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hauchte sie und stach sich in den Finger.

      »Ah!« seufzte ich, während sie mit einem köstlichen lächeln den kleinen Blutstropfen, welcher aus der weißen Fingerspitze hervorquoll, aussog.

      »Es war ein so hübsches Püppchen!« fuhr ich lauter gegen den Alten gewandt fort.

      »Ich will mich hängen lassen, wenn« – brach dieser los, konnte aber seine Phrase nicht zu Ende bringen, denn schon war sein Töchterlein aufgesprungen, hatte ihn in die Arme geschlossen und herzte und küßte ihn, daß ihm fast der Atem verging. Dann sprang sie plötzlich auf und davon und ließ uns allein zurück.

      »Aber sage mir, Max« –

      Ich machte ein Gesicht, wie ein Geräderter, legte den Finger auf den Mund, griff mit der andern Hand nach dem Hut – »Bst! Bst! Bst!« – und schritt auf den Fußspitzen aus dem Zimmer, der Cousine nach.

      »Ich will katholisch werden, wenn« – schrie der Hauptmann, als ich die Tür schloß.

      In dem dunkeln Gange draußen rauschte und raschelte leise ein seidenes Kleid; eine kleine heiße Hand faßte die meinige.

      »Wir wollen ihn schon kriegen, Sidonie!« flüsterte ich.

      »Heute abend bei Cäcilie« – raunte mir das Bäschen zu, und in demselben Augenblick fuhr mir Waddel mit einem furchtbaren Gekläff zwischen die Beine und erfüllte das ganze Haus Fasterling mit dem niederträchtigsten Geheul – der Alte steckte sein ehrlich-verblüfftes Gesicht durch die geöffnete Tür.

      »Es ist nichts, Herr Hauptmann!« rief ich lachend. »Ich sagte nur der Cousine Lebewohl!«

      »Ich wollte, der Teufel« –

      »Holte alle Komödianten und nähme alle Literaten mit – danke schön!«

      Sidonie hatte den Papa gefaßt und zog ihn wieder ins Zimmer zurück; ich aber faßte den blaffenden Köter im Genick, trug ihn, wie sehr er sich auch sträubte, die Treppe hinunter und warf ihn auf der Hausflur in ein mit Schneewasser gefülltes Gefäß, aus welchem er schnaufend und niesend wieder heraussprang. Ich glaube nicht, daß die Cousine diesmal etwas gegen eine solche Züchtigung ihres Lieblings einzuwenden hatte. Knurrend verkroch sich das Scheusal; ich aber verließ das Haus Fasterling, um der Kinderstube des Doktor Gundermann einen Besuch abzustatten.

      Mit wunderbarem Behagen stürze ich mich immer in den Lärm und Aufruhr dieses lustigen Hauses. Kinder überall! Unter den Tischen und auf den Tischen, in den Fensterbänken, auf den Treppen, auf den Armen, vor dem Hause, in dem Hause, überall Kinder! Durch die fliegenden Schneebälle der Gasse gelange ich mit Lebensgefahr zu der belagerten Haustür. Ein Klirren! Ein weiblicher Schrei – die Stimme der Mutter. Plötzlich tiefe Stille auf den wilden Lärm! Nach allen Seiten hin stäubt die Bubenschar auseinander – über den Markt, durch die Gassen, in die Häuser, die Treppen hinauf, auf die höchsten Bodenräume. Ich treffe die Frau Doktorin mitten im Zimmer stehend; der eingedrungene Schneeball zerschmilzt in der Wärme auf dem Fußboden zwischen den Splittern der Fensterscheibe; ein kleiner Taugenichts sieht schluchzend in der Ecke.

      »Hurra, Frau Doktorin, ich bin’s nicht gewesen!«

      »Das ist ein Volk!« ruft die Frau halb ärgerlich, halb lachend. Wartet, Ihr Bösewichte! Karl, lauf nach dem Glaser – seien Sie willkommen, liebster Freund!«

      Ich bekomme einen herzlichen Druck von der runden warmen Hand, die eben noch so kräftig als Strafinstrument gedient hatte. »Ach, wie leid tut es mir, daß mein Mann nicht zu Haus ist; ist’s nicht abscheulich, daß er nicht einmal an solchen Festtagen Ruhe hat? Er mußte schon vor Tage fortreiten. Und diese Kälte, die durch das Fenster zieht! O die bösen Kinder!«

      »Prächtige Buben und Mädel!« rufe ich begeistert aus; die Mutter wirft einen stolzen, lächelnden Blick über das Gewimmel, welches sich um den armen Sünder in der Ecke und den geplünderten Weihnachtsbaum drängt.

