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Jackson zu schreiben. Aram Tomasian übernahm die Abfassung des Manifestes an das Kriegsschiff. Er setzte sich sogleich abseits und entwarf, während bereits ein neuer Punkt der Tagesordnung mit reichlichem Lärm beraten wurde, seinen Text für die Schwimmer. Dann und wann schien er von dem Werke selbst ergriffen zu sein, denn er sprang plötzlich auf, überlas mit lautem Pathos und feierlichen Handbewegungen irgendeine Stelle, wobei er durch und durch Pastor war, der seine Sonntagspredigt memoriert. Er brachte sein Manifest in kürzester Zeit zustande. Es hat sich als ein Zeugnis der vierzig Tage erhalten.

      An irgendeinen englischen, amerikanischen, französischen, russischen, italienischen Admiral, Schiffskapitän oder Befehlshaber, den die vorliegende Petition erreichen mag.

      Sir! Wir flehen im Namen Gottes und menschlicher Brüderlichkeit zu Ihnen. Wir, die Bevölkerung von sieben armenischen Ortschaften, im ganzen fünftausend Seelen etwa, haben uns auf jene Hochfläche des Musa Dagh geflüchtet, die Damlajik genannt wird und drei Wegstunden nordwestlich oberhalb Suedjas und der Steilküste des Meeres liegt.

      Wir haben hier Zuflucht gesucht vor türkischer Barbarei und Grausamkeit. Wir haben uns zur Wehr gesetzt, um von unseren Frauen die Schändung ihrer Ehre abzuwenden.

      Sir! Sie wissen zweifellos von der Vernichtungspolitik der Jungtürken gegen unser Volk. Unter dem Schein der Umsiedlung, unter dem lügnerischen Vorwand, einer nichtbestehenden Aufruhrbewegung vorzubeugen, treiben sie unsere Leute aus ihren Häusern, berauben sie ihrer Felder, Fruchtgärten, Weinberge und aller beweglichen und unbeweglichen Habe. So ist es unseres Wissens außer anderen Orten schon mit der Stadt Zeitun und ihren zweiunddreißig Dörfern geschehen ...

      Nun schilderte Aram Tomasian seine Erlebnisse auf dem Transport von Zeitun nach Marasch. Dann ging er auf die Verschickung der sieben Dörfer über und legte die bedrängte Lage des Volkes auf dem Damlajik in erregten Worten dar. Das Manifest schloß mit folgenden Hilferufen:

      Sir! Wir flehen Euch an im Namen Christi!

      Bringet uns, wir bitten Euch, nach Zypern oder nach einem anderen freien Lande. Unsere Leute sind nicht träge. Wir wollen unser Brot mit härtester Arbeit verdienen, sofern man sie uns gibt.

      Ist dies aber zuviel verlangt, um gewährt zu werden, so nehmet wenigstens unsre Frauen, nehmt unsere Kinder, unsre Alten auf! Uns wehrhafte Männer aber wollet gütig mit Waffen, Munition und Nahrungsmitteln hinreichend ausstatten, damit wir uns gegen die Streitkräfte des Feindes verteidigen dürfen, bis zum letzten Atemzug!

      Wir flehen Euch an, Sir, wartet nicht, bis es zu spät ist!

      Im Namen aller Christen hier oben.

      Ihr untertäniger Diener Pastor A. T.

      Dieses Manifest bekam eine doppelte Sprachfassung, auf der einen Seite des Blattes in französischer, auf der anderen in englischer Sprache. Die beiden Texte wurden unter Aufsicht Hapeth Schatakhians, des Sprach- und Stilmeisters, sorgfältig durchgefeilt. Das Amt jedoch, sie mit zierlichen kleinen Lettern auf die schmalen Blätter unterzubringen, erhielt sonderbarerweise nicht Lehrer Oskanian, Inhaber der berühmtesten Kalligraphie in allen Schriftarten weit und breit, sondern Samuel Awakian, der ein weit bescheidenerer Künstler war. Hrand Oskanian fuhr von seinem Sitz auf und starrte Ter Haigasun an, als wolle er ihn und die ganze Versammlung zum Zweikampf herausfordern. Diese neue Herabsetzung beraubte ihn aller Worte. Seine Lippen bewegten sich stumm. Ter Haigasun, sein Todfeind, lächelte ihm jedoch gnädig zu:

      »Setz dich, Lehrer Oskanian, und gib Ruhe! Deine Handschrift ist nämlich viel zu schön. Niemand, der sie liest, würde an die Ehrlichkeit unserer Not glauben, die noch solche Schlingen und Schnörkel zusammenbringt.«

      Der schwarze Knirps aber trat hocherhobenen Hauptes vor Ter Haigasun.

