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etwa nicht, dass er ein Klimt-Schüler war?«

      »Wenn er einer war, kann er nicht viel von ihm gelernt haben«, meinte Ernestine kichernd. »Sonst würde seine Hütte anders aussehen.«

      Sie hatten nun Simon Goldblatts Sommerdomizil erreicht.

      »Mehr wie diese hier?«, fragte Anton.

      Sie standen vor einer weiß gestrichenen Badehütte mit großen Fenstern und grünen Fensterläden. Im Vorgarten blühten gelbe Sommerblumen, und auch der restliche Garten war voller bunter Blüten in Lila, Rosa und Weiß. Zwei große Zwetschkenbäume trugen bereits kleine grüne Früchte. Unter dem Haus standen zwei Fahrräder, eine Himbeerhecke säumte den dunkelgrün gestrichenen Gartenzaun. Der Farbton passte perfekt zu dem der Fensterläden. Sowohl im Garten als auch auf einer geräumigen Terrasse mit direktem Blick auf die Donau befanden sich Tische und Stühle.

      »Das ist ein kleines Paradies«, seufzte Ernestine. Rosa versuchte das Gartentor zu öffnen, aber es war verschlossen.

      »Wir müssen zuerst den Schlüssel holen«, sagte Anton.

      »Juhu!«

      Auf der Terrasse der Nachbarhütte stand ein Mädchen mit roten Locken. Sie winkte ihnen zu. Eine Frau trat zu ihr. Auch sie winkte.

      »Hallo, Sie müssen die Freunde von Herrn Goldblatt sein.«

      »Ja«, rief Anton hinüber.

      »Einen Moment. Wir kommen.« Beide liefen die Holztreppe in den Garten und durchquerten ihn.

      Das Alter der Frau war sehr schwer zu schätzen, wahrscheinlich lag es irgendwo zwischen vierzig und fünfzig. Sie war außergewöhnlich schlank, hatte orangerotes Haar und ihre helle Haut war über und über mit Sommersprossen besprenkelt, die verdeckten die zahlreichen Fältchen. Sie trug einen japanischen Seidenkimono mit exotischem Blumenmuster, der sie jugendlicher erscheinen ließ, als sie tatsächlich war. Das Mädchen konnte genauso gut ihre Tochter wie auch ihre Enkeltochter sein. Dass eine Blutsverwandtschaft zwischen ihnen bestand, war unübersehbar. Das Kind war eine kleinere Ausgabe der Frau. Sie hatte ein knallrotes Badekostüm und einen kurzen beigen Rock darüber an.

      »Och, ist der süß!« Die Kleine kniete sich zu Minna, die sie schwanzwedelnd begrüßte, so als kenne sie das Mädchen seit Jahren.

      »Wir haben Sie bereits erwartet«, sagte die Frau. Sie reichte zuerst Anton, dann Ernestine die Hand. »Ich bin die Nachbarin, Violetta Mader. Und das hier ist meine Tochter, Lili. Sie konnte es kaum erwarten, dass Sie kommen.«

      »Sehr erfreut. Ich bin Anton Böck, und das hier sind meine Bekannte Ernestine Kirsch und meine Enkeltochter Rosa.«

      »Simon hat mir noch gestern Abend eine Nachricht im Strandcafé hinterlassen«, erklärte Violetta Mader. »Lili und ich haben heute Morgen alle Fenster aufgemacht, damit die Hütte durchgelüftet wird, außerdem haben wir Ihnen frisches Bettzeug und Handtücher bereitgelegt.«

      »Sind Sie so eine Art Hausmeisterin?«, fragte Anton.

      »Hausmeisterin?« Violetta Mader hob mit gespielter Empörung die Hände. »Gott bewahre, wie das klingt.« Sie lachte. »Ich gieße Simons Blumen, fege alle paar Wochen seine Hütte und verwahre seinen Schlüssel, im Gegenzug überweist er mir jeden Monat eine kleine Summe auf mein Konto.«

      Also doch eine Art Hausmeisterin, dachte Anton.

      Frau Mader holte aus der Tasche ihres Kimonos einen Schlüsselbund hervor. »Hier bitte«, sagte sie. »Der große Schlüssel ist für die Hütte, der kleine fürs Gartentor und der, der ein bisschen verbogen ist, ist eigentlich für den Geräteschuppen. Da das Schloss seit dem letzten Hochwasser verrostet ist, habe ich den Schuppen offen gelassen.«

      »Danke.« Anton nahm den Schlüsselbund entgegen.

