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widmete, werden Fugger und Welser im Neusprech für Globalisierung vorgestellt: Bei ihnen war schon alles »Global Market«, »Networking«, »Wireless Communication« etc. In einem Beitrag werden sie als »Handelsgenies« gepriesen, und das Gespräch mit einem Wirtschaftshistoriker trägt die Überschrift: »Prädikat: Unbedingt nachahmenswert!« Nun schauten insbesondere die Welser zweifellos mutig auf Handelsrouten weit über ihre Stadt hinaus. Sie hatten eine erstaunlich globale Perspektive in einer Zeit, als die buntscheckige Ansammlung von Fürsten- und Bistümern, die locker vereint das Heilige Römische Reich deutscher Nation bildete, überwiegend mit sich selbst und der Reichsreform beschäftigt war.

      Allerdings haben zeitgenössische Darstellungen über manche der überseeischen Unternehmungen der Welser weniger Angenehmes zu sagen. In seinem berühmten Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder von 1542 erwähnt der Dominikanermönch und spätere Bischof von Chiapas, Bartholomé de Las Casas, auch die nahezu dreißig Jahre währende Anwesenheit der Welser im heutigen Venezuela. Er nennt die Deutschen »eingefleischte Teufel«: »Sie wüteten weit grausamer unter ihnen (den Ureinwohnern; MT), als alle bereits erwähnten Barbaren; ja noch viehischer und rasender, als die blutgierigsten Tiger und wütigsten Wölfe und Löwen. Vor Geiz und Habsucht handelten sie weit toller und verblendeter, als alle ihre Vorgänger, ersannen noch abscheulichere Mittel und Wege, Gold und Silber zu erpressen, setzten alle Furcht vor Gott und dem Könige, und alle Scham vor Menschen hintenan; und da sie so große Freiheiten genossen, und die Jurisdiktion des ganzen Landes in Händen hatten, so vergaßen sie beinahe, daß sie Sterbliche waren.«

      Las Casas nennt eine Reihe von besonders grausamen Beispielen und spricht von vier bis fünf Millionen Opfern. Nun war er für seinen Furor bekannt, und sicher können die Zahlen übertrieben sein. Doch selbst wenn sie massiv heruntergerechnet werden, bliebe die Anzahl der Opfer immer noch bedeutend. Umso erstaunlicher ist, dass davon in der Bundesrepublik kaum etwas bekannt ist. Die Kaufleute der Welser hatten sich sogleich für die Möglichkeiten des überseeischen Handels interessiert, als die Kunde von Vasco da Gamas und Christoph Kolumbus’ Reisen zu ihnen nach Augsburg drang. Sie knüpften zunächst Kontakte mit Lissabon und durften sich bereits 1505 mit drei Schiffen an einer portugiesischen Plündertour an die heutigen Küsten von Kenia und Tansania beteiligen. Bald darauf aber war Portugal nicht mehr bereit, Ausländer an solchen Expeditionen teilhaben zu lassen, und so wandten sich die Welser an die gerade in Madrid an die Macht gekommenen Habsburger. Dort erhielten sie 1525 ein Privileg, das sie im überseeischen Handel mit spanischen Untertanen gleichstellte. 1528 dann bekamen zwei deutsche Kaufleute, ausgestattet mit dem finanziellen Rückhalt der Welser, das Recht dazu, viertausend Sklaven zu handeln. Zudem sollten sie mit der Hilfe von deutschen Kolonisten einen Ausschnitt des heutigen Venezuela besiedeln. Das Territorium, das dann in Anlehnung an die spanische Bezeichnung als »Klein-Venedig« bezeichnete wurde, war primär deswegen von Interesse, weil es reich an Menschen war, die als Sklaven gefangen genommen werden konnten.

      Deutsche Siedelnde mitzubringen erwies sich als schwierig, weil niemand so recht in ein derart unbekanntes Land auswandern mochte. Immerhin fünfhundert Personen landeten 1529 mit drei Schiffen in Coro, das die Hauptstadt der Welser-Niederlassung wurde und fortan Neu-Augsburg heißen sollte. Das heutige Maracaibo war auch eine Gründung der Welser (Neu-Nürnberg), aber es blieb ein winziger Ort ohne Rathaus und Stadtrechte. Von Beginn an litt die ganze Unternehmung unter erheblichen Zwistigkeiten bei den Deutschen – in Coro herrschte zeitweilig regelrechte Anarchie. Streit gab es auch mit den zahlreichen Spaniern vor Ort wie mit den Vertretern der spanischen Krone, die wiederholt intervenierten. Da die Mittel für eine organisierte Besiedlung niemals aufgewendet wurden, verlegten sich die Deutschen auf Expeditionen ins Landesinnere. Diese Expeditionen gingen meist von Gerüchten aus, von allerlei Erzählungen über unerschlossene Handelswege oder irgendwelche reichen Regionen, die erobert werden sollten. Teilweise wurde buchstäblich nach dem legendären »Dorado« gesucht. Selbst krasse Misserfolge hinderten nicht an einer nächsten Tour, wenn irgendwoher Nachricht von Reichtümern kam, etwa die Kunde von Francisco Pizarros »Erfolg« bei der Eroberung des Inkareichs im heutigen Peru. Die Expeditionen, zumal jene des Ulmers Nikolaus Federmann, gingen oft mit einer solchen Brutalität gegenüber den Einwohnern einher, dass sich selbst die freundlich gesinnten Indigenen aus der Gegend um Coro weitgehend zurückzogen und es zu mehreren Aufständen gegen die Deutschen kam. Nach 28 Jahren, im Jahr 1546, kündigte Karl V. den Vertrag mit den Welsern. Die hatten wenig investiert und doch, zumal am Handel mit Menschen, nicht schlecht verdient. Offiziell aber galt das Unternehmen als Misserfolg. Einige der Familienmitglieder hatte die Kündigung geärgert (Bartholomäus V. Welser prozessierte noch erfolglos gegen die Krone), doch insgesamt handelte es sich in finanzieller Hinsicht nicht um einen Fehlschlag.

