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wir unsere nächsten artverwandten Affen in freier Natur, so zeigen diese tatsächlich nahezu keine Karies und weitaus geringere Raten an Parodontitis, als wir es derzeit beim Homo sapiens sehen. Und auch die Funde in Marokko des bis dato ersten Homo sapiens von vor 300.000 Jahren weisen keine Karies und einen normalen Knochenverlauf um die Zähne auf. Und das ohne Mundhygiene und zahnärztliche Versorgung? Wir gehen davon aus, dass in Deutschland unter jungen Erwachsenen die Hälfte eine mittelschwere bis schwere Parodontitis und jeder dritte Zahn bereits Karieserfahrung hat.

      Was ist passiert? Wir laden Sie ein zu einer spannenden Reise durch die Geschichte der Munderkrankungen und der Suche nach ihren Ursachen.

      Wenn die meisten Menschen der Ansicht sind, dass eine schlechte Mundhygiene für Karies und Zahnfleischbluten verantwortlich ist, dann hat dieser Gedanke natürlich irgendwo seinen Ursprung. Eine der wahrscheinlich ersten Erwähnungen, dass eine »Bearbeitung« des Mundes mit einer Art Zahnpasta zur Prävention von Zahnerkrankungen sinnvoll ist, findet sich im ägyptischen Papyrus Ebers, was auf ca. 1.500 v. u. Z. datiert ist (mit Wissen von vor rund 4.000 Jahren). Und auch im antiken Griechenland widmete sich Hippokrates ca. 350 v. u. Z. dem Thema Mundhygiene. Seine empfohlene Rezeptur würde allerdings zu heutigen Zeiten wohl eher auf Ablehnung stoßen: Man verbrenne einen Hasen und zwei Mäuse, nehme aber vorher bis auf die Leber und die Niere alle Gedärme heraus. Die verkokelten Überreste sollten dann als Zahnpasta für »saubere Zähne und einen süßen Mundgeruch« verwendet werden.1

      Dann kam die Zeit des Mittelalters – und da war es, was das Thema Mundhygiene angeht, eher finster. Erst in einem Buch eines unbekannten deutschen Verfassers mit dem Titel »Die Zene Artzney« aus dem Jahr 1530 wurde auf die Mundgesundheit eingegangen und empfohlen, den Mund mit gebranntem Kalk und Essig zu spülen. Der Zahnbelag schien also schuld an allem Übel zu sein. Als sich mit dem Beginn der Renaissance die Wissenschaft und die technischen Möglichkeiten rasant weiterentwickelten, begannen einige Forscher, sich diesen Zahnbelag genauer anzuschauen.

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      Im Gegensatz zum Homo sapiens hat dieser Affe »nur« eine Ernährungs-Zahnbürste.

      Schon lange bevor der Norweger Thorbjörn Egner 1949 in einem Kinderbuch »Karius und Baktus« zum Leben erweckte, wurde Bakterien die Schuld in die Schuhe geschoben. Wie kam es dazu?

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      Karius und Baktus und ihr Erfinder Thorbjörn Egner.

      Es war im Jahr 1683, als der holländische Naturforscher und Weiterentwickler des Mikroskops Antoni van Leeuwenhoek in einem Brief an die Royal Society in London die ersten Bakterien beschrieb. Er machte damals schon die Bemerkung, dass der ganze Mundraum voll von ihnen sei und dass sein Zahnfleisch bei guter Reinigung nicht blute.

      Einige Berichte zeigten, dass Zucker und süße Lebensmittel im 16. Jahrhundert sehr rar waren. Es galt sogar als schick, sich in niederen Bevölkerungsschichten die Zähne schwarz zu färben. Denn nur wer vermögend war, konnte sich Zucker und Süßes leisten. Heute gilt dies für weiße Zähne und der Handel mit Zahnaufhellungsprodukten floriert.

      Trotz der bakteriellen Erkenntnis waren die folgenden Jahre zahngesundheitsmäßig gesehen eher als mau zu bezeichnen. Einen Tiefpunkt menschlicher Mundgesundheit erreichte dabei der Sonnenkönig Ludwig der XIV. (1638 bis 1715)2. Die königliche Ernährung setzte dem Monarchen so zu, dass so gut wie jeder Zahn kariös wurde. Da das damalige Therapiekonzept seines Hofzahnarztes lediglich die Zange kannte, wurden dem König nach und nach alle Zähne gezogen. Dabei brach der königliche Kiefer und ihn begleitete von nun an eine unangenehm riechende Fistel, aus der ständig eitriges Sekret abfloss. Zudem lief ihm bei Genuss eines Glases Wein derselbige durch den löchrigen Oberkiefer wieder aus der Nase heraus. Wahrscheinlich kein Wunder, dass keine Bilder von einem lächelnden Monarchen angefertigt wurden. Stellen Sie sich vor, Sie hätten Ludwig als Tischpartner gehabt. Wusste der oberste Mann im Staate denn nicht, was er sich mit seiner Ernährung antat?

