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rätselhaftes Märchen ist die Geschichte des tollen Musikanten Günther Wallinger, ein rätselhaftes Märchen, dem der Schluß und die Lösung fehlt, und welches ich hier zusammengestellt habe aus Tönen und Worten, daß der Psycholog daran deuten möge, daß der Glückliche das Haupt neige, daß alle die träumenden Herzen, denen dies zu Gesicht kommt, dem Verlorengegangenen einen stillen Augenblick weihen.

      Und – nicht ganz ein Märchen ist die Geschichte Günther Wallingers! – – –

      Mondlicht erhellt den Frauenwald. Kein Blatt am Baum und Strauch regt sich, es regt sich kein Grashalm. Die Vögel schlafen in ihren Nestern, der Fuchs und das Reh schlafen: nur der Hurlebach ist wach und lebendig in der warmen Sommernacht und spritzt neckisch silberne Funken nach den Blumen, die schlummertrunken an seinem Rande nicken. Wie wechselt Schatten und Licht auf dem schmalen Wege, welcher sich durch die Waldwildnis zieht!

      Horch! Was war das?… Ein Horn jubelt in der Ferne aufrufend! Lang verhallend!

      Die Vögel ziehen horchend die Köpfchen unter den Flügeln hervor, aus seinem Bau lugt horchend der Fuchs, das scheue Reh weicht mit seinem Kalbe weiter zurück in das Dunkel.

      Noch einmal das Horn!… Näher und lauter. War das nicht eine Menschenstimme? Da wieder! Menschenlachen! Der Schein eines Lichtes blitzt durch die Bäume, über den Steg des Hurlebachs gleiten schattenhafte Gestalten, die Stadtmusikanten von Finkenrode, die auf einer Kirchweih zum Tanz aufgespielt haben und zurückkehren mit grauendem Morgen. Sie schreiten vorüber, eine wunderliche, überwachte Schar; voran der Meister Heinrich Wallinger mit der Geige, und der Träger der Laterne. Der große Brummbaß schwankt auf dem Rücken eines Lehrlings, der Fagottbläser schläft im Gehen, und der Posaunist sucht die Müdigkeit durch den Qualm seiner kurzen Pfeife zu vertreiben. »Wo steckt nun der Günther wieder?« fragt der Meister, und der Prager stößt abermals in das gewundene Horn, welches er über der Schulter trägt, daß es lautrufend hinausschallt in den stillen Wald.

      »Günther! Günther!«

      Nichts antwortet, nur ein Nachtvogel flattert über den Häuptern der müden Wanderer, gelockt vom Schein der Laterne.

      »Laßt den albernen Jungen!« ruft ärgerlich der Vater Wallinger. »Hat sich wieder wie ein Traumwandler verloren, die Nachtmütze. Hält mit der Eule wieder Zwiegespräch! Wollen machen, daß wir nach Haus kommen – es verlangt einen nach dem Bette. Vorwärts, vorwärts, Prager.«

      Verschwunden sind die nächtlichen Gesellen, noch hört man ihre Stimmen, das Rascheln der Büsche; aber allmählich wird alles wieder still. Noch einmal klingt das Horn rufend in der Ferne auf, dann ist alles stumm wie vorher!

      Abseits dem Wege, abseits dem Hurlebach liegt mitten im Wald ein kleiner Teich, der Neckenspiegel genannt, umgeben von Busch und Baum und wild durcheinandergeworfenen, übermoosten Felsblöcken. Hier hat einst ein stolzes Schloß gestanden, in welchem ein schön sündig Weib in Macht, Pracht und frevelhafter Lust hausete, bis Gott seine Hand über sie ausstreckte und das wüste Wesen ein schrecklich Ende nahm. Nieder ging der prächtige Bau in die Tiefe, und ein dunkel Wasser sprudelte auf an seiner Stelle und begrub alles unter sich. Noch heute sollen die Fluten des Neckenspiegels allerhand wunderlich Gerät ans Land spülen, und zu der Zeit, als hier die Leute noch katholisch waren, hat einmal ein Geißenhirt einen köstlichen goldenen Becher gefunden. Es ist aber kein Glück dabei gewesen – der Finder ist gestorben und verdorben, und den Becher hat man geweiht und ihn der Klosterkirche zu Sankt Marienstuhl übergeben.

