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wir lieben!« sagte der Schauspieler, die Gläser füllend. Der Doktor lachte, während er anklang; Mietze seufzte, ich dachte das Meinige – und zog ebenfalls den Rock ans.

      »Und nun die Geschichte von vorgestern, Gundermann!« rief ich.

      Der Schauspieler aber streckte abwehrend beide Arme in die Höhe –

      »Nein! nein! nein! Gundermann, ich beschwöre dich, bei allem, was dir heilig ist« –

      »Sieht er nicht aus, als ob er zu seinem Privatvergnügen die Neujahrsnacht eines Unglücklichen von Jean Paul aufführte?« fragte ich lachend.

      »Die Geschichte lautet folgendermaßen« – hub der Arzt an. – »Fräulein Sidonie Fasterling und Herr Alexander Mietze« –

      » Anathema sit!« schrie der Mime mit der vollen Kraft seiner Lungen und warf sein Weinglas gegen die Wand. »Da liegt der Quark! Gundermann« –

      »Man kann es ihr nicht verdenken, daß ihr der Name Mietze nicht gefällt!« sagte der Doktor, – »Mietze! Frau Mietze – Frau Spiritusfabrikantin Mietze – wenn die größte Liebesglut vor einem solchen Titel und Namen nicht zugrunde geht, so will ich nicht – der Doktor Gundermann sein!«

      »Aber das ist die Geschichte nicht!?«

      »Nein,« – sagte der Doktor, »sie hängt aber damit zusammen. Meine Frau« –

      Der Schauspieler fuhr mit beiden Händen in seine Haare und gebärdete sich, als ob man ihm Blausäure unter die Nase gehalten hätte.

      »Laß es gut sein, Gundermann!« sagte ich. »Es ist mit dem Volke nichts anzufangen. Caliban, gib deinem Herrn ein anderes Glas! Beruhige dich, Mietze, deine Geschichte soll nicht erzählt werden!«

      Ich schnitt bei diesen Worten zwar eine ironische Fratze; dachte aber im stillen an den sehr edlen und nützlichen Spruch: Was du nicht willst, das man dir tue, das tue einem andern auch nicht. Wir sind doch ein ungeheuer großartiges, edelmütiges Geschlecht: ohne das aufsteigende Bild Cäciliens hätte ich die Geschichte des armen Schauspielers auf jeden Fall erfahren. – Eine Pause von einigen Minuten trat ein; dann sagte Gundermann plötzlich mit dem kläglichsten Gesicht und der gedämpftesten Stimme:

      »Mir ist in meinem Leben noch kein reicher Onkel gestorben!«

      Ich habe mich viel mit Nachgrübeln über die Assoziation der Ideen beschäftigt und gefunden, daß es die schwerste aber auch interessanteste Wissenschaft ist, welche es gibt. Ich hätte in einem andern Momente vielleicht den Gedankengang des Arztes analysieren können, begnügte mich aber in diesem Augenblick damit, in ein herzliches Gelächter auszubrechen, in welches der Schauspleler kräftig mit einstimmte.

      »Armer, unglücklicher Gundermann!«

      »Mir ist das Vergnügen zuteil geworden, von welchem dieser seelenlose Mensch spricht,« sagte Alexander, »aber – aber der Selige« –

      »Nun?!«

      »Er hätte ebenso gut am Leben bleiben können. Er hat mich enterbt!«

      »Armer, unglücklicher Mietze!« rief der Doktor. »Erzähle uns davon, mein Junge, gib deinem Schmerze Worte« –

      »Ach, es ist durchaus nichts Lächerliches dabei. Der Alte, welcher durch seinen Wollhandel ein sehr anerkennungswürdiges Vermögen zusammengebracht hatte, hatte seinen Kopf darauf gesetzt, daß ich ihm einst seine unzähligen Prozesse als Advokat gewinnen müsse. Diese fixe Idee war ihm durch mein eminentes Talent, zu lügen und Gesichter zu schneiden, entstanden: er schickte mich auf die Universität, wie Ihr wißt. O heiliger William, weshalb gerietst du neben mein Corpus juris!? Genossen meiner Jugend, ihr könnt euch vorstellen, wie das Zimmer und der Kopf eines jungen Menschen aussehen, welcher mit einem Fuß im Schuldarrest steht, mit dem andern auf den Brettern, welche die Welt bedeuten; dessen einen Arm der Universitätspedell gepackt hält, und an dessen andern sich Fräulein Lilli, die zweite Liebhaberin eines Provinzialtheaters, gehängt hat! Könnt ihr euch vorstellen, wie ein reicher Oheim aussieht, der dreißig Meilen weit gereist ist, um seinen Neffen über den Pandekten zu umarmen, und ihn in einer Dorfkneipe, in welcher er vor dem Lärm der Komödie nicht schlafen kann, den Schneider Fips mimend, findet? … Erlaßt mir den Rest, Freunde!«

      »Armer Alexander, das nennt man Pech!« rief der Doktor tragisch. »Aber was fehlt dem Bösenberg? Heda, Träumer, aufgeschaut, es ist von reichen Oheimen und reichen Erbschaften die Rede!«

      Ja, ja, ich dachte an den Oheim Albrecht und sein ödes Haus, in welchem der Rabe Jakob umherspazierte und seine Geistersprüche schrie. Mir war unheimlich gut zumute, und öfters, als eben nötig war, ließ ich mir das Glas füllen.

