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Laura aß mit großem Appetit.

      Eigentlich wollte sie ihren Freunden von dem schrecklichen Unfall auf der Fähre erzählen, aber sie kam nicht zu Wort. Während sie sich dem saftigen Steak widmete, begann Theo zu reden.

      „Das Hotel ist momentan fast leer. Ich habe einige Suiten über den Winter renovieren lassen und will erst zu Pfingsten, also nächstes Wochenende, wiedereröffnen. Ein Paar aus Amsterdam auf Hochzeitsreise, sie sind seit Jahren Stammgäste, habe ich nicht abweisen können …“

      „Freunde von mir“, warf Philip trotzig ein.

      Laura war erst einmal im Flamingo abgestiegen, vor sechs Jahren zur Eröffnung des Hotels. Es war die letzte gemeinsame Reise mit ihrem Mann gewesen. Auch andere Freunde aus Wien waren übers Wochenende angereist. Von der Insel hatte sie damals nicht viel gesehen, nur den fantastischen Blick von Theos Hotelterrasse aus genossen.

      „Du bist zu früh dran. Jetzt ist noch nicht viel los. In den Sommermonaten herrscht aber nach wie vor ausgelassene Partystimmung“, sagte Theo. „Mykonos gilt als die Partyinsel Griechenlands. In den Clubs und Diskotheken um den Hafen und in der Xenias-Straße, etwas außerhalb hinter den Windmühlen, legen die berühmtesten DJs der Welt auf. Die Szene wandert von einer Bar zur nächsten. Es wird getanzt bis in die frühen Morgenstunden. Tagsüber wird geschlafen, am späten Nachmittag ein bisschen gebadet. Und am nächsten Abend beginnt das Ritual von Neuem.“

      „Und du denkst, darauf wäre ich scharf?“

      Wie lange kannten Theo und sie sich? Mindestens zwanzig Jahre. Er hatte zu ihrer Clique an der Kunsthochschule in Wien gehört, obwohl er einige Jahre älter war als die meisten ihrer Studienkollegen. Schon damals hatte er begonnen mit Kunst zu handeln und so manch jungen unbekannten Maler mit seinen Ankäufen über Wasser gehalten. Theo war immer sehr großzügig und vor allem ein perfekter Gastgeber gewesen. In seiner riesigen Altbauwohnung in der Bäckerstraße, die er von seinen Eltern geerbt hatte, veranstaltete er die ausgelassensten Künstlerfeste der Stadt. Doch die emotionalen Bedürfnisse anderer Menschen hatten ihn nie besonders interessiert.

      „Der ganze Trubel hat mit Aristoteles Onassis begonnen“, fuhr er fort. „In seinem Schlepptau sind in den Fünfzigerjahren die Yachten vieler reicher Athener die Insel angelaufen. Einer der Strände ist sogar nach Jackie Kennedy Onassis benannt worden. Die berühmte Hollywoodschauspielerin Elizabeth Taylor soll sogar eine heimliche Affäre mit einem Tavernenbesitzer auf Mykonos gehabt haben …“

      Im Gegensatz zu Theo interessierte sich Laura nicht besonders für Klatsch und Tratsch über Promis.

      Er schien zu merken, dass sie ihm nicht mehr zuhörte. „Glamour hält nicht ewig an“, sagte er etwas lauter. „In den Achtzigern und Neunzigern ist die High Society eher ferngeblieben. Krethi und Plethi sind, gemeinsam mit Rucksacktouristen, in Chartermaschinen angerückt und haben die rund zweihundert Strände besetzt. Zum Glück für Mykonos haben sich aber viele Homosexuelle für den Zauber unserer Insel begeistern können. Die Gay-Community hat die einsamen Berghänge und Küsten mit schicken Hotels, avantgardistisch gestalteten Lounges, Designerläden und Privatvillen besiedelt. Fast alle haben die für die Kykladen typische Architektur nachgeahmt. Überall findest du die weißen Häuser mit Flachdächern, farbigen Holztüren und blauen Fenstern sowie mit Blumen geschmückte Balkone. Ich habe es ja genauso gemacht. Jeder hat sich bemüht, die neuen Bauten den typischen Inselhäusern nachzuempfinden.“

      „Die Häuser in der Altstadt sehen, zumindest von hier oben, sehr traditionell aus.“

      „Das täuscht. Auch unten in der Chora ist fast alles Fake-Architektur. Viele der Häuser sind neu, selbst wenn sie alt aussehen. Auch die Auffangbecken. Auf den Flachdächern der Häuser hat man früher das Regenwasser gesammelt. Durch eine Öffnung ist es in eine Zisterne neben dem Haus geronnen. Wir haben auch so ein Becken. Ich war ja immer schon ein großer Anhänger der ökologischen Bewegung.“ Beifallsheischend sah er Laura an.

