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am Kragen haltend.

      Der Junge sieht wunderbar genug aus; er kann sich kaum auf den Füßen halten und wirft aus großen schwimmenden Augen verstörte Blicke umher.

      »Seht ihn euch an! Seht ihn euch an!« ruft der Doktor ihn schüttelnd. »Prügle ich ihn jetzt, so wäre das eine vergebliche Kraftverschwendung. Da ist nichts weiter zu machen, als daß wir ihn ausschlafen lassen. Nun, Gott beschere ihm einen tüchtigen Katzenjammer!«

      Damit hebt der Arzt den jungen Trunkenbold in die Arme und trägt ihn auf das Sofa, wo er, wunderliche Töne ausstoßend, seinen Rausch verschlafen wird.

      »Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen!« sagt die Frau Doktorin mit einem schlauen Augenzwinkern und guckt sich vorsichtig um, ob auch niemand lausche. Wir sind aber allein; der Glasermeister ist fort, Marie, die Magd, ebenfalls.

      »Du, Max,« sagt Gundermann lachend, »das ist ein Hieb für uns! Gib mir einen Kuß, Frau!«

      Ich blicke das herrliche Weibchen von der Seite an und bringe eine reuig-wehmütige Miene zustande.

      »Es wird ihm doch nichts schaden?« fragt die Frau Doktorin.

      »Eh, da müßte der Junge doch ganz aus der Art geschlagen fein.« – – –

      Habe ich nun meine Weihnachtsgrüße und Glückwünsche angebracht, so kann ich gehen. Man will mich zwar zu Tische dabehalten; aber ich schlage es murrköpfig ans und gelange durch die von festtäglichen Gesichtern wimmelnden Gassen zu meinem ungemütlichen, feuchtdunkeln Hause zurück, wo ich mich, in Gesellschaft von Jakob dem Raben, nach Belieben mit meinen Herzensgedanken und der Furcht vor einem Briefe Weitenwebers in den Ofenwinkel verkriechen kann, nachdem ich mir den Magen an den trostlosen Meisterstücken der Kochkunst der alten Renate verdorben habe.

      »Heute abend bei Cäcilie!« Ach, es gibt Tage, welche dem Wartenden bedeutend länger vorkommen, als jener »längste« im Kalender. Ein solcher war dieser erste Weihnachtstag; obgleich ich an ihm, in einem schlauen Versteck, meines Oheims Vorrat an altem, trockenem, vortrefflich abgelagertem holländischen Tabak ausfindig machte:

      We are such stuff

       As dreams are made on, and our life

       Is rounded with a – – smoke.

      Unaufhaltsam ging meine moralische Häutung vor sich; der Panzer der Chrysalide krachte mehr und mehr und bekam Risse überall; noch aber fror das halbbefreite Wesen und fühlte sich selig-unbehaglich, daß es fast nicht auszuhalten war.

      Ein schneidender Wind machte sich wieder auf am Nachmittag, der Schnee begann wieder unter den Fußtritten, Hufen, und Rädern zu knirschen, und der Schneemann auf dem Markte zu Finkenrode gewann eine bedeutende Festigkeit; sehr lange Eiszapfen bildeten sich vor meinem Fenster. Ich versuchte mancherlei; schrieb Briefe, ordnete Papiere, verbrannte Papiere und war überhaupt in der Stimmung einer Schnecke, die sich in einem Napf voll Zucker auflöst und langsam auseinander, fließt; ich hätte recht gut mein Testament machen können. Jedesmal, wenn ich im Auf-und Abschreiten zu dem Fenster zurückkam, hauchte ich eine kleine Öffnung in die Eisdecke, welche die Scheiben überzog, und warf einen Blick in die winterliche Gegend, draußen, und wenn ich nach einigen Augenblicken die Eiskristalle wieder angeschossen und die Aussicht verdeckt fand, so knüpfte ich daran die anmutigsten Betrachtungen über mein vergangenes, gegenwärtiges und künftiges Dasein und seufzte tief und schwer. Um vier Uhr aber stieß ich plötzlich mit dem Fuß an ein auf dem Boden liegendes Buch, daß es weithin in das Zimmer flog und sich öffnete. Mechanisch hob ich es auf und wollte es eben in den Winkel werfen, als meine Augen auf einer Stelle der aufgeschlagenen Seite hafteten, welche mich fesselte und zwang, das Blatt zu überfliegen:

      »Eine unschuldige, eine recht zärtliche Braut ist in der Tat eine Kreatur aus einer andern Welt, die man nicht ohne Erstaunen betrachten kann.«

      Der größte Teil des Folgenden war bereits zu Fidibussen verwendet worden, und es war auch nichts daran verloren: das Buch war das Leben der schwedischen Gräfin von G., von Christian Fürchtegott Gellert.

