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Friedrich wirft die dreckigen Festtagsklamotten in den Wäschekorb neben der Tür, hebt mich in den Rollstuhl, fährt mich ins Wohnzimmer zurück, bläst die Kerzen aus, ehe die Nadeln des Adventskranzes Feuer fangen, und lässt mich alleine im Zimmer.

      Nach einer Weile beginnt es in der ganzen Wohnung köstlich zu duften. Mir schwindelt. Mein Magen meldet sich laut. Mein Zeigefinger schiebt sich wie in Trance auf den Knopf. In der Küche angekommen staune ich über das Bild, das sich mir bietet: Friedrich steht am Herd, irgendetwas brutzelt in den zwei Pfannen, die darauf stehen. Konzentriert steht mein Mann mit dem Pfannenwender in der einen Hand davor und rührt mit der anderen in einem hohen Topf.

      Der Tisch ist liebevoll gedeckt. Eine Vase mit Rosen steht in der Mitte. Die sind neu. Interessiert fahre ich näher. Dort, wo ich esse, steht kein Stuhl, sodass ich ganz zum Tisch fahren kann. Neben meinem Besteck liegt ein Päckchen, eingeschlagen in rotem Samt, eine goldene Masche ziert das Viereck. Ich bin erstaunt. Friedrich scheint mich nicht zu bemerken, pfeifend wendet er etwas Grünes. Die Küchenuhr piepst. Friedrich öffnet den Ofen und zieht eine Kasserolle hervor. Der heiße Dampf legt sich auf die Küchenfronten. Von meinem Blickwinkel aus sehe ich nur ein paar Knochen aus der Auflaufform in die Luft ragen. Er wird doch nicht …? Mein Herz hüpft. Still bleibe ich an meinem Platz und sehe zu, wie Friedrich eine Lammkrone aus der Kasserolle auf das Holzbrett hebt, das er zuvor auf die Arbeitsfläche gelegt hat. Mit einem Messer schneidet er die einzelnen Filets. In der Mitte sind sie noch rosig, genauso wie ich sie mag. Friedrich richtet die einzelnen Filets auf zwei Tellern an, legt die Beilagen dazu. Jetzt seh ich auch, was das Grüne ist. Es sind Fisolen-Pakete, die in Speck eingewickelt und gebraten wurden. Mein Magen jauchzt förmlich. Er hat mein Lieblingsgericht gekocht.

      Als Friedrich sich mit den fertigen Tellern umdreht, reißt er die Augen auf und grinst.

      »Aha, du hast dich schon reingeschlichen.«

      Er stellt die Teller ab und gießt Wein in die Gläser. Ich betrachte das Gericht. Statt Reis hat er Polentarauten gemacht. Daran kann ich mich nicht so leicht verschlucken. Friedrich steckt mir mein Hilfsgestell auf den rechten Arm, klemmt die Gabel ein. Routiniert schneidet er mir die Lammkronenfilets, die Polenta und die Fisolen in kleine mundgerechte Stücke.

      Er hält beide Gläser in der Hand und stößt sie aneinander.

      »Herzlichen Glückwunsch zum Hochzeitstag, mein Schatz.« Er küsst mich auf die Lippen. Ich bin so überrascht, dass ich den Kuss nicht erwidere. Zu schnell sind seine Lippen weg. Stattdessen fühle ich das glatte Glas an meinem Kinn, das Friedrich mir hinhält. Ich nippe. Friedrich stellt es ab und setzt sich. »Na, dann hau rein.«

      Der Kloß in meinem Hals wandert nach oben. Das Bild auf dem Tisch verschwimmt zu einer bunten Masse. Ich schlucke. Friedrich sieht mich liebevoll an.

      »Du hast doch nicht gedacht, ich hätte auf unseren Hochzeitstag vergessen?«

      An meinem Blick sieht er, dass es so ist. Lächelnd schüttelt er den Kopf und schneidet sich ein Stück Fleisch ab.

      »Hab ich ihn jemals vergessen?« Er deutet mit der Gabel auf die Rosen. Nein, hat er nicht. Aber irgendwann ist immer das erste Mal, oder nicht? Erwartungsvoll sieht Friedrich mich an. Brav spieße ich ein Stück Fisole auf und führe es umständlich zum Mund. Friedrich nickt und isst. Eine Träne läuft über meine Wange, benetzt meine Lippen. Ich lecke das salzige Nass ab und befördere eine weitere Gabel in meinen Mund.

      Er hat nicht vergessen. Ich habe mir umsonst Sorgen gemacht. Ich sehe meinen Mann an. Er lacht, doch die Fältchen, die sich sonst an seinen Augen zeigen, verschwinden in den dunklen Augenringen darunter. Es ist alles in Ordnung, beruhige ich mich. Doch warum erreicht das Lachen nicht seine Augen? Warum bleibt das dumpfe Gefühl, dass etwas nicht stimmt? Ich schlucke den Bissen hinunter und fühle ihn wie einen Stein in meinen Magen sinken.

      Nichts ist in Ordnung. Gar nichts.