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      Antoni van Leeuwenhoek, der als Erster Bakterien beschrieb.

      Was hätten uns wohl unsere Jäger-und-Sammler-Vorfahren zu diesem Thema berichtet? Dass sie Zahnbürsten brauchten? Dass sie Mundgeruch oder Zahnschmerzen hatten? Wahrscheinlich nicht. Wie Sie gleich sehen werden, wurde der Einfluss der Nahrung auf die Zahngesundheit menschheitsgeschichtlich erst relativ spät entdeckt. Zuvor galt die Annahme, dass der Zahnverfall völlig normal sei und er den Menschen nun mal sein Leben lang begleite. Aber wurden nach dieser Entdeckung Gegenmaßnahmen eingeleitet? Sollte etwa auf Zucker verzichten werden? Schauen wir, wie es weitergeht.

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      Ludwig der XIV. durfte und konnte wahrscheinlich nicht lächeln.

      Ein wirklich wissenschaftlicher Durchbruch gelang dem amerikanischen Zahnarzt Willoughby Dayton Miller. Seit 1882 veröffentlichte er mehrere wissenschaftliche Studien, in denen er seine sogenannte chemoparasitäre Theorie darlegte. Miller zufolge verstoffwechselten bestimmte Bakterien in der Mundhöhle Kohlenhydrate zu Säuren, die wiederum die Zahnhartsubstanz auflösten. Seine Beobachtungen erfolgten zu den Zeiten des großen Infektiologen Robert Koch, bei dem Miller auch damals in Berlin Medizin studierte. Robert Koch entdeckte, dass die Tuberkulose durch das Mycobacterium tuberculosis ausgelöst wurde, und stellte infolge seiner Forschungen die sogenannten Koch’schen Postulate auf. Nach diesen muss, grob gesprochen, das Zufügen eines Bakteriums in einen Organismus eine bestimmte Krankheit hervorrufen und die Elimination desselben Keims diese Krankheit wieder beenden, wie es zum Beispiel bei der Tuberkulose der Fall ist. Die Koch’schen Postulate entsprechen heute immer noch den Anforderungen an (Infektions-)Krankheiten und Bakterien.

      Miller und seine Zeitgenossen hätten durch die Entdeckung, dass orale Bakterien aus vergärbaren Kohlenhydraten (v. a. Zucker) Säuren produzieren, eigentlich logische Schlüsse ziehen können. Dann hätten sie nicht nur die Bakterien, sondern auch die verstoffwechselbaren Kohlenhydrate kritisch unter die Lupe genommen und sich fragen können: Kann so etwas wie Zucker, das die Zähne kaputt macht, für den Körper überhaupt gut sein? Miller entschied sich für den Weg, die Bakterien weiter als die Schuldigen zu betrachten, und entwickelte mit seinen Kollegen eine desinfizierende Zahnpasta3. Diesem Weg folgen wir heute weitestgehend immer noch: die chemomechanische Desinfektion der Zähne (oder auch Zähneputzen mit Zahnpasta genannt).

      Wie ist Millers Weg zu verstehen? Konsumierte er selbst viel Zucker? War die verlockende Süßigkeit in der Gesellschaft zu stark verankert? Was sagten die Ärzte dazu? War Zucker für den Organismus höchst notwendig und von daher Karies nun mal ein begleitendes Übel? Wie auch alle Fragen lauten könnten, dem Zucker war das egal. Er begann durch Kolonialisierung und moderne Landwirtschaft jetzt sogar seinen eigentlichen Siegeszug. Die bereits angelaufene Industrialisierung katapultierte das »weiße Gold« als Massenware in alle gesellschaftliche Schichten.

      Die Tatsache, dass Miller seine Theorie im Zeitalter Robert Kochs beschrieb, prägt uns bis heute. So wurden andere Einflüsse, wie die Ernährung oder der Lifestyle, stark in den Hintergrund gedrängt. Denn nach der Logik der Infektionstheorie können prinzipiell drei große Wege eingeschlagen werden: Vermeiden der Infektion, Impfung und anti-infektiöses Vorgehen (wie unter anderem mit Antibiotika). Diese Erkenntnisse haben Millionen von Menschen das Leben gerettet und den damaligen häufigsten Todesursachen, wie zum Beispiel den Durchfallerkrankungen, den Schrecken genommen. Allerdings greifen sie bei den Problemen des 21. Jh. wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und Übergewicht nicht mehr.

      Sie

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