Скачать книгу

auf –

      Cäcilie Willbrand.

      9

       Inhaltsverzeichnis

      In einer eigentümlichen Seelenstimmung erwache ich an jedem Morgen in dem Hause meines Oheims, in meinem Hause.

      Da ist meine Wohnung in der großen Stadt, hoch über den Menschenfluten, die unter ihr rollen, und welche den furchtsamen, den matten Schwimmer so leicht verschlingen. Der Gesang der jungen Arbeiterin, mir gegenüber, erweckt mich – ich halte mein Lever, und ein lustiges, tolles Treiben herrscht dabei! Was für Gesindel klopft an meine Tür und verlangt lachend, singend, pfeifend oder auch wohl brummend und ärgerlich Einlaß! Was für Briefe, Zettelchen, Billets und Visitenkarten gleiten in meinen Briefkasten! – Hat meine Nachbarin schon ihre Blumen begossen? Hat mein Nachbar schon seinen Starmatz gefüttert? – »Floh, hier den Manuskriptbogen an den Doktor Hinkelmann, ich lasse ihn bitten, den Schluß zu machen, ich habe Kopfweh!« – »Guten Morgen, Meister Gustav Berg – was macht die Kunst? Was macht die Frau Elise und das Kind?« – »Guten Morgen, Richard, was macht Mademoiselle Saltarelli? – lustige Nacht gestern?« – »Via! via!…ach, das Geld ist eine Chimäre! Leih mir einen Fünftalerschein, Bösenberg!« – – – »Herr Doktor Bösenberg, endlich treff’ ich Sie doch einmal; ich bin vergangene Woche jeden Tag zweimal hier gewesen – meine kleine Rechnung.« – – –

      Wie anders mein Erwachen in Finkenrode, wenn der Morgen langsam graufarbig, wie ein bleichsüchtiges Mädchen herangeschlichen ist. Ich finde mich dann in einem weiten Himmelbett und muß mich zwischen Schlaf und Wachen jedesmal erst eine Weile besinnen, wo ich wohl sein möge. Ein Knuspern und Rascheln von Mäusen hinter der Tapete ermuntert mich ein wenig mehr, ich schlage die Vorhänge zurück, und meine Stellung als Mensch, Deutscher, Bürger und Hausbesitzer zu Finkenrode wird mir klar. Ich gähne aus Leibeskräften und nach Herzenslust, und sehne mich nach irgendeinem Zeichen von Leben auf der Gasse oder im Hause: in *** erwache ich meistens zu spät, in Finkenrode immer zu früh. Nichts hindert mich, noch einmal einzuschlafen, ehe meine Enten auf dem Hofe anfangen zu gackern, ehe Renatens Pantoffeln die Treppe heraufklappern. Endlich aber erwacht Finkenrode und mein Haus zum Leben. Ich höre die Alte in das anstoßende Zimmer treten, wo sie einen Arm voll Holz so geräuschlos als möglich zu Boden wirft und Feuer anzündet. Jakob, der Rabe, erscheint in der Kammertür, krächzt mir seine Verachtung zu und geht wieder ab, wie er gekommen ist. Die Alte nimmt er mit. Das Feuer fängt an zu prasseln und zu krachen; nach einer halben Stunde krieche ich hervor ans den Federn, Renate erscheint zum zweitenmal, mit dem Kaffee und mit der Frage, was ich zu Mittag essen wolle.

      Das ist ein wichtiger Augenblick der Überlegung. Die Jahreszeit wird in Betracht gezogen – die Alte macht verschiedene Einwürfe; endlich vereinigen wir uns, und ich bin bis Mittag meinem Schicksal überlassen. Ein Körbchen mit Semmeln neben dem Kaffeetopfe bringt mich auf landwirtschaftliche Gedanken, und es fällt mir schwer aufs Herz, daß ich der glückliche Eigentümer von soundso viel Morgen Land, Wiesen und Wald, und – Mitarbeiter des Kamäleons bin. Ich kratze mich da, wo sich alle Weisen, Klugen und Gelehrten seit Erschaffung der Welt in schwierigen, bedenklichen Fällen kratzten – hinter dem Ohr. Sorgenvoll rauche ich meine Pfeife und bin endlich, wenn ich die Asche ausklopfe, zu der Ansicht gekommen, – daß Zeit Rat bringe, und daß es jetzt gottlob Winter sei. Nun fülle ich meine Pfeife von neuem und setze meine begonnenen Forschungen in den Mysterien des Hauses Bösenberg fort; ein Vergnügen, ebenfalls sehr verschieden von den Morgenbeschäftigungen meines früheren Lebens. Das Haus Bösenberg hat seine Katakomben wie Paris und Rom, aber sie sind gottlob nicht mit Sarkophagen der christlichen Märtyrer und Totengebeinen gefüllt, sondern mit gelb-, rot-und grün-gesiegelten Flaschen. Wir haben schon tiefe Studien gemacht: Mietze der Schauspieler und Spiritusfabrikant, Gundermann der Arzt wissen davon zu sagen, und öfter als einmal sind wir bereits mit sehr glänzenden Augen, jeder unter jedem Arm eine Flasche tragend, emporgestiegen aus der Unterwelt; der Schauspieler als erster Liebhaber dieser Blätter pathetisch seine tiefen Schmerzen bejammernd, der Doktor den merkwürdigen Verlauf einer chronischen Krankheit zum besten gebend. –

      Was steckt alles in diesem Hause! Einem Antiquitätensammler würde das Herz dreimal schneller klopfen aus Entzücken darüber.

