Скачать книгу

dass er sie bemerkt und im Parkhaus bewusst abgehängt hatte. Sonst wäre er bestimmt mit einem Auto herausgekommen und sie hätte sich das Kennzeichen merken können. Anscheinend war er durch einen der Fußgängerausgänge verschwunden. Blöd gelaufen, aber nicht mehr zu ändern. Allerdings war sie fest davon überzeugt, ihn wiederzusehen.

      ***

      Im Silbernen Bein saßen Marion Klettke und ein untersetzter Mann, der ihr in Sachen Hippieaussehen in nichts nachstand an einem der Tische. Das musste dieser Werner Mumer sein, von dem ­Rosenthal gesprochen hatte. Er schien etwas älter als Marion zu sein. Die einzig an den Schläfen und dem Hinterkopf vorhandenen braunen Haare waren im Nacken zu einem langen Zopf zusammengefasst. Zu einem bunten Hemd trug er eine schwarze Lederhose und Sandalen, aus denen grellgrüne Socken lugten. Vor ihnen standen gerippte Gläser mit einer gelblichen Flüssigkeit.

      ­Rosenthal winkte ­Melanie vom Stammtisch aus zu.

      „Hallo, Herr ­Rosenthal.“ Sie setzte sich unaufgefordert zu ihm.

      Er grinste sie an. „Ralf! Hier duzen sich alle.“

      „Gern, wenn du mich Mel nennst.“ Irgendwie mochte sie ihn.

      ­Sabrina kam mit einem Lächeln herbei und stellte eine Kräuterlimonade auf den Tisch. Zu ­Melanies Überraschung nahm sie ebenfalls Platz.

      „Wie ich sehe, haben Sie Anschluss gefunden. Schön, denn wer in so kurzer Zeit das dritte Mal bei uns ist, sollte nicht allein bleiben. Ich heiße übrigens ­Sabrina.“ Sie streckte ­Melanie die Hand hin, die sie mit einem Lachen ergriff.

      „­Melanie, aber sag bitte Mel.“

      In den nächsten Minuten glaubte sie sich in einem Verhör zu befinden, was sie ein bisschen amüsierte. ­Sabrina fragte sie regelrecht aus, wobei ­Melanie wenig Mühe hatte, unbefangen zu antworteten. Einzig ihren Beruf und den wahren Grund ihrer Anwesenheit verschwieg sie. Sie behauptete vielmehr, dass sie eine Büroangestellte sei, die ein paar Monate Auszeit genommen habe, um sich Deutschland anzusehen. Dabei würde sie sich treiben lassen.

      „Und“, bohrte Ralf, „wie findest du Bad Homburg?“

      „Ausgesprochen schön! Besonders die Altstadt mit dem Schloss und natürlich der tolle Kurpark sind super.“

      Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, dass die Althippies ihre Unterhaltung unterbrochen hatten und versuchten, das Gespräch mitzuhören.

      Ralf hatte es ebenso bemerkt. „Marion, Werner, ihr bekommt ja Elefantenohren!“ Er lachte laut. „Auf, kommt rüber, dann könnt ihr alles viel besser verstehen.“

      Das Paar stand tatsächlich auf und setzte sich zu ihnen an den Stammtisch. Die beiden stellten sich vor und auf der Stelle war ­Melanie mit den beiden per du.

      Werner hob sein Glas. „­Sabrina, hast du noch zwei Äppler?“

      Die Wirtin erhob sich. Sie schien ­Melanies fragenden Blick bemerkt zu haben. „Mel, der Apfelwein ist unser Nationalgetränk. Gibt es hier überall in der Gegend.“ Sie zeigte auf die Keramikkrüge mit der blauen Musterung im Regal. „Normalerweise wird der Äppler, wie wir ihn im Volksmund nennen, in diesen Bembeln serviert. Musst du mal probieren.“

      ­Melanie verzog das Gesicht. „Besser nicht. Mal abgesehen davon, dass ich Alkohol meide, klingt das für mich ziemlich schräg. Da bleibe ich lieber bei meiner Kräuterlimonade.“

      ­Sabrina grinste und holte die bestellten Getränke, wobei sie ­Melanie unaufgefordert eine neue Bionade mitbrachte.

      Die Eingangstür öffnete sich und ein Mann betrat das Lokal, der vom Typ her nicht so recht hierher passte. Mit seiner in Schwarz und Weiß gehaltenen und erkennbar teuren Kleidung wirkte der Mittfünfziger etwas abgehoben, zudem verlieh ihm die Größe von knapp zwei Metern eine natürliche Dominanz.