      2

      Montag, 12. Dezember

      Vor vier Wochen hatte er erfahren, dass die Firma, in der er die letzten zehn Jahre gearbeitet hatte, Konkurs anmelden musste. Friedrich rutschte auf dem Metallsessel hin und her. Zum zwölften Mal innerhalb vier Wochen saß er nun hier beim Arbeitsmarktservice, kurz AMS genannt. Der ganze Warteraum war voller Menschen: Alte, Junge, Frauen, Männer, Teenager, Gesunde, Kranke, Dünne, Dicke, Anzugträger, Jogginghosenfreaks, Tätowierte, Gebräunte, Blasse. Jede Schicht war vertreten. Der Mann rechts neben ihm trug einen Anzug aus teurem Stoff samt Krawatte, während es links von Friedrich zum Himmel stank. Buchstäblich. Eine Dicke mit Kurzhaarschnitt in Pink, zahlreichen Tattoos auf den Oberarmen, mehreren Piercings im Gesicht, in Jogginghose und Ruderleiberl saß breitbeinig neben ihm. Würde sich der Busen nicht überdeutlich unter dem dünnen Leibchen abzeichnen, würde er sie fast mit einem Bauarbeiter verwechseln. Ihr Knie scheuerte immer wieder an seinem. Zudem kratzte sich die Frau pausenlos. Die Arme waren mit Einstichen übersät. Arme Kreatur, dachte Friedrich bei sich. Wer wusste schon, wie und warum diese Frau auf Abwege geraten war!

      Richtig froh war er deshalb, als seine Nummer aufgerufen wurde. 81! Tür 23 sein Sachbearbeiter. Dieser blickte nicht einmal auf, als er eintrat.

      »Setzen Sie sich, Herr…«

      »Stolz.« Friedrich setzte sich auf den Bürostuhl, der wesentlich gemütlicher war als die Stühle draußen am Gang.

      »Wie auch immer«, sagte der Angestellte. »Den können Sie sich jetzt leider nicht mehr erlauben.«

      Friedrich ärgerte sich insgeheim, dass der Mann seinen Nachnamen mit einer Charaktereigenschaft koppelte.

      Er räusperte sich.

      »Haben Sie was für mich gefunden?«

      Der Mann, auf dessen Metall-Namenskärtchen »Dr. Dr. Schleicher« stand, hob seine Hand von der Computermaus und fuhr mit dem Drehstuhl vom Rechner weg.

      »Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Die Filialleiterposten, die es noch gab, haben sich Ihre Kollegen schneller unter den Nagel gerissen. Da gibt es jetzt nichts. Auch Verkäuferjobs sind alle weg. Immerhin hatte Ihre Firma weit über 5000 Mitarbeiter. Ein Drittel konnten wir unterbekommen.«

      »Aber Sie haben gesagt, Sie melden sich bei mir sofort, wenn was frei ist. Wie können die anderen schneller sein? Ich war gleich am ersten Tag da, nachdem wir vom Konkurs erfahren haben. Ich habe mein Telefon extra Tag und Nacht eingeschaltet gelassen. Ich habe Ihnen doch gesagt, wie dringend ich den Job brauche! Dringender als andere!« Beim letzten Wort kiekste seine Stimme.

      »Das sagen sie doch alle.« Dr. Dr. Schleicher knetete einen blauen Knautschball in seiner Rechten. »Jeder braucht das Geld dringender als sonst was.« Er warf den Ball in die Linke und knetete weiter. »Ich kann Sie für eine Umschulung vormerken. Das kann bis zu einem halben Jahr dauern, bis da was frei wird. Wir müssen ja auch die Flüchtlinge betreuen. Da müssen wir Quote machen. Gell?«

      »Sind Sie wahnsinnig? In einem halben Jahr hab ich kein Haus und kein Auto mehr.«

      »Öffentliche Verkehrsmittel sind zumutbar, und selbst in einer kleinen Gemeindewohnung kann man glücklich sein. Vielleicht sollten Sie Ihre Ansprüche einmal überdenken, Herr Stolz.«

      Das »Stolz« betonte er süffisant und drückte den Knautschball fester. »Das hab ich auch müssen.« Er tippte auf das Metallschild. »Oder denken Sie, dass ich freiwillig hier arbeite? Ich bin total ü-b-e-r-qu-a-l-i-f-i-z-i-e-r-t!« Er presste den Ball mit beiden Händen. »Die Zeiten sind hart!« Spucketröpfchen spritzten aus Schleichers Mund. »Seit dem neuen Pensionsgesetz haben wir jetzt auch die Behinderten und Kranken draußen sitzen, von den Omas und Opas ganz zu schweigen. Die Regierung sagt, wir sollen alle länger arbeiten. Ja wo denn, frag ich Sie, wo?« Er blickte um sich und hob die Hände.

      »Bitte, ich brauch einen Job.« Friedrich beugte sich nach vorne. »Haben Sie denn gar nichts?«

      Schleicher sah ihn lange an. Langsam rollte er zum Computer zurück und klickte auf ein Fenster. »Naja, wenn Sie eine Frau wären, könnten Sie nicht einmal im Rotlichtmilieu durchstarten, selbst dafür sind Sie zu alt.«

      »Ich will

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