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verschmähen.«

      Wie gern kam ich diesen Worten nach. Zwanzig Jahre mit ihren Revolutionen und Schlachten waren über die Welt dahingezogen; Städte waren zerstört, Länder verwüstet; in diesem kleinen, engen Raum war alles geblieben, wie es war; nur mehr und mehr hatten sich die Bewohner auf diesem vergessenen Erdenfleck eingenistet. Da stand noch die braune glänzende Kommode von Nußbaumholz zwischen den beiden niedern Fenstern mit den schneeweißen Vorhängen, Die Binsenstühle waren dieselben geblieben, der runde Tisch mit der roten Decke war derselbe geblieben, der kleine Teppich auf dem Boden war derselbe geblieben. Da ist ein kleines, zierliches Hängebrett an der Wand, welches eine Sammlung von Schriften über Gartenkunst, Schillers Werke, einzelne Teile von Goethe, Gellerts Fabeln, mehrere Gesangbücher und eine große Bilderbibel aufbewahrt. Ihm gegenüber hängen drei Bilder: eine Lithographie, den Tod des Herzogs von Braunschweig bei Quatrebras darstellend; ein Kupferstich, die Sixtinische Madonna; und eine Zeichnung in schwarzer Tusche, eine Landschaft mit einer Kuh im Vordergrunde und einem eingestürzten Tempel im Hintergrund. Dies alles war schon vor zwanzig Jahren vorhanden, nur eins ist von jüngerem Datum, ein hübsches Fortepiano mit einem zierlich gestickten Drehsessel davor. Es ist aufgeschlagen, und ich lasse die Hand leise über die Tasten gleiten –

      Cäcilie Willbrand!

      Im Sommer sitzt man in diesem Stübchen fast wie in einer grünen Laube, denn da rankt sich mancherlei Grün um und in die Fenster: Jelängerjelieber, Wein und Efeu; und die freien Vögel draußen vermischen lustig ihren Gesang mit dem des kleinen Gefangenen, der jetzt in seinem einfachen Bauer in der Fensterbank schlafend auf der Stange sitzt. Jetzt ist es Winter, der Garten ist verschneit, die Ranken haben ihre Blätter fallen lassen; und die Kinder, die vor langen Jahren in diesem Stübchen spielten, sind längst erwachsen, und klug und vernünftig geworden. Max schreibt diese Blätter, Käthchen Manegold sitzt im fernen Wald in dem Försterhaus zum Himmelreich und singt ihrem Knäblein dieselben Lieder, die es selbst einst ergötzten und in den Schlaf lullten, und Cäcilie Willbrand – – –

      »Da sind ihre Noten, Herr Max!« sagte die Frau Agnes. »Der alte Wallinger hat sie das Spiel gelehrt, der arme Mann. Er liebt sie mehr, als man ein Kind liebt, und sie ist die einzige, die ihn versteht.«

      »Ich möchte wohl etwas Näheres über ihn wissen!« sagte ich.

      »Sie verspotten und verlachen ihn alle; die Kinder laufen ihm in der Gasse nach – sie sagen, er suche die verwünschte Prinzessin; Cäcilie aber schüttelt das Haupt – sie wird traurig, wenn man sie darauf anredet. Sie darf niemandem wiedersagen, was er ihr anvertraut, sie hat es ihm versprochen, und sie hält ihr Wort, wenn er auch« –

      Die Frau Agnes deutete auf die Stirn und seufzte. »Es war ein schmucker Bursch in seiner Jugend; Augen hatte er wie Feuer. Aber es gibt Leute, die gehen in die Einsamkeit, und viele verlieren sich in der Einsamkeit – das ist ein bös Ding, Herr Max!«

      Das Spinnrad fing wieder an zu schnurren, und es trat eine Stille ein. Woran dachte Agnes Willbrand, weshalb senkte sie das Haupt tiefer und tiefer auf die Brust?

      »Der große Kastanienbaum hinten im Garten an der Weißdornhecke, an welcher der Hurlebach vorbeifließt, steht auch noch aufrecht,« sagte ich nach einer Pause.

      Die Frau Agnes nickte. »Und die Rasenbank und der steinerne Tisch sind auch noch da! Also Sie haben Ihren Spielplatz noch nicht vergessen?«

      »Ich habe ihn wieder gefunden!« sagte ich leise.

      Jetzt knarrte die Gartentür draußen, und die Frau Agnes sagte:

      »Da ist Cäcilie.«

      Lachende Stimmen ließen sich vernehmen.

