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Sie Ihre Taktik aufrechterhalten? Ich glaube, wir kommen so nie und nimmer auf den Berg.«

      Der Major wurde kaffeebraun vor Wut und schrie den Landrat an:

      »Wenn Sie es wünschen, übergebe ich Ihnen hiermit den Befehl und ziehe mich zurück. Das Ganze ist mehr Ihre als meine Sache.«

      Der Kaimakam merkte, daß man mit diesem eitlen Offizier äußerst vorsichtig umgehen müsse. Er beschloß deshalb, den plötzlichen Konflikt sofort abzuknicken. Mit seiner schläfrigsten Miene zuckte er die Achseln:

      »Das ist richtig. Ich habe die Verantwortung. Merken Sie sich aber, Jüsbaschi, daß Sie mir verantwortlich sind. Wenn die Sache mißlingt, werden wir beide die Folgen tragen müssen, Sie genauso wie ich.«

      Diese reine Wahrheit leuchtete dem Major so heftig ein, daß er verstummte. Da man die höchsten Stellen, den Wali, ja den Kriegsminister höchstpersönlich mit dem Musa Dagh beschäftigt hatte, konnte ein neuer Mißerfolg den Jüsbaschi vor ein Kriegsgericht führen, das ihm gegenüber weniger gnädig vorgehen würde als gegen den alten Bimbaschi mit den Kinderwangen. Er war auf Gedeih und Verderb an den Kaimakam geschmiedet und mußte sich daher mit ihm verhalten. Zu diesem Zwecke machte er eine ziemlich friedliche Bemerkung und ging ans Werk. Die Kompanie im Norden wurde angewiesen, sofort gegen die armenische Sattelstellung vorzugehen. Die Südstellung oberhalb des Bergsturzes sollte unbehelligt bleiben, da der Jüsbaschi die Truppen nicht einer neuen Steinlawine aussetzen wollte. Er versammelte die Offiziere um sich und befahl ihnen, ihren Zügen zu verkünden, daß jeder Soldat, der während des nächsten Aufstiegs umkehre und zurücklaufe, unbarmherzig niedergemacht werde. Eigens zu diesem Henkersberufe legte er die Saptiehs und Tschettehs in langer Linie in die Einbuchtungen der Vorberge. Sie bekamen den scharfen Befehl, gegen die zurückflutende Infanterie sofort das Feuer zu eröffnen. Diese Aufgabe zu übernehmen, weigerten sich die Saptiehs und Freischärler nicht. Zugleich ließ der Major im Gelände der Aprikosen- und Weingärten eine dritte, sehr lange Linie aufmarschieren, die bewaffneten Dorfbewohner, zu denen sich ein Teil ihrer Frauen gesellte. Die Angst vor dem Befehl des Jüsbaschi tat bei den Kompanien ihre Wirkung. Die Schwärme rasten, von Angst gehetzt, die steilen Berglehnen empor. Sie wagten es nicht, auch nur eine halbe Minute zu verschnaufen. Mit geschlossenen Augen stürmten sie durch das Komitatschifeuer. Der Mittag war lange vorüber, als es drei Zügen unter dem grausamen Feuer der Verteidiger gelang, auf den Höhen Fuß zu fassen und sich an vier Punkten den armenischen Abschnitten gegenüber notdürftig mit dem Infanteriespaten einzugraben oder hinter Felsen, Geröllstürzen, Bäumen, Bodenwellen Deckung zu finden. Durch diese wahre Heldentat aus Angst hatten die Truppen des Majors ihren ersten ansehnlichen Erfolg errungen. Er selbst, vom echten Schlachtenfieber erfaßt, führte mit gezogenem Säbel eine neue Sturmwelle hinauf. Auch ihr gelang es, sich unterhalb der armenischen Gräben festzusetzen und die Angriffsfront zu verlängern. Die Begeisterung über diesen Erfolg befeuerte die Türkenseelen mächtig. Sie eröffneten an allen Einfallspunkten zugleich ein rasendes Feuer. Dem Major war es vorerst gleichgültig, ob die Schüsse ein Ziel trafen oder nicht. Zwei Stunden lang sollten die Ohren und Seelen der Armeniersöhne so zermürbt werden, daß ihnen der letzte Rest ihrer Frechheit verging. Auch bekamen sie auf diese Weise zu spüren, daß der Staatsgewalt Munition genug zur Verfügung stand, um dieses Feuer mit der gleichen Dichtigkeit drei Tage lang fortzusetzen. Die Verteidiger verkrochen sich wie gelähmt in ihren Gräben, während der undurchdringliche Projektilschleier über ihre Köpfe wegwehte. Das Schlimmste aber war, daß sich von jenen Kampfplätzen, die der Stadtmulde zunächst lagen, Hunderte von Kugeln unter die Laubhütten verirrten und bisweilen Geller als abgeplattete Dumdum-Geschosse furchtbare Wunden schlugen. Ter Haigasun befahl daher, daß die Stadtmulde unverzüglich geräumt werde und daß sich das nicht wehrfähige Volk gegen die Meer- und Felsseite des Berges zurückziehe.