      »Jesus, was ist das nun wieder?!«

      Ein furchtbares Geschrei ertönt draußen, und ein dicke zwölfjähriger Bursche stürzt herein, in einem Zustande, welcher einer Mutter wohl einen kleinen Schreck einjagen kann. Bis an den Hals überzogen von einer träufelnden Schmutzkruste, die Arme weit abhaltend vom Leibe, die Finger auseinanderspreizend, steht er da, mit den schwarzen, schlammbedeckten Pfoten von Zeit zu Zeit die strömenden Tränen abwischend.

      »Gott, o Gott, Otto, was ist das? Himmel, wo hast du gesteckt?«

      Die Brüder und Schwestern, die Mutter und der Redakteur des Kamäleons haben einen vorsichtigen Kreis um das kleine, triefende Ungeheuer geschlossen.

      Wo hast du gesteckt, Otto? So sprich doch, Schlingel!«

      »In – in – n, i – in den – Graben – gefal – len! I – i – ich wollte hi – inter den Gar – ten« –

      »Abscheulicher Junge! Marie! Marie!«

      »Frau Doktorin?!« ruft die Magd ins Zimmer.

      »Hilf mir doch einmal den Taugenichts ausziehen – o Gott, und der Fußboden – warte! Bitte, bitte, Herr Bösenberg – – Franziska, Kind, gib mir die Küchenschürze her; man weiß gar nicht, wie und wo man den kleinen Schmutzfinken angreifen soll – Himmel, und gestern erst ist die Stube gescheuert!«

      »Ich will ihn in die Küche bringen, Frau Doktorin, und dann ms Bett,« sagte die Magd.

      »Ja, das ist das Beste. Anna, geh mal auf des Vaters Stube, vielleicht steht noch eine von den Flaschen mit dem gelben Siegel auf seinem Schreibtische, die hole herunter. Wir wollen dem Jungen ein Glas Wein geben, und wenn er nicht binnen zehn Minuten schwitzt, soll er eine Tracht Prügel haben, wie er sie lange nicht bekommen hat.«

      Der unglückliche Sünder wird fortgeschleppt, und die ganze Kinderschar bis auf die Kleinsten begleitet ihn, um in der Küche der Operation der Reinigung beizuwohnen. Das Geheul des Jungen tönt gedämpft in der Ferne fort, bis es sich in den oberen Räumen verliert. Ein Augenblick der Ruhe tritt ein.

      »Ach, was für eine Not man mit den Kindern hat!« sagt die Frau Doktorin.

      »Ja, Sie sind eine glückliche Mutter!« Die hübsche Frau lächelt und wendet sich nach einer ziemlich großen, verhangenen Wiege um.

      »Sollten Sie es für möglich halten, daß sie bei einem solchen Lärm ruhig weiter schlafen? Das sind kleine Herzchen.«

      Ich betrachte andächtig die roten, fetten, quatschligen Zwillinge und lasse mir allerlei über ihre Geschichte, ihre Tugenden und Vorzüge von der Mutter erzählen; als wiederum eins der kleinen Mädchen hereinstürzt:

      »Der Papa! Der Papa!«

      Wir hören das Trappeln des Pferdes auf der Hausflur und begrüßen den Arzt, wie er sein Roß in den Stall führt. Sechs Kinder ziehen ihn dann in das Zimmer, wo unterdessen der Glasermeister mit seinem Handwerksgerät angekommen ist. Das Bulletin des Morgens wird dem heimgekehrten Medikus erzählt. Gattin, Redakteur des Kamäleons, Kinder, alle wissen irgendein Moment hervorzuheben, welches den andern entgangen ist. Endlich wird es wieder still, die Kleinen sind fortgeschickt, und die Großen verhandeln gemütlich den Prozeß Alexander und Sidonie contra Friedrich Wilhelm Fasterling, Hauptmann außer Dienst und boshaftiger, hartherziger Schwiegerpapa in spe. Da steckt Marie, die Magd, wiederum ein erschrecktes Gesicht in die Tür:

      »Ach Gott, Herr Doktor! Frau Doktorin!«

      »Nun, was ist?«

      Die Frau ist bereits wieder in die Höhe gesprungen.

      »Frau Doktorin – Julius« –

      »So sprich doch, sprich, was ist mit ihm?«

      »Unter der Zeit, daß wir Otto zu Bett gebracht haben, ist er allein in der Küche zurückgeblieben und hat die Flasche mit dem gelben Siegel ausgetrunken! Er sitzt neben dem Herde – ich glaube, es ist ihm zu Kopfe gestiegen!«

      »Der Bengel ist betrunken?!« ruft der Arzt. Die Frau schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

      »Alle

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