      »Die man nicht ohne Erstaunen betrachten kann« – sprach ich nochmals vor mich hin und klappte den alten Tröster leise zu. – »Eine Kreatur ans einer andern Welt!«

      Auf einmal war die Dämmerung ins Land geschlichen, ohne daß ich es gemerkt hatte; ich hatte mich, wie es den Menschenkindern so oft geht, in das, woran ich mein Herz gehängt hatte, wonach ich mich quälte und sehnte, hineingeträumt: ich befand mich in dem kleinen Häuschen vor dem Burgtor von Finkenrode und – lobte und pries mit großer Beredsamkeit den Festtagskuchen der Frau Agnes.

      »Sind das nicht böse Kinder?« fragte Cäcilie, auf den Schauspieler und die kleine Sidonie zeigend, welche halb im Schatten verborgen, Hand in Hand, nebeneinander saßen. »Der arme Papa – wie sie ihn betrügen! Und er ist doch so gut!«

      »Der Papa ist ja selbst schuld daran!« sagte Sidonie. »Wir wollen ihn aber schon auf den rechten Weg führen.«

      »Ja, Kinder, macht, daß ihr bald mit eurer Sach’ ins Licht tretet,« meinte die Tante Agnes. »Es ist ein böses Ding um solch ein heimlich Wesen und tut nicht gut.«

      »O, nicht?« fragte der Schauspieler, und Sidonie schaute demütig, schlau, lächelnd den Fußboden an.

      »Nein, es tut nicht gut!« dachte ich leise und seufzte laut. Weshalb sprach denn auch keiner? Weshalb mochte keiner sich rühren? An der Wand der tote Herzog auf den Gewehrläufen seiner schwarzen Soldaten war nicht stiller, als wir um den Teetisch der Frau Agnes Willbrand. Ach –

      Mädchen am Ofen

       Sitzet und spinnet:

       Dichter im Winkel

       Sitzet und sinnet –

      Dämmerung draußen,

       Dämmerung drin:

       O wie voll ist mein Herz!

       O wie schwer ist mein Sinn!

      Spule surrt,

       Rädchen schnurrt –

       Dämmerungsgedanken!

       Mädchentraum,

       Dichtertraum

       Wachsen und ranken –

      Amor, ach Amor,

       Schnell tritt herein,

       Bring uns Licht! Bring uns Licht!

       Danken’s dir fein!

      »Wer klopft da?«

      »Ich!«

      »Wer, – ich?« Wir waren alle im plötzlichen Schrecken aufgesprungen. –

      »Ich, Martin! Martin Nadra, wenn Sie die Güte haben wollen und es allergehorsamst erlauben.«

      Ich ging, dem Vagabunden zu öffnen, und nach einigen Augenblicken stand er, die Pelzmütze in der Hand, in unserer Mitte.

      »Es ist aus mit ihm! Es hat ihn gepackt, und er macht es keine acht Tage mehr, sagt die Mutter Janna. Er verlangt nach dem schönen Fräulein.«

      »Wer? Um Gottes willen, von wem sprecht Ihr, Martin?«

      »Von ihm« – der Zigeuner wies auf die Stirn – »von dem Musikanten! Die Großmutter sitzt bei ihm; aber er will das schöne Fräulein sehen, und da bin ich gekommen.«

      »Mich will er sehen?« rief Cäcilie. »Aber was ist ihm denn begegnet; er war doch gestern abend heiterer, als ich ihn je gesehen habe?«

      Der Zigeuner zuckte die Achseln. »Das schöne Fräulein muß sich warm einwickeln; ‘s ist Totenwetter draußen – ‘s reißt Bäume und Schweineställe um. Die Großmutter hat ihm einen Trank gekocht; aber’s wird ihm nichts helfen derweilen.«

      Während wir uns noch mit Fragen und Ausrufen des Bedauerns um den Unglücksboten drängten, hatte sich Cäcilie schon in ihren Mantel gehüllt, bereit, mit dem Zigeuner in die Nacht hinauszueilen, um dem unglücklichen, alten Freund Hülfe und Trost zu bringen. Sie war bleich und sprach kein Wort; um

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