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lesen konnte. Sally war offenbar Patientin bei Regitze Jung, einer von Mariannes Kolleginnen im Ärztehaus Christianssund. Die Ärztin hatte ihr die Antibabypillen verschrieben und ihr eine Schachtel mitgegeben, auf der »Nur für den eigenen Praxisgebrauch« stand. Merkwürdig, dachte er. Ganz hinten in der Schublade lag eine schwarze Pappschachtel, die einen Stapel Geldscheine enthielt, alles in allem etwas über dreitausend Kronen und ein bisschen Kleingeld.

      Sie gingen in das letzte Zimmer, das größte der Wohnung. Ein Esstisch mit zwei ungleichen Holzstühlen und einer karierten Wachsdecke. Nackte Wände, an denen ein einzelnes Ölbild von der Sorte hing, die man auf jedem Flohmarkt nachgeschmissen bekommt: ein Fischerboot im vom Sturm aufgewühlten Meer. Eine beeindruckend gepflegte Bubikopf-Pflanze am einzigen Fenster des Raums, es handelte sich um ein dreiflügeliges Fenster, das in einer Nische zwischen den schrägen Flächen der Außenwand saß. Ein braunes Schlafsofa, ausgezogen zum Doppelbett, bezogen für eine Person. Ein nagelneues, hellblaues Satinnachthemd und pastellfarbene Bettwäsche, die so zerschlissen war, dass man das Muster der geblümten Steppdecke durch den Stoff sehen konnte. Ein Regal mit zwei Teddys und einer schwarzen Keramikschale, in der ein ganz neuer Mascara-Stift, ein gebrauchter hellroter Lippenstift, eine halb volle Packung Kondome und eine Tube Salbe gegen Fußpilz lagen. In einer Ecke stand ein Garderobenschrank, der so mitgenommen aussah wie die übrigen Möbel. Darin stapelweise Kleidung in braunen, beigen, marineblauen und bordeauxfarbenen Nuancen, alles verwaschen und mit Spuren wiederholter Reparaturen. Unter einem Stapel grauweißer Baumwollslips lag eine Kosmetiktasche aus braun gestreiftem Nylon. Flemming öffnete sie vorsichtig. Auch darin lag Bargeld, rund sechzehnhundert Kronen in kleinen und großen Scheinen.

      »Na ja, ein paar Gemeinsamkeiten gibt’s ja«, meinte Dan.

      »Was meinst du?« Flemming legte die Kosmetiktasche zurück unter den Wäschestapel.

      »Das Bargeld.«

      »Sie haben vermutlich beide schwarzgearbeitet.«

      »Genau.« Dan nickte in Richtung Garderobe. »Aber siehst du, wie unterschiedlich sie sonst waren? Du wirst kaum zwei gleichaltrige Frauen finden, die sich so unterschiedlich kleiden wie diese beiden. Die eine entscheidet sich für Farben und Formen, die sofort die Aufmerksamkeit der Leute erregen, die andere versucht, sich unsichtbar zu machen.«

      »Ach so meinst du das. Allerdings denke ich, dass es trotzdem mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede gibt«, sagte Flemming. »Hast du je eine Wohnung ohne ein einziges Stück Papier gesehen, abgesehen von den Geldscheinen und Sallys Zeitungsausschnitten? Es gibt hier nicht einen einzigen Brief, keine Familienfotos, weder Bankauszüge noch Mietquittungen oder Taufscheine, nicht einen Beleg, auf dem man den vollen Namen der beiden lesen könnte.«

      »Das papierlose Leben.«

      »Genau. Das stinkt zum Himmel!«

      »Illegale Zuwanderer?«

      Flemming nickte und schaute sich noch einmal in dem sauberen, aber traurigen Raum um. »Sieht aus, als seien beide untergetaucht, aus welchem Grund auch immer.«

      »Komm, lass uns gehen.« Dan fühlte sich plötzlich nicht mehr wohl bei der Vorstellung, weiter in den Habseligkeiten der beiden Frauen herumzuwühlen. Die kleine Wohnung erschien ihm eng und muffig.

      »Die Polizei von Frederiksberg hat übrigens mit Merethe Finsen gesprochen, der Inhaberin der Schrubberkompanie«, berichtete Flemming, während er prüfte, ob die Tür ordentlich ins Schloss gefallen und die Versiegelung vorschriftsmäßig angebracht war. »Sie bleibt dabei, dass sie Lilliana nicht kannte und Benjamin allein gearbeitet hat.« Sie hatten die Haustür erreicht und blieben einen Moment stehen, bevor sie ihre Köpfe dem eiskalten Wind aussetzten. »Und Benjamin behauptet weiterhin, dass er immer mit Lilliana zusammengearbeitet hat. Angeblich hat er geglaubt, dass seine Kollegin eine ganz normale Angestellte war.«

      »Na ja, sie hat ja wohl nicht umsonst gearbeitet?«

      »Offenbar wollen sie, dass wir das glauben«, sagte Flemming. Er schlug den Kragen hoch. »Meiner Meinung nach lügen beide, und ich beabsichtige herauszufinden, wie es zusammenhängt, egal, ob es für die Aufklärung relevant ist oder nicht. Ich werde morgen selbst mit der Finsen reden.«

      Dan steckte die Gummihandschuhe in die Tasche und zog eine schwarze Skimütze über die Ohren. »Wenn ich du wäre …«, sagte er und brach ab, plötzlich unsicher, ob er es sich erlauben durfte, dem Ermittlungsleiter Ratschläge zu erteilen – egal, ob sie alte Freunde waren oder nicht. Doch als Flemming nickte, fuhr er fort: »… dann würde ich überprüfen, ob die Benjamin/Lilliana-Konstruktion noch häufiger auftaucht.«

      »Was meinst du?«

      »Wenn Benjamin korrekt entlohnt wird und Lilliana schwarzarbeitete, ohne dass es aus den Abrechnungen, Verträgen mit den Kunden und so weiter hervorgeht, dann doch deshalb, weil das Reinigungsunternehmen damit Geld verdient. Sonst müssten sie ja bescheuert sein, das Risiko einzugehen, erwischt zu werden.«

      Flemming runzelte die Stirn. »Ja?«

      »Wenn mit dieser Masche Geld zu verdienen ist, dann begnügt sich Merethe Finsen vermutlich nicht nur mit einem Fall. Und die Schrubberkompanie ist ein ziemlich großes Unternehmen, soweit ich weiß. Wie viele Zweiergruppen lässt sie sonst noch in Seeland arbeiten? Zehn? Dreißig? Hundert?«

      »Du meinst, das Ganze hat möglicherweise System?«

      »Aber wie?«

      »Versuchst du etwa, morgen mitzukommen?«

      Dan schüttelte lächelnd den Kopf