      Da sind ausgestopfte Tiere in Glaskästen auf den riesigen mit Schnitzwerk ausgelegten Rokokoschränken, in deren schwer zu öffnenden Schiebladen und geheimen Fächern es wimmelt von vergessenen Seltsamkeiten aller Art. Habe ich doch ein Kästchen mit einer in Baumwolle gewickelten Münze gefunden, welche jeden Numismatiker aus freudigem Schreck in eine Ohnmacht hätte fallen machen können.

      Ein echter Pescennius Niger! Em Pescennius Niger mit dem Bild des Imperators auf der Vorderseite und der Inschrift: ÁÍÄÑÉÍÏÐ. ÊÁÉCÁÑÁÉÙÍ ÌÇÔÑÏauf der Rückseite!

      Da sind Ölgemälde, Pastellbilder – Landschaften, Blumenstücke, Porträts überall; in den Gängen und Gemächern bis hinauf in die höchsten Dachkammern. Da ist vor allem das Bibliothek-und Studierzimmer mit seinen gelehrten Schätzen und den vielen Manuskripten in der Handschrift des Oheims Albrecht. O Gott, wenn nur auch Luft zum Atmen da wäre.

      Spinngewebe, Dunst und Moder, Staub-und Fliegenschmutz überall! In den Fensterbänken Hunderte von toten Fliegen; Wurmstaub unter jedem Stuhl, jedem Tisch; Schimmelbildungen auf jedem der Feuchtigkeit ausgesetzten Fleck!

      Bei meinem Leben, es überläuft mich oft ein Gefühl, als nehme die Verwesung auch von mir bereits Besitz; unwillkürlich fahre ich dann über das Gesicht, um mich zu überzeugen, daß ich nicht grün ausschlage, unwillkürlich reiße ich das nächste Fenster auf, um frische Luft zu schnappen.

      Was beginne ich, um die Gespenster, welche in allen Winkeln zu lauern scheinen, zu verjagen?

      Manche Leute fragte ich um Rat. Der eine schlug dies vor, der andere das. Sidonie Fasterling zählte an den Fingern ein halb Dutzend niedlicher, zu verheiratender Finkenrodenerinnen her; – der Doktor Gundermann meinte: »um Gottes willen nicht – da würde der Teufel erst recht los sein«; ich schrieb an Weitenweber und erhielt folgende Antwort:

      »Es ist so, und wird so bleiben; – wenn ein Zauberer an Altersschwäche, an einem zurückgetretenen Schnupfen oder an einem mächtigeren Kollegen aus der Welt der Lebendigen geschieden ist, dann bleiben seine Geräte, seine seltsamen Phiolen, seine Rollen und Folianten, seine gesammelten Knochen, seine Wünschelrute zurück, und die Trivialität, die Alltagswelt dringt mit der Sonne in die unheimliche Höhle des Toten. Anfangs gucken die Pygmäen mit einem geheimen Schauder umher; flüstern, wagen sich kaum zu rühren, bis sie merken, daß das Werkzeug des toten Meisters mit dem Tode desselben seine Kraft verloren habe. (Sie täuschen sich freilich oft genug!) Dann werden sie mutig, hüpfen umher, spotten des Begrabenen und schleppen all das seltsame Wesen, welches der Alte um sich gesammelt hat, hinaus in das nüchterne Tageslicht. Dann wird gefragt: »Was war dies? wozu diente das? wer kennt dies? wozu kann man jenes gebrauchen?« – Ja, fragt nur! Reibt Euch die Stirn, grinst, lacht und probiert, der Meister ist tot – die Wünschelrute ist tot. – Schließe Freundschaft mit Jakob dem Raben, Max Bösenberg, mein Sohn! Der schwarze Kerl weiß höchstwahrscheinlich mehr von dem Hause Deines Oheims als andere Leute. – Vale! Weitenweber.«

      Am fünfzehnten Dezember kehrte ich zum zweiten Male in dem kleinen Häuschen vor dem Burgtore ein. Ich hatte die Erlaubnis dazu von einer alten, freundlichen Frau erhalten und ich benutzte sie. Es war gegen Abend – es war feucht und warm, leise tröpfelte es von den Dächern und den Zweigen der Bäume. Einige Augenblicke blieb ich in dem Lichtschein, welcher aus dem verhangenen Fenster auf den Gartenweg fiel, stehen, und ein unbeschreibliches Gefühl seligen Geborgenseins überkam mich in dieser Minute – verschwand aber blitzschnell, wie es gekommen war. Ich klopfte leise an die niedere Tür der beiden Frauen – ich trat ein. Das Schnurren eines Spinnrades brach ab.

      »Ah, Herr Max? Seien Sie willkommen, – wie schade, daß die Cäcilie nicht zu Haus ist – sie wird höchstwahrscheinlich bei Fräulein Fasterling sitzen.«

      Ich wollte die mir dargebotene

Скачать книгу