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›wird der Spruch gegen den Regen helfen?‹ – ›Mein schwarz Hühnel bleibt im Regen gehen, es hört so bald nicht auf. Wie sollen die schönen Fräulein nach Haus kommen? Der Hurlebach wird wild genug sein; oben in den Bergen sind zwei Wetter zusammengestoßen.‹– Der Hurlebach ist freilich nur ein altklug murmelndes Waldbächlein, aber wenn er böse wird, dann ist gar nicht mit ihm zu spaßen, wir wußten, daß wir für einige Zeit jedenfalls von jedem Weg nach Haus, oder nach dem Försterhause im Himmelreich abgeschnitten waren, wenn uns nicht andere Hülfe, als die Zigeunerweiber und Kinder geschickt wurde. – ›Wo sind denn eure Männer?‹ fragte ich, und die Frau Nadra wies nach Westen. –›Sie graben an der Eisenbahn, der Landrat hat sie hingeschickt. Wir mit den Tieren liegen im Dorf Rulingen und helfen den Bauern im Feld, und die Kinder müssen da in die Schule gehen, sonst nimmt man sie uns weg.‹ – ›‘s ist nicht mehr, wie in alter Zeit‹ – sagte die Großmutter kopfschüttelnd: ›O je, die Männer graben, die Weiber sitzen und spinnen, die Kinder lernen die schwarzen Zeichen! Seit das römisch’ Reich all geworden ist, ist’s aus mit der freien Herrlichkeit des fahrenden Volkes.‹ – ›Sollten wir an der Brauteiche über den Hurlebach gelangen können?‹ fragte ich die Lena. Ich dachte an die Sorgen, welche sich meine Mutter um mich machen würde« –

      »Der Papa macht sich um mich keine Sorgen – deshalb konnte ich ganz ruhig in dem Felsenwinkelchen, zu den Füßen der steinernen Frau, sitzen bleiben!« lachte Sidonie.

      »›Es wäre der einzige Weg‹ meinte die Frau Nadra. ›Wollen die Fräulein es versuchen?‹ Wir erklärten uns bereit dazu, ein allgemeines Lustgeschrei der Kinder begleitete unsern Aufbruch. Sidonie hing sich an meinen Arm, und nun schritten wir in den rauschenden, rieselnden Wald hinein.« »Es war ein Vergnügen!« rief Sidonie. Binnen fünf Minuten waren wir vollständig durchnäßt – es war kühl, fast kalt geworden, und der Abend dämmerte auch schon herein. Die Alte hinkte mir zur Seite und schwatzte ununterbrochen auf mich los, das Huhn hüpfte gackernd vor unsern Füßen. Die Frau Lena schalt über die Kinder, Waddel trabte mit hängendem Schwanze dicht hinter mir; Wallinger der Musikant bildete den Nachtrab. – So ging es über Berg und Tal durch das verworrene Gebüsch, über boshafte Wurzeln und heimtückisches Steingeröll der Brauteiche zu, bis wir endlich in der Ferne das Brausen des angeschwollenen Hurlebachs hörten. ›Da ist der Baum!‹ rief die Frau Lena. ›O das ist bös, sehr bös!‹ sagte die Zigeunermutter. Selbst Cäciliens heroische Miene verzog sich ein wenig. Ratlos standen wir an dem toll gewordenen Wasser. Schon lagen alle Kinder auf den Knien am Rande des weit in den Wald hineingetretenen Baches, platschten mit den Händen in die Fluten, oder warfen jubelnd abgerissene Zweige hinein und kreischten laut auf, wenn dieselben pfeilschnell fortgerissen wurden. Wir hielten nun unter der Brauteiche einen Kriegsrat, kamen aber zu keinem Resultate, als der Frage an die alte Janna: ›Großmama, wissen Sie nicht auch einen Wassersegen?‹ – Die Alte schüttelte den Kopf: ›Als das Reich noch stand, da zog einmal einer mit uns, der wußte etwas davon; aber sie haben ihn gehängt in der Pfalz; da ist das Wort verborgen geblieben! Versuch’s Lena, ob du durchkommst!‹ – Die Frau Nadra schürzte sich und trat in den Bach hinein. Mit einem Schrei aber griff sie in dem nämlichen Augenblicke nach einem Baumzweige, der glücklicherweise über ihr hing, und mühsam gelangte sie mit Hülfe desselben und mit unserer Hülfe wieder ans Land, und guter Rat war nun so teuer wie vorher. Da schlugen plötzlich die Hunde an; selbst Waddel brachte noch ein klagendes Geheul hervor; – ein Mann kam am jenseitigen Ufer daher, ihm folgte ein zweiter« –

      »Und diesem ein dritter, der eine leichte Reisetasche an der Seite trug und ganz elegant aussah!« lächelte Cäcilie.