      »Woran ist denn eigentlich mein Onkel gestorben?!« fragte ich den Arzt. »Wie hat er gelebt? Niemand hier in Finkenrode scheint jemals in sein Haus gekommen zu sein!«

      Gundermann zuckte die Achseln. »Ein Schlagfluß hat ihn getötet! Man fand ihn eines Morgens leblos auf seinem Bette, der Rabe saß ihm zu Häupten, wie ein böser Geist – ich würde ihm den Hals umdrehen, Max! – Der Alte hat der guten Stadt Finkenrode manchen Stoff zu Gesprächen gegeben. Es herrschte eine ordentliche Scheu vor seinem düstern, finstern Hause, und die Nachricht seines Todes brachte eine Aufregung sondergleichen hervor. – Du warst quasi verschollen, Max; – Vermutungen über Vermutungen tauchten auf! Als die gerichtlichen Siegel angelegt wurden, schritt die Kommission auf den Zehen durch die Zimmer und sprach leise, als fürchte sie durch zu lautes Auftreten, durch deutliches Sprechen irgendein Ungeheuerliches, Unbekanntes aufzuwecken.«

      »Nun, etwas Leben hast du wieder hereingebracht in die dunkle Höhle, Max!« sagte der Schauspieler. »Ist dir nichts begegnet, hast du keine verdächtigen Schatten gesehen – keine Töne gehört?«

      Ich erzählte von dem Schreck, den mir in der ersten Nacht der Rabe Jakob eingejagt hatte. »Ich würde ihm den Hals umdrehen!« brummte der Doktor.

      Jetzt fing die Geisterwelt wirklich einmal an, in unser Sein hineinzuragen; eine Onkel-und Gespenstergeschichte nach der andern stieg aus der Punschbowle auf, bis Gundermann elegisch wurde – und uns das Gemälde seines häuslichen Glückes entrollte.

      »Sechs Kinder, wie die Orgelpfeifen, und – eine Luise – meine Luise– ah!« –

      Mietze stemmte beide Ellenbogen auf den Tisch, legte den Kopf zwischen beide Hände, starrte in die Flamme des Lichts –

      »O Sidonie!«

      »O Luise!« schluchzte der Doktor.

      Ich seufzte nur. Zwei Uhr schlug es auf der Kirche des heiligen Martins zu Finkenrode; wir waren alle drei auf dem Punkt angekommen, wo man von Zeit zu Zelt schwindelnd in ein unendliches Nichts zu versinken vermeint, ein wüstes Chaos mit einzelnen, lichten Intervallen, in welchen man sich bedeutend wundert über seine Umgebung und über sich selbst. Zwei Uhr! Mietze sprang auf – er stand auf seinem Stuhl, schwankend, mit den Armen in der Luft fechtend.

      »Mein Liebchen ist schön – ich bin ein armer Possenreißer und spiele den Mortimer, und den Max Piccolomini, und den Orsino in – Was ihr wollt! Mein Liebchen ist schön – sie hat ein stolzes Haus – ein Grenadier hält Wacht davor –schultert – präsentiert – wenn er heraustritt – er – ihr – Vater, der Held – der dicke Generalleutnant – nein – still, halt einmal! – Hauptmann ist ihr Papa – pensioniert – und wohnt am Markt zu Finkenrode – vivat das Nest! … Mein Liebchen ist schön, sie wohnt in einem stolzen Hans mit glänzenden Spiegelscheiben, und heißt – zum Henker, wer ist so frech und will ihren Namen wissen? – heißt Sidonie Fasterling – ach – und sie wohnt auch – chambre garnie in – meinem Herzen! … Das ist ein stilles Stübchen – gescheuert seit langen – langen Jahren zum erstenmal. Drin ruht sie auf dem Sofa – meiner Treue – und beschaut – sich in dem Spiegel meiner Liebe!… Mein Liebchen ist schön – sie hat auch Geld – und sie ist klug, und weiß es auch – und das ist mein Elend! Sie klatscht in die Hände vor Schadenfreude, und lacht – und trampelt mit den Füßchen vor Spott, und – mein armes – nervenschwaches Herz dröhnt – und

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