      »Sie ist nicht allein!«

      »Das ist ja Käthchen Rösener aus dem Walde – ich kenne ihre Stimme – und Sidonie Fasterling ist auch dabei!« rief die Frau Agnes am Fenster. »Wie es wieder schneiet!«

      Jetzt klang die Glocke der Haustür. – »Gerettet!« rief Fräulein Sidonie Fasterling, die blitzenden Flocken von den Kleidern schüttelnd:

      »Sieh, Mama Agnes, hab’ dir etwas mitgebracht! He, der Demokrat?! Mama Willbrand, was treibt der hier?«

      Sie griff in die Locken und schleuderte mir eine Handvoll Tropfen zu:

      »Hier, Käthchen, das ist der Vetter ans der Residenz – Lustspiel, nein – Posse in« –

      »Aber Sidonie!« rief Cäcilie.

      »Ich bitte um Entschuldigung, Herr Bösenberg!« sagte Sidonie mit einer wahren Leichenbittermiene und einer tiefen Verbeugung.

      »Also das ist die Frau Försterin aus dem Himmelreich?« sagte ich lächelnd, und mein Händedruck wurde warm und herzlich erwidert.

      »Konrad wird gleich nachkommen!« sagte das kleine, schüchterne Waldweibchen. »Er wird sich recht freuen, Sie wiederzusehen.«

      »Nun schwatzt euch aus!« rief Sidonie. »Ich gehe mit der Mama in die Küche, um euch Tee zu kochen.«

      »Ja, komm, Wilde,« sagte die Frau Agnes, »es wird das beste sein, daß ich dich mitnehme, du stiftest doch nur Unfrieden an.«

      »Das sagt Papa auch,« seufzte Sidonie – »aber ich weiß es besser, und das tröstet mich. Es ist eine böse Welt, und die Gerechten müssen viel Not leiden!« – – –

      Ich saß den beiden Jugendfreundinnen allein gegenüber. War es denn möglich, daß es da weit, weit in der Ferne jene große Stadt gab, und in dieser Stadt das dumpfige Loch, die Redaktion des Kamäleons, und den Doktor Theobul Weitenweber? Wo war ich die langen Jahre hindurch gewesen, während jene kleine Uhr ruhig forttickte und aus dem Kinde Cäcilie die schöne, schwarzhaarige Jungfrau mit der stillen, weißen, feinen Stirn wurde? O Weitenweber, Weitenweber, das Ich ist es doch nicht allein, was die Welt bildet und bauet!

      Armer Weitenweber! – – –

      »Ja, das ist unser kleines Käthchen Manegold,« sagte Cäcilie, die liebevollen, dunkeln Augen auf die Freundin richtend. »Nicht wahr, Herr Bösenberg, sie ist recht groß geworden? Es ist ein niedliches Hausmütterchen !« »Es ist so schön in unserm Walde,« sagte Käthchen, – »selbst im Winter!«

      »Es heißt ja auch deshalb >im Himmelreich< meinte ich.

      »Nicht wahr, Käthchen, es hat etwas davon?« fragte Cäcilie.

      Die kleine Waldfrau errötete leise. »Margareta wiegt den Kleinen, Robert schnitzt aus Holz seine Kunststücke, und die Hunde wachen – ich könnte hier ganz still sitzen; aber ich habe doch keine Ruhe« –

      »Sorge nicht, Kind!«

      »Am Sonntag nach Neujahr soll der Kleine getauft werden. Konrad meint, er wäre fast zu alt dazu geworden; aber das schadet nichts. Arnold Rohwold aus Rulingen will ihn taufen. Wir hatten so mancherlei in der Stadt zu schaffen, – da haben wir uns heute morgen ein Herz gefaßt und sind so schnell als möglich herübergekommen. Wo nur Konrad bleibt? Ah, ich glaube, da kommt er! Er ist noch bei dem Vater in der Schmiede geblieben. Der wird nie fertig mit Erzählen, wenn er ihn bei sich hat.«

      Jemand schritt durch den Garten, und wir hörten, wie er vor der Tür den Schnee von sich abschüttelte.

      »Ja, er ist es!« rief Cäcilie und sprang auf, zu öffnen.

      Der Förster aus dem Himmelreiche trat ein – »Allerseits schönsten guten Abend – hurra, da ist der Landläufer, der Bösenberg – der verschollene Max!«

      Wir schüttelten uns so kräftig als möglich die Hände.

      »Er ist doch ein Brandfuchs geblieben – freut mich herzlich, dich wieder zu sehen, Konrad!«

      Der Förster griff lachend in seine hochroten Haare und strich seinen hochroten Bart.

      »Schon wieder Freundschaft mit meiner Frau geschlossen, he? alte Bekanntschaft, Käthchen, – gib mir ‘nen Kuß, Kleine! Ach, Cäcilie, entschuldigen Sie – sehen Sie, welche Sündflut ich Ihnen in Ihr reines Stübchen mitbringe!«

      »Bitte,

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