      Noch immer, in heiliger Nacht, steigt das schöne Weib, das vor tausend Jahren seine sündige Lebenslust an diesem Ort büßte, aus den Wassern, und der Wanderer, der das Zauberbild erblickt und nicht flieht, den befällt ein schwer Unheil, er geht fürderhin einher wie ein Irrer, wenn ihn die Jungfrau nicht gleich ganz mit sich hinabzieht, in ihre geheimnisvolle Tiefe. –

      Horch, horch! Ein Gesang aus dem Dunkel des Waldes!

      »Das ist die Jungfrau im Walde,

       Die liegt mir stets im Sinn;

       Das ist die Jungfrau im Walde,

       Die nahm mein Herze hin!«

      Wie blitzt und funkelt die stille Wasserfläche – es rauscht im Dickicht, und näher erklingt das Lied:

      »In Waldnacht schlafen die Vögel,

       In Waldnacht schläft das Reh;

       Im Wald, im nächtlichen Walde

       Steigt die Jungfrau aus dem See!

      Aus dunkelgrünem Waldsee,

       Hebt sich das schöne Weib –

       Im Mondlicht gaukeln die Wellen

       Um ihren schneeweißen Leib.«

      Ein Irrlicht leuchtet im Dunkel auf und erlischt am Rande des Teiches, zwei andere folgen ihm und führen züngelnd einen hüpfenden Tanz auf. Ein Stein löst sich ab von einem Felsblock und rollt und schlägt hinab auf die Wasserfläche, der Sänger erscheint auf der Höhe des Felsenstückes:

      »Zum Mond, zum runden Monde

       hebt sie die weiße Hand;

       Aus Mondstrahl, Wasserfunken

       Webt sie sich ihr Gewand.

      Irrlichtervolk im Walde

       Hüpft leuchtend, lüstern herzu;

       Die Jungfrau sitzet und webet,

       Sieht lächelnd dem Reigen zu.

      Doch wenn ein Närrchen gaukelt

       Zu nah ihrem Wasserhaus,

       Wirft sie eine Hand voll Tropfen,

       löscht’s arme Närrchen aus!«

      Nieder zu dem funkelnden Spiegel steigt der Sänger; er greift in die Fluten und benetzt seine Stirn. Ein Jüngling, fast noch ein Knabe! – Er trägt eine Geige in der Hand; der Morgenwind, der sich allmählich aufmacht, spielt mit seinen blonden Locken. Tief auf atmet Günther Wallinger, der Sohn des Stadtmusikus zu Finkenrode.

      »Sie sind fort – ich bin allein! Ah, ich wollt’, ich wär’ es immer! Heiliger Gott, was hab’ ich wieder aushalten müssen in dieser Nacht – weshalb bin ich denn nicht wie die andern? O Gott, Gott, ich hätte Lust, mich in dieses Wasser zu stürzen, daß keiner wüßt, wo ich geblieben sei! Was soll das geben? was soll das werden?«

      Er legt sein Instrument an die Wange, aber er läßt es sogleich wieder sinken –

      »Es ist nichts! Es ist Torheit – weh mir!« Er hebt die Geige hoch über das Haupt. »Soll ich sie an diesem Stein zerschmettern!« ruft er wild … »Ach, weshalb bin ich denn nicht wie die andern?!«

      Jetzt entlockt er dem Instrument wilde, phantastische Töne… über den Waldteich hin zittern die Klänge, der Mond erlischt im Grauen des Morgens – Nebelgestalten heben sich aus dem Wasser –

      »Das ist die Jungfrau im Walde,

       Die liegt mir stets im Sinn!

       Das ist die Jungfrau im Walde,

       Die nahm mein Herze hin!«

      Ja, Günther Wallinger, es ist ein schauerlich Ding, nicht zu sein, wie die andern!

      Fröhlich, friedlich läßt sich das Städtlein Finkenrode im Frühling von der warmen Sonne bescheinen; der Sommer übergrünt es dergestalt, daß kaum noch einzelne rote Dachgiebel und die Spitzen der Kirchtürme aus den Blüten und Früchten und dem Blättergewirr hervorlugen. Geduldig und harmlos läßt sich das Städtlein Finkenrode im Winter zudecken vom Schnee; ein Jahr wie das andere. Die Welt ist groß, und wenige Leute wissen, wo das Städtlein Finkenrode gelegen ist.

      Und in die weite Welt ist ein Finkenrodener Stadtkind hinausgezogen, mit einem vollen, sehnenden Herzen, des Vaters beste Geige, sorgsam eingehüllt, auf dem Rücken – Günther Wallinger, der Musikant und Musikantensohn!

      Lustig erklingt das Horn des Vaters auf Kirchweihen und Jahrmärkten, auf Honoratiorenbällen, den Zügen der Gewerke und den Begräbniszügen

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