      In den einschlägigen politischen Gruppen ist die koloniale Episode der Welser selbstverständlich bekannt. Auf einem »Infoblatt« des auf Unterricht spezialisierten Verlags Klett von 2012 allerdings fehlt jede Erinnerung an die Opfer. Das Engagement in Venezuela erscheint als neutrale Suche einer Händlerfamilie nach neuen Märkten: »1528 erhielt Bartholomäus V. Welser von Karl V. als Preis für eine neue Anleihe die Statthalterschaft über die südamerikanische Provinz Venezuela, wodurch die Welser einen sicheren Stützpunkt für den Amerikahandel gewannen.« Die Geschehnisse spielten auch eine Rolle auf dem Symposium »Bayern und Lateinamerika vom 16. bis zum 20. Jahrhundert«, das 2011 anlässlich des 200-jährigen Jubiläums einiger lateinamerikanischer Länder im Bayerischen Hauptstaatsarchiv stattfand. In einem Beitrag in Akademie Aktuell (Magazin der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) wurde das Referat über die »Lateinamerika-Mission« der Welser anlässlich des Erscheinens der zugehörigen Publikation so paraphrasiert: »Die risiko- und verlustreichen Expeditionen ins Landesinnere zwecks Ökonomisierung und Urbanisierung des Landes zeitigten zwiespältige Ergebnisse. Das traurige Schicksal des Bartholomäus VI. Welser, der 1546 auf dem Marktplatz von El Tocuyo hingerichtet wurde, steht symptomatisch für die letztendlich wenig glückliche Rolle, die die 28 Jahre währende Überseemission in der Geschichte des Augsburger Handelshauses spielte.«

      Es waren also nicht die Welser, die für die Einheimischen eine verhängnisvolle Rolle spielten, sondern umgekehrt wurde den Kaufleuten das unendlich große Land zum Verhängnis. Die Welser werden als Individuen betrachtet, deren Erinnerung zählt, die Einheimischen bleiben anonym. Die Expeditionen dienten offenbar auch nicht der Ausplünderung des Landes, sondern seiner zivilisatorischen Erschließung, der »Ökonomisierung und Urbanisierung«. Im Fugger-Welser-Erlebnismuseum in Augsburg hatte es 2014 Streitigkeiten um Tendenzen der »Reinwaschung« gegeben, die kurz vor Eröffnung sogar zu einem kompletten Wechsel im Kurationsteam führten. Doch in dem Raum, in dem es im Museum um »Die Welser in Venezuela« geht, kann von einer Aufarbeitung der Kolonialgeschichte nicht die Rede sein. Der Raum wird dominiert von einer Schiffsinstallation, von Frachttonnen und nautischen Geräten. Den Gästen wird die Perspektive des modernen europäischen Reisenden angeboten. Demgegenüber sind die »Eingeborenen« von der Reling des Schiffes aus als naiv gezeichnetes Wandbild zu sehen: Nackt winken sie ihren »Entdeckern« freudig zu. Ein reflektierterer Umgang ist vielleicht auch von einem Museum nicht zu erwarten, das auf der Startseite seiner Homepage folgendes Zitat des Historikers und Fuggerpreisträgers Maximilian Kalus in Dauerschleife einblendet: »Die europäische Expansion ist (…) wohl die wichtigste Entwicklung (…) der frühen Neuzeit. Kaum ein anderer historischer Prozess prägt die Welt langfristig stärker als das sogenannte ›Zeitalter der Entdeckungen‹.«

      »Entdeckung«: Gewalt und Monolog

      Mittlerweile wird der Ausdruck »Entdeckungen« auch in Deutschland fast überall in Anführungszeichen verwendet, weil die Perspektive unverhohlen eurozentrisch ist. Zudem dürfte »Entdeckung« kaum das richtige Wort sein für jenen seltsamen Vorgang, der sich im Jahr 1492 abspielte, als die drei Schiffe Santa Maria, Nina und Pinta auf die kleine Insel Guanahani trafen, die heute zu den Bahamas gehört. Es handelte sich um eine Expedition, die der Italiener Christoph Kolumbus im Auftrag der spanischen Krone leitete. Die damals einflussreichsten europäischen Königreiche Portugal und Spanien sahen sich im Handel mit Indien und China durch das immer mächtiger werdende Osmanische Reich blockiert, das für die Durchquerung hohe Zölle verlangte. Und so waren jene Schiffe auf der Suche nach einer Seeroute nach Ostasien, um den Osmanen auszuweichen. Am Ufer von Guanahani sahen die Seefahrer dort ansässige Menschen. Was die

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