      »Priester! Du irrst dich in mir. Ich bin auf die dumme Schmiererei, weiß Gott, nicht eifersüchtig.«

      Er schüttelte seine geballten Kriegerfäuste vor Ter Haigasuns Gesicht aufdringlich hin und her, während seine Stimme vor schlechtverhehltem Zorn bebte:

      »In diesen Händen steckt längst keine Schönschrift mehr, Priester, sondern ganz etwas anderes, das haben sie bewiesen, wenn du dich auch ärgerst!«

      Bis auf diesen lächerlichen Zwischenfall ging diese wichtige Beratung in vollster Ruhe und Einhelligkeit vor sich. Selbst der skeptische Ter Haigasun war zufrieden und hoffte, daß, wie immer sich auch die nächste Zukunft gestalten mochte, die Eintracht der Gewählten wenigstens nicht in Brüche gehen werde.

      Auch heute nach der Beratung traf Gabriel seine Frau weder im Zelte noch auf ihrem Besuchsplatz unter den Myrtenbüschen an. Hier hatten sich auch die Lehrer Oskanian und Schatakhian wie so oft in letzter Zeit vergeblich eingefunden, um Madame Bagradian wieder einmal ihre Aufwartung zu machen. Insbesondere Hrand Oskanian war über die vielen fruchtlosen Versuche, sich Julietten als den Löwen der Südbastion zu präsentieren, höchst ungehalten. Knirschend mußte er sich eingestehen, daß die Gegenwart einer eleganten Modepuppe wie Monsieur Gonzague den echten pulvergeschwärzten Manneswert aussteche. So mißtrauischer Natur aber der Schweiger auch war, seine Gedanken verstiegen sich nicht zu einem unreinen Verdacht. Madame Bagradian stand zu Sternenhoch über ihm, als daß sich eine unpassende Vorstellung in sein Hirn gewagt hätte. In dieser Beziehung dachte der Unausstehliche wirklich ehrfurchtskeusch wie ein Aschugh, ein Minnesänger. Als Gabriel Bagradian die Gesichter der Lehrer erblickte, machte er schnell kehrt und verließ den Ort. Unentschlossen schlenderte er vom Dreizeltplatz in die Richtung der »Riviera«. Er überlegte, wo Juliette sich zu dieser Stunde wohl aufhalten möge. Schon wollte er sich der Stadtmulde zuwenden, als ihm Stephan über den Weg lief. Der Junge war wie immer von der ganzen Haik-Bande umgeben. Der finstere Haik selbst lief einige Schritte voraus, als wolle er Abstand, Führertum oder nur seine überlegene Selbständigkeit kundtun. Der arme Hagop aber hielt sich mit erzürnter Behendigkeit dicht an Stephans Seite, während die anderen regellos durcheinanderschwärmten und lärmten. Sato bildete in gewohnter Weise die lauernde Nachhut. Die Knaben achteten des obersten Befehlshabers gar nicht und wollten ohne Gruß, ohne Ehrenbezeigung an ihm vorüberstürzen. Da rief Gabriel seinen Sohn scharf an. Der Eroberer der Haubitzen schälte sich aus dem erstarrten Rudel und trabte in jener gravitätischen und affenhaften Haltung heran, die er von den Kameraden schon übernommen hatte. Seine zerrauften Haare hingen in die Stirn. Das Gesicht war rot und feucht. Die Augen schienen von einem Starhäutchen trunkener Besessenheit getrübt zu sein. Auch sein Kittel wies bereits eigenwüchsige Risse und Flecke auf. Gabriel Bagradian erkundigte sich mit mißgelaunter Strenge:

      »Nun sag mir, was treibst du eigentlich da ...?«

      Stephan gluckste und zeigte unentschieden in mehrere Richtungen:

      »Wir laufen ... wir spielen ... wir sind dienstfrei jetzt ...«

      »Spielen? So große Kerle spielen? Was spielt ihr?«

      »Nichts ... Nur so ... Papa ...«

      Bei diesen abgerissenen Worten schaute Stephan seinen Vater merkwürdig von unten an, als frage er, warum willst du meine schwererrungene Stellung in dieser Gesellschaft vernichten, Papa? Wenn du mich jetzt klein machst, werde ich für alle zum Gelächter werden. Gabriel aber verstand diesen Blick nicht:

      »Du siehst ja nicht wie ein Mensch aus, Stephan. Wagst du es wirklich, dich Mama so zu zeigen?«

      Der Junge antwortete nicht und sah gequält zu Boden. Es war noch gut, daß der Vater französisch zu ihm gesprochen hatte. Der Befehl aber erfolgte leider in armenischer Sprache, so daß ihn das Rudel hören konnte:

      »Geh jetzt sofort ins Zelt, wasch dich, kleide dich um! Am Abend meldest du dich in einem menschlichen Zustand bei mir!«

      Nachdem Gabriel Bagradian dann verärgert noch ein Stück in südlicher Richtung gegangen war, blieb er plötzlich stehn. Ob der Bursche seinem Befehl wohl gehorcht hatte? Er war des Gegenteils beinahe gewiß. Und wirklich, als er eine Weile später ins Scheichzelt trat, fand sich kein Stephan drin. Gabriel überlegte, welche Strafe er über den Jungen verhängen müßte; es handelte sich hier ja nicht nur um den bloßen Ungehorsam gegen den Vater, sondern um Insubordination gegen den höchsten Führer. Mit den Strafen auf dem Damlajik war's jedoch ein schwieriges

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