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      Der Cowboy entdeckte ihn. Rasch wandte Alexander seinen Blick ab, verstaute betont langsam Koffer und Tasche in einem Fach des Gepäckwagens und schlenderte dann zur Rolltreppe. Er hatte den Spieß umgedreht, verfolgte nun seinen Verfolger.

      Als der glatzköpfige Bursche das erste Deck erreicht hatte, sah er sich unschlüssig um. Alexander duckte sich hinter einem dicken Pärchen, das vor ihm die Rolltreppe blockierte. Die Glatze ging ans Heck des Schiffes.

      Erst nachdem sich Alexander vergewissert hatte, dass sich der Bursche allein in der Smoking Area im Freien befand, betrat er die hinter schmutzig beigen Planen versteckte Raucherecke. Er glaubte, kein besonderes Risiko einzugehen, wenn er den Cowboy ansprach. Jederzeit konnte einer von der Besatzung oder ein Passagier daherkommen.

      Plötzlich blickte er in die Mündung eines Revolvers. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, stürzte er sich auf den Mann und versetzte ihm einen Tritt in den Magen.

      Die Glatze klappte zusammen wie ein Hampelmann. Das Motorengeräusch der Lastwagen, die sich als letzte einparkten, übertönte seinen Schrei.

      Alexander nahm die Glock an sich. Was für ein wertvolles Geschenk des Himmels! In seinem Job konnte man eine Waffe, die auf einen anderen Namen oder gar nicht registriert war, immer gebrauchen.

      Sein Gegner rappelte sich auf. Alexander versetzte ihm einen zweiten Tritt, erwischte seine Kehle. Der Cowboy verlor das Bewusstsein.

      Hastig durchsuchte Alexander die Hosentaschen des Burschen. Seine Brieftasche steckte er ein.

      „Wer hat dich beauftragt, mich zu verfolgen?“, fauchte er den jungen Mann an, als er wieder zu sich kam.

      Er erntete einen wütenden Blick.

      Rasch presste er seinem Gegner den Schalldämpfer der Glock an die Stirn. „Wenn du nicht sofort den Mund aufmachst, bist du tot. Ich zähle bis drei. Eins, zwei …“

      „Stavros“, flüsterte der Cowboy.

      „Welcher Stavros? Wie heißt er mit Nachnamen?“

      „Weiß nicht …“

      „Rede endlich! Oder …“

      Anstatt den Mund aufzumachen, zog der Idiot ein italienisches Springmesser aus dem Schaft seines linken Stiefels. Der Griff war mit Perlmutt verziert, die Klinge war über zehn Zentimeter lang und kam Alexanders Kehlkopf gefährlich nahe.

      „Ai gamisou“, fauchte Alexander. „Fick dich!“, wiederholte er auf Deutsch und riss seinen Kopf zurück, während er dem Jungen gleichzeitig das Messer aus der Hand schlug.

      Doch der Glatzkopf schien wieder bei Kräften zu sein. Er brachte Alexander zu Fall, packte ihn mit beiden Händen an der Kehle und drückte zu. Mit letzter Kraft schaffte Alexander es, ihm das Knie in die Eier zu rammen.

      Leises Aufjaulen. Instinktiv fasste der Typ sich an den Schwanz. Ein Fehler, denn kaum war seine Kehle frei, wälzte sich Alexander auf ihn und setzte ihn mit ein paar Faustschlägen außer Gefecht. Der Kampf war fast lautlos vonstattengegangen, hatte nur ein paar Sekunden lang gedauert.

      Er packte den Mann an den Füßen, schleifte ihn zur Reling und hob ihn hoch. Der Oberkörper des Burschen hing fast zur Gänze über der oberen Eisenstange. Alexander hielt ihn mit beiden Händen am Hosenbund fest.

      „Ist dir der Nachname deines Bosses wieder eingefallen?“

      Anstatt zu antworten, schlug der blöde Kerl mit Armen und Beinen wild um sich. Der Absatz seines spitzen Stiefels traf Alexander unterm Kinn. Er schrie auf vor Schmerz, ließ den Mann los und hielt sich die Hände schützend vors Gesicht. Der Körper des herumzappelnden Burschen geriet ins Rutschen, glitt wie in Zeitlupe über die Reling.

      Alexander reagierte zu langsam, bekam mit seiner Rechten nur ein Hosenbein zu fassen. Als Linkshänder hatte er in der rechten Hand nicht viel Kraft. Der schwere Junge entglitt ihm, knallte auf das sich schließende Einfahrtstor der Fähre und rollte ins Wasser. Die Fähre hatte gerade abgelegt.

