bis Le Havre war ereignislos geblieben, aber jetzt hatte das Weltgeschehen die Reisenden nach Irland eingeholt.

      ,London brennt‘ war die rote Balkenüberschrift des Livetickers. Darunter Bilderfolgen, die nicht real wirkten. Susanne konnte die murrenden Familien verstehen, die erschöpfte Kinder vertrösteten und hätte sich selbst gerne über die mangelnde Kommunikation der Behörden beschwert. Wie ein undurchdringlicher Kordon standen Grenzpolizisten im Abfertigungsbereich des Fährhafens von Le Havre und durchsuchten mit unbewegten Mienen das Gepäck der Passagiere. Auf Fragen reagierten sie mit einem unwilligen Kopfschütteln. Sie schienen klare Anweisungen erhalten zu haben. Schwenkbare Kameras erfassten jede Einzelheit.

      „Und das mitten in Europa. Einem Europa ohne Grenzen“, echauffierte sich eine Frau, die ein weinendes Mädchen auf ihrem Arm trug.

      Es war Susanne nicht klar, was sie suchten. Gefälschte Papiere vielleicht oder gefährliche Gegenstände. Sie machte

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