      Er kam an den Tisch und nickte zum Gruß. „Frau Eskir, Herr ­Rosenthal, ich müsste Sie bitte einmal sprechen.“ Sein Blick fiel auf ­Melanie, für deren Geschmack einen Augenblick zu lang, bevor er sich wieder an ­Sabrina und Ralf wandte. „Allein und unter sechs Augen.“

      Er schien es gewohnt, Anweisungen zu erteilen. Sicherlich verdunkelte sich seine Miene deshalb, als ­Sabrina in betont lässigem Ton antwortete. „Es gibt nichts, was wir nicht hier vor meinen Gästen besprechen könnten, Herr ­Schüttler. Falls Sie gekommen sind, um zu fragen, ob ich das Haus endlich an Sie verkaufe, war Ihr Weg ohnehin umsonst. Wenn Sie etwas trinken oder essen möchten, bediene ich Sie gerne. Nehmen Sie bitte Platz, wo immer es Ihnen genehm ist.“ Sie machte keinerlei Anstalten, aufzustehen.

      ­Schüttler wurde rot, er formte die Hände neben dem Körper zu Fäusten. Das versprach spannend zu werden!

      Die Stimme wurde eine Spur lauter. „Frau Eskir, teilen Sie mir Ihren Verkaufspreis mit und ich sehe, was ich tun kann.“ Ralf hatte er anscheinend vergessen.

      ­Sabrina wirkte unverändert entspannt. „Keine Chance! Egal, was Sie mir anbieten. Da wird sich nichts ändern!“

      ­Schüttler begann zu zittern. „Glauben Sie mir, Sie veräußern es, weil ich weiß, dass es sich für Sie bald nicht mehr lohnen wird, hier zu leben. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, dass Sie demnächst auf den Knien angekrochen kommen und mich anflehen, das Haus zu kaufen! Dann bestimme ich den Preis!“ Eine reife Tomate konnte kaum röter als sein Kopf sein.

      Ralf meldete sich. „Falls es Sie interessiert: Ich verkaufe nur zusammen mit Frau Eskir.“ Sein Schmunzeln verriet, wie viel Spaß er daran hatte, diesen Kerl zu ärgern.

      Das gab dem Gast den Rest. „Das wird Ihnen leidtun! Denken Sie an meine Worte! Sagen Sie mir hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und rannte zum Ausgang, vor dem er im letzten Moment einem Pärchen auswich, das hereinkam und ihm verwundert nachschaute.

      ***

      ­Melanie betrat den Schlosspark durch den Eingang Dorotheenstraße. Ein Schild hinter dem zweiflügeligen, schmiedeeisernen Tor verriet ihr, dass der Park um 20:30 Uhr schloss. Sie schaute auf ihr Smartphone: 19:18 Uhr. Der breite Kiesweg lief direkt auf einen Schlossflügel zu, rechts davon lag die Orangerie.

      Sie entdeckte den kleinen Wegweiser zu Goethes Ruh. Ihr Weg führte sie an der Schlossparkmauer entlang nach links. Hoffentlich stimmte ­Rosenthals Vermutung, der Graf halte sich am Abend hier auf. Es wurde gemunkelt, dass er hier meist übernachtete, was eigentlich unmöglich war, weil der Park über Nacht verschlossen wurde. Einige Meter weiter ging es abwärts und bald war das Dach eines Pavillons zu sehen. Ein runder, mit Kies bedeckter Platz, der durch Beete unterbrochen wurde, lag seitlich ein Stück tiefer. ­Melanie schaute hinunter, konnte allerdings nicht erkennen, ob sich der Obdachlose in der Nähe befand. Plötzlich kräuselte sich Zigarettenrauch in der Luft und jemand hustete. Sie hatte ihn gefunden. Langsam ging sie nach unten.

      „Kommen Sie nur her. Ich hab Sie längst gesehen. Sie müssen sich vor mir nicht verstecken!“, rief er hinter dem Häuschen hervor.

      ­Melanie trat grinsend auf die Fläche. „Guten Abend. Ich wollte Sie nicht stören.“

      Der Graf saß auf einem Schlafsack vor dem Eingang und hatte ein schmales Buch auf dem Schoß, in dem er anscheinend gelesen hatte. Er nahm seine Hornbrille ab und schaute die Besucherin mit interessiertem Blick an.

      „Genau das wollten Sie und haben es bereits getan. Ich freue mich aber über Besuch.“ Er klopfte auf die freie Stelle neben sich auf der Unterlage. „Setzen Sie sich. Es ist nicht sonderlich gemütlich, aber besser als zu stehen. Außerdem schaue ich nicht so gern zu Menschen auf.“ Er schmunzelte.

      ­Melanie ließ sich auf dem Kies ihm gegenüber im Schneidersitz nieder. Wie alt mochte er sein? Er war schwer zu schätzen. Mitte, Ende fünfzig vielleicht. Sie schielte nach dem Buchtitel. Der Spieler von Dostojewski, eine verblüffende Lektüre für einen Obdachlosen.

      Der Stadtstreicher schien ihren Blick wahrgenommen zu haben. „Wussten Sie, dass Dostojewski die Idee zu der Geschichte in der hiesigen Spielbank bekam, in der er sein Geld verzockte?“

Скачать книгу