      »Falls Sie einkaufen wollen: Neben dem Bahnhof gibt es einen Greißler, dort bekommen Sie alles: Lebensmittel, Putzmittel, Glühbirnen, Gaskartuschen und Sonnencreme. Wenn Sie nur Milch, Brot, Obst oder Dosen brauchen, das können Sie im Strombad bei Frau Grampel kaufen. Sie betreibt in den Sommermonaten einen kleinen Laden im Bad, das Gelsenstüberl. Außerdem verkauft sie die schönsten Bademäntel in Kritzendorf.«

      »Bademäntel?«, fragte Ernestine.

      »Aber ja. Eine Designerin aus Wien beliefert sie, Madam Emilia Fischer. Dieses Modell ist auch aus dem Laden.« Stolz drehte Violetta Mader sich im Kreis und präsentierte ihren Kimono.

      »Zauberhaft«, sagte Ernestine bewundernd.

      Violetta Mader nickte zufrieden. »Im Strandcafé gibt es den ganzen Tag über warme Küche, am Nachmittag werden Mehlspeisen serviert, und an den Abenden am Wochenende werden im Pavillon Tanzveranstaltungen abgehalten.«

      »Das klingt ja alles ganz wundervoll!« Ernestines Augen leuchteten bei dem Wort »Tanzveranstaltungen«.

      Anton reagierte mehr auf die Aussicht auf Mehlspeisen. Sein Magen knurrte so laut, dass er fest dagegendrücken musste, um ihn zu beruhigen. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen, ein Umstand, den er rasch ändern musste. Es war kein Geheimnis, dass Anton dem guten Essen nicht abgeneigt war. Auch wenn man es ihm nicht ansah, er war groß und hager. Aber sobald er ein knuspriges Wiener Schnitzel oder eine saftige Cremeschnitte erblickte, fiel es ihm schwer, seine Gedanken auf etwas anderes zu lenken.

      »Beziehen Sie erst mal in Ruhe die Hütte«, schlug Violetta Mader vor. »Falls Sie etwas brauchen, wissen Sie ja, wo Sie uns finden.«

      »Ach, Mama. Kann ich nicht hierbleiben?« Lili und Rosa saßen beide bei Minna im Gras, was die Cockerspaniel-Dame sichtlich genoss.

      »Ja, bitte«, drängte auch Rosa.

      Die Mädchen schienen sich auf Anhieb sympathisch zu finden.

      Violetta Mader sah Ernestine fragend an.

      »Mich stört es nicht.«

      Dann wandte sie sich an Lili und Rosa. »Aber ihr müsst versprechen, dass ihr nicht allein zur Donau geht. Die Strömung –«

      Lili unterbrach ihre Mutter. »Ich weiß«, sagte sie und verdrehte dabei die Augen. »Deine Freundin war eine gute Schwimmerin, und trotzdem ist sie ertrunken.«

      Offenbar hatte Lili die traurige Geschichte schon sehr oft gehört.

      »Man darf die Donau nicht unterschätzen, mein Liebling«, mahnte Violetta Mader.

      »Wir gehen nicht zum Wasser«, versprach Lili.

      »Zumindest nicht allein«, ergänzte Ernestine. »Ein erfrischendes Bad wäre jetzt gerade das Richtige.«

      »Habt ihr auf die Uhr geschaut?«, empörte sich Anton. »Es ist gleich zwölf. Zeit fürs Mittagessen.«

      »Ich will Sie nicht weiter stören«, sagte Violetta Mader. »Von mir aus kannst du noch ein bisschen bleiben, Lili. Aber in einer halben Stunde kommst du rüber zum Essen. So lange brauche ich noch zum Proben.«

      »Proben?«, fragte Anton.

      »Ja, ich bin Operettensängerin und muss täglich meine Gesangsübungen absolvieren. Ich hoffe, es stört Sie nicht. Mein Schlafzimmerfenster grenzt an Ihren Garten.«

      »Aber nein, ganz und gar nicht«, rief Ernestine begeistert. »Ich liebe Operetten. Für welches Stück üben Sie denn?«

      »›Die Csárdásfürstin‹ von Emmerich Kálmán.«

      »Ist das nicht eine großartige Neuigkeit, Anton? Wir werden jeden Morgen mit fröhlichem Gesang geweckt.« Ernestine konnte ihr Glück kaum fassen.

      »Es freut mich, dass Sie Operetten mögen«, sagte Violetta Mader. »Anfang des Sommers hat Simon Leute eingeladen, die sich furchtbar über meine Übungen aufgeregt haben. Sie sind schon nach drei Tagen wieder abgereist.«

      »Das Singen hat sie nicht gestört«, sagte Lili. »Sondern die Trompete.«

      »Trompete?« Anton hob alarmiert die Augenbrauen.

      »Ich

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