      Der Hauptmann aber hielt wieder einmal in seinem Marsch inne, stieß die Pfeife auf den Boden und brummte: »Und das war der Hasenfuß, der Komödiant, der Mietze, den sie draußen in der Welt ebensowenig brauchen konnten, wie wir ihn hier in Finkenrode gebrauchen können!«

      »Ah!« rief ich unwillkürlich, und Sidonie wurde diesmal so rot wie ein Röslein und nahm so schnell als möglich ihre Erzählung wieder auf: »›Der Vater, der Vater!‹ riefen die Kinder um uns her – ›Jesus Maria, und auch der Bruder!‹ rief die Frau Lena. ›Wo kommt ihr her? Wo kommt ihr her?‹ Die Männer gelangten jetzt mit einem lauten Hallo uns gegenüber am Rande des Baches an, und eine eifrige Unterredung hinüber und herüber begann. Der Bruder der Frau Nadra sollte einem Mitarbeiter an der Eisenbahn die Uhr gemaust haben. Man hatte es ihm freilich nicht beweisen können, aber eine fürchterliche Tracht Prügel war die Folge des Verdachtes gewesen, und der Meister Martin hatte ebenfalls sein Teil davon bekommen. Beide Verwandte hatten sich sogleich schleunigst von dem Schauplatz ihrer Taten entfernt und waren so schnell als möglich ihrer Heimat wieder zu vagabundiert. Für uns kamen sie wahrlich zur rechten Zeit; denn eine Viertelstunde später waren wir wohlbehalten über den Hurlebach, und« –

      »Dem Herrn Alexander Mietze sind wir vielen Dank schuldig!« sagte lächelnd Cäcilie.

      »Im Triumphzug begleitete uns die ganze wunderliche Gesellschaft nach dem Försterhaus, dessen Bewohner wir diesmal antrafen. Käthchen stieß ein lautes Jammergeschrei aus, als sie uns erblickte – was meinst du, Cäcilie, wir sahen auch gewiß ziemlich liebenswürdig aus? Was mich anbetrifft, ich war kaum noch halb lebendig.«

      »Konrad Rösener und Herr Mietze erneuerten schnell ihre Bekanntschaft; die Zigeuner, jung und alt, wurden mit allem bewirtet, was das Himmelreich bieten konnte; der alte Wallinger wurde gehätschelt wie ein Kind, und Anton Nadra, den Herr Mietze jetzt Caliban genannt hat, wurde nach der Stadt geschickt, um meiner Mutter und dem Herrn Hauptmann Fasterling unser Wohlbefinden zu verkünden. Wir blieben die Nacht im Försterhause, und es war ein herrlicher Abend, den wir noch feierten, nicht wahr, Sidonie?«

      »Jawohl, und als ich am andern Tage zu Hause anlangte in Käthchens Kleidern, hatte der Papa sich richtig keine Sorgen um mich gemacht; den Zigeunern aber schenkte er eine Ziege und seinen alten, bunten, türkischen Schlafrock – Goethes Hermann und Dorothea, Herr Vetter aus der Residenz! – ah, oh, ah!– nun erzähl’ ich aber diese Geschichte nicht wieder!«

      »Ich werde sie mir bei Gelegenheit noch einmal von dem Schauspieler Alexander erzählen lassen,« sagte ich mit einem Seitenblick auf das Bäschen. Dieses mimte ein sehr zierliches Gähnen und zuckte die Achseln. – Ich durfte Cäcilie nach Hause geleiten und irrte, nachdem dies geschehen war, noch eine geraume Zeit in den Stillen, weiß vom Schnee und Mondschein zugedeckten Straßen von Finkenrode umher. Eine dunkle Gestalt glitt mehrere Male scheu vor mir über den Weg; – der verrückte Musikant Günther Wallinger suchte noch immer die verwünschte Prinzessin, das Ideal! …

      13

       Inhaltsverzeichnis

      Ich hatte einen Bekannten, einen sehr netten Burschen, welcher einmal von dem Unglück betroffen wurde, in eine langwierige Krankheit zu verfallen. Worauf kommt man nicht während der träge dahinschreitenden Zelt der Genesung?! Mein unseliger Freund verfiel auf den verrückten Gedanken, Müllners Schuld auswendig zu lernen. Mit etwas kahlem Haupt, hohlwangig und der Manie behaftet – aus der Schuld zu deklamieren, erschien er wieder im sozialen Leben. Nach zwei Wochen vermieden ihn seine Bekannten wie die Pest. Es war zum Tollwerden, mit ihm eine Viertelstunde lang zusammen zu sein! Alexander Mietze gerierte sich in der nächsten Zeit vollständig wie jener; er trieb mich fast zur Verzweiflung, wenn er auch nicht die Schuld auswendig wußte. Ach, das ist ein Leiden, daß die Menschen nie den richtigen Zeitpunkt finden können, um sich auf den Kopf zu stellen! »Auf den Kopf muß sich jeder von uns von Zeit zu Zeit stellen, das haftet der Menschheit an« – sagt Weitenweber – »nur machen die Vernünftigen es zu Hause in ihrem Kämmerlein ab«: ich schmeichle mir, zu den wenigen Vernünftigen zu gehören! Ach, wie hätschelte ich meinen Herzensgedanken und ließ ihn in allen möglichen Beleuchtungen strahlen und glänzen. Wie viele Zigarren zerkauete ich darüber! wie viele Zerstreutheiten ließ mich dieser Gedanke begehen. Wenn ich des Morgens erwachte, so war er da; er stieg aus dem Kaffeetopfe und lauerte unter der Serviette, er begleitete mich in das goldene Weinfaß und kam wieder mit mir nach Haus, um im Traum sein Wesen erst recht zu treiben. – O seliges Finkenrode!

      Was

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