      Mit starrer Miene sah er zu, wie der Cowboy von den hohen Wellen am Heck des Schiffes erfasst und in die Tiefe gezogen wurde.

      „Skata“, schimpfte Alexander, als er die Waffen seines Gegners einsammelte. Sorgsam wickelte er sie in seine Anzugjacke und begab sich auf die Suche nach den Waschräumen.

      Die meisten Passagiere waren vollauf damit beschäftigt ihre Plätze zu finden. Dem Mann, der mit gesenktem Kopf an ihnen vorbeieilte, schenkten sie keinerlei Beachtung.

      Auf der Herrentoilette hielt Alexander sein Gesicht unter den kalten Wasserstrahl, ließ das Wasser lange über sein lädiertes Kinn rinnen und wusch sich die Hände gründlich mit Seife.

      Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er hinunter zum Gepäckwagen eilte. Bevor er die Glock samt Schalldämpfer und das Springmesser in seine Sporttasche stopfte, vergewisserte er sich, dass er nicht beobachtet wurde. Dann schlüpfte er in seine Anzugjacke und nahm schwer schnaufend die Treppe hinauf zum zweiten Oberdeck. Er war nicht in bester Form. Alle Knochen taten ihm weh.

      Fast oben angekommen, warf er einen Blick auf das graublaue, schmutzige Hafenwasser. Von dem über Bord gefallenen Mann war nichts mehr zu sehen.

      Seine Augen aufs Meer gerichtet, stolperte Alexander über die zahlreichen Plastiksäcke und Taschen einer alten Frau, die neben der Treppe saß.

      „Ai sto diaolo!“, rief er, was auf Deutsch so viel wie „Zum Teufel!“ bedeutete. Man fluchte eben immer in seiner Muttersprache.

      „Signomi“, flüsterte die Frau, die zusammengekrümmt auf der Vorderkante eines Liegestuhls hockte, erschrocken. Ihren Kopf hatte sie mit einem dünnen weißen Schal vermummt. Die unzähligen Krähenfüße um ihre müden Augen verrieten ihm, dass sie sehr alt war.

      „Nein, ich muss mich entschuldigen. Darf ich Ihnen helfen?“

      Ohne ihre Antwort abzuwarten, sammelte er ihre Einkäufe ein. Ein Pürierstab und eine moderne Espressomaschine, beides zum Glück in den Originalschachteln, waren nicht das Problem, er drückte sie ihr in die Hand. Als sich das Schiff ein wenig neigte, kullerten einige Orangen, ein Deoroller, diverse Duschbäder und Shampoos die Stiege hinunter. Die verdammten Orangen brachten Alexander zu Fall.

      Wieder begann er herzhaft zu fluchen. Er hatte das Gefühl, dass ihn alle Passagiere anstarrten, und bildete sich ein, leises Gelächter zu vernehmen. Außer der alten Frau und einer hübschen blonden Touristin in einer weiten weißen Hose und einem dünnen, langärmeligen weißen Seidenhemd befand sich jedoch nur ein Liebespärchen, das mit sich selbst beschäftigt war, im Freien. Es war sehr windig am obersten Deck.

      Die attraktive Touristin amüsierte sich wahrscheinlich über seine Ungeschicklichkeit, obwohl sie keine Miene verzog. Als sie ihm beim Einfangen der Orangen behilflich war, lächelte er sie dankbar an. Die Alte blieb seelenruhig auf ihrem unbequemen Stuhl sitzen und beobachtete die beiden. Erst als sie alle ihre Orangen und Badezusätze wieder in ihren Säcken verstaut hatte, murmelte sie einen Dank.

      Alexander sah sich nach seiner Helferin um. Sie war verschwunden.

      In diesem Augenblick brach fürchterliches Geschrei am unteren Deck aus.

      „Mann über Bord!“, rief ein deutscher Passagier. Die alte Frau machte hastig drei Kreuzzeichen.

      Die Schiffsmotoren wurden gestoppt. Alexander beugte sich über die Reling.

      Ein menschliches Bein und ein Arm tanzten auf den Schaumkronen der Wellen im schmutzigen Hafenwasser. Als der Kopf eines Mannes zwischen den Gliedmaßen auf und ab zu hüpfen begann, sah es aus, als würde jemand Wasserball spielen.

      Auf einmal stand die blonde Touristin neben ihm. Entsetzt starrte sie auf das grausige Spektakel. Die Schaumkronen auf den Wellen hatten sich rotbraun verfärbt. Ein Stück vom Rumpf und ein zweites Bein erschienen auf der Wasseroberfläche, tanzten mit den

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