      „Bravo“, sagte sie und klatschte gelangweilt in die Hände.

      Er fühlte sich zu Recht verarscht. „Wir gießen mit dem Regenwasser die Pflanzen rund um das Hotel“, beteuerte er.

      „Wir gießen“, spottete Philip und begann zu kichern. „Der kleine, dicke Theo und seine Gießkanne …“

      Theo holte aus, wollte seinem Mann eine Ohrfeige versetzen. Philip hielt die Hände schützend vors Gesicht, kicherte aber weiter.

      Da Laura Angst hatte, Theo würde tatsächlich zuschlagen, schritt sie ein. „Schluss jetzt, ihr beiden! Das ist ja ein schöner Empfang. Ich werde meine Sachen packen und mir ein Hotel unten in der Stadt suchen.“

      „Viel Glück!“, murmelte Theo, stand auf und holte sich eine Flasche Whisky.

      Laura lehnte ab, als er ihr einschenken wollte. „Hast du keinen Wodka?“

      „Ach ja, du und dein Mann seid ja immer scharf auf diesen billigen Fusel gewesen. Wie hat das Zeug noch einmal geheißen? Stolichnaya? So was habe ich nicht im Haus. Aber ich kann dir mit einem ausgezeichneten Grey Goose dienen.“

      Er rief nach dem Boy. Der schien ihn nicht zu hören.

      „Alles muss man hier selber machen“, schimpfte er und ging noch einmal ins Haus.

      „Er ist total kaputt, deswegen verzeihe ich ihm immer wieder“, sagte Philip leise zu Laura. „Wir können das Hotel nicht mehr lange halten, müssen unbedingt verkaufen. Unsere Schulden bei der Bank sind exorbitant. Er hat sich mit dem ganzen Projekt total übernommen.“

      „Wer hat sich übernommen?“, schrie Theo und schwang die Wodkaflasche wie eine Keule über seinem Kopf.

      Bevor er mit der Flasche auf Philip losgehen würde, riss Laura sie ihm aus der Hand, schenkte sich ein und trank ex. Das Glas warf sie schwungvoll über ihre Schulter.

      Das leise Klirren, als es auf den Marmorfliesen zerbarst, und Theos verblüffter Gesichtsausdruck bereiteten ihr Genugtuung. „Gute Nacht, ihr Lieben! Schlagt euch von mir aus die Köpfe ein. Ich will euch dabei nicht zusehen.“ Sie schnappte sich die Wodkaflasche und begab sich auf ihr Zimmer.

      ***

      Angezogen warf sich Laura aufs Bett und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. An diesem verkorksten Abend hatte sie öfters an die unzähligen Streitereien mit Lorenz, ihrem verstorbenen Mann, denken müssen. Auch dabei war meist jede Menge Alkohol geflossen.

      Sie sehnte sich nach einer Amnesie, wollte, dass der Alkohol alles ausradierte, was passiert war, wollte vor allem die Erinnerung an den schrecklichen Unfall für immer löschen. Doch sie wusste aus Erfahrung, dass ihre Dämonen nie ganz verschwinden würden, egal wie viel sie trank.

      Der Schlaf, dieser treulose Freund, wollte sich nicht einstellen. Vielleicht weil sie nachmittags so lange geschlafen hatte?

      Theo würde sicher Schlaftabletten im Haus haben. Seit dem Unfall hatte sie keine mehr genommen. Wenn sie jetzt etwas dabeigehabt hätte, wäre sie in dieser Nacht rückfällig geworden. Der Wodka muss genügen, dachte sie und trank weiter.

      Kaum hatte sie das Licht abgedreht, vernahm sie ein verdächtiges Geräusch.

      „Scheiße“, schimpfte sie und machte sich auf die Jagd.

      Nachdem sie zwei Gelsen gekillt hatte, schloss sie das Badezimmerfenster und schaltete die Klimaanlage ein. Jetzt hörte sie wenigstens das grässliche Surren nicht mehr. Bestimmt hatte sie nicht alle Biester erwischt. Morgen würde sie aussehen, als hätte sie die Masern oder die Windpocken. Wenigstens die Gelsen lieben mich, dachte sie im Halbschlaf. Wahrscheinlich sind Gelsen lesbisch …

      Alexander hatte sich von dem zahnlosen Taxichauffeur in die Nähe des für Autos gesperrten Alten Hafen bringen lassen.

      Als er durch die Altstadt schlenderte, musste er nicht lange suchen. Abseits der belebten Gassen fand er eine Pension namens Eliá.

      Der Eingang verschwand beinahe unter wildwuchernden Weinranken.

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