      Während der lang dauernden Feuerraserei gegen die armenischen Gräben ließ der Jüsbaschi nacheinander die Kompaniereserven, die Saptiehs und zuletzt die bewaffneten Bauern von seinen Offizieren heranführen, damit sich seine Obermacht beim Sturmangriff in immer wieder erneuerten Männerwellen auswirken könne. Das zweite, dritte und vierte Treffen wurde in ziemlich dichten Abständen hinter der Front bereitgestellt. Als diese durch die tückischen Überfälle der Komitatschis erschütterten und wutgepeitschten Mannschaften brüllend die Höhe erreichten, gab der Major dem ersten Treffen den Sturmbefehl. Die Armenier, die schon eine alte Sturmabwehrerfahrung hatten, schossen von ihren zumeist höher gelegenen Stellungen die zögernden Stoßschwärme in aller Ruhe zusammen. So schnell hintereinander die Wellen auch eingesetzt wurden, sie brachen sich, von der Ungunst des Bergbodens schwer benachteiligt, weit vor den armenischen Gräben. Trotz ihrer unermeßlichen Übermacht und Feuerüberlegenheit konnten die Moslems bis zum späten Nachmittag an keinem der Einfallspunkte auch nur einen Schritt weiterkommen. Dabei hatten die Armeniersöhne durch die kluge Anlage der Verteidigungsabschnitte ein verhältnismäßig leichtes und kostenloses Spiel. Ihre Gräben bildeten da und dort scharfe Winkel, und die anstürmenden Türken erhielten dadurch Front- und Flankenfeuer. Dazu kamen noch die Komitatschis, die plötzlich an dieser und jener Stelle die Reserven mit einem raschen, aber tödlichen Kugelregen überschütteten. Die todesmutigen, vergeblichen Sturmangriffe hatten den Major schon beinahe ebensoviel Männer gekostet wie die letzte Niederlage den armen Bimbaschi, der ihretwegen schmählich davongejagt worden war. Der aus einem weit härteren Holz geschnitzte Jüsbaschi aber gab nicht nach. Er stellte sich immer wieder an die Spitze der Angriffsreihen und entging hundertmal durch das Wunder der echten Führertapferkeit dem Tode. Er hielt sich zumeist im Abschnitt der Steineichenschlucht auf, denn es wurde allgemach klar, daß sich hier der schwächste Punkt der Verteidigung befand. Noch hielt Gabriel Bagradian dank seiner fliegenden Garde alle Fäden in der Hand. Drei Stunden noch, dachte er, und dann ist es Nacht. Die Garde hatte immer wieder in bedrohlichen Fällen eingegriffen, wankende Gräben versteift, die gefährdeten Lücken zwischen den Abschnitten gefüllt und ermüdete Zehnerschaften abgelöst. Jetzt freilich lag Bagradian ausgepumpt, totenfahl und ohne Atem irgendwo auf der Erde und erholte sich nur mühsam. Awakian saß neben ihm, und etwa zwölf Ordonnanzen der Jugendkohorte warteten auf seine Befehle. Haik war unter ihnen, Stephan nicht. Jeden Augenblick trafen Meldungen ein. Hauptsächlich vom Nordsattel, der bis jetzt noch keinen schweren Tag gehabt hatte. Um diese Stunde aber schienen die Türken ihre Absichten zu ändern und einen Hauptschlag im Norden vorzubereiten. Die Berichte Tschausch Nurhans lauteten immer nervöser. Nicht nur der Major, sondern ein ganzer Stab von Offizieren sei hinter den Deckungen auf den Gegenhöhen des Sattels aufgetaucht. Man habe sie deutlich an den Feldstechern erkannt. Bagradian hatte sich vorgenommen, mit dem Einsatz der Garde, das heißt der letzten Kräfte, auf das äußerste zu geizen und sich durch die Unsicherheit der einzelnen Unterführer nicht mißbrauchen zu lassen. Der Nordabschnitt war die bei weitem bestgesicherte Stellung, und es lag gar kein Grund vor, Verstärkungen in dieses Grabensystem zu werfen, ehe der Kampf noch begonnen hatte. Viel wichtiger dünkte es Gabriel Bagradian, immer in der Nähe des sehr gefährdeten Abschnittes der Steineichenschlucht zu bleiben, um dort ein Unglück zu verhüten. Er lag mit geschlossenen Augen da und schien den häufigen Meldungen vom Nordsattel keine Beachtung zu schenken. Nur noch zweieinhalb Stunden, sagte er sich innerlich vor. Eine Kampfpause war eingetreten. Das Feuer schwieg. Bagradian gab sich ganz seiner Erschöpfung hin. Vielleicht aber war dieser geistige und körperliche Schwächezustand der Grund, warum er dem Major doch in die Falle ging.

      Das Echo des Kampfes erreichte die Riviera mit voller Schärfe. Das Pochen und Plättern der Schüsse klang durch eine sonderbare akustische Übertreibung so peitschend nahe, daß Juliette und Gonzague das Gefühl haben mußten, sie säßen mitten im Feuernetz, während sich die Schlacht in Wirklichkeit doch ziemlich entfernt abspielte. Juliette hielt Gonzagues Hand fest. Sein Wesen war nichts als horchende Spannung. Er saß regungslos in gespannter Haltung da:

      »Ich glaube, es kommt von allen Seiten näher. Es hört sich wenigstens so an ...«

      Juliette sagte nichts. Dieser polternde, pfeifende Lärm war so traumhaft fremdartig, daß sie ihn nicht zu verstehen und darum auch kaum zu fürchten schien. Gonzague beugte sich nun etwas vor, um die Brandung besser zu sehen, die an den Klippen in der Tiefe hochsprang. Das Meer war heute außerordentlich bewegt und mischte seine ferne Zornstimme in den Wirbel des Gewehrfeuers. Maris deutete südwärts die Küste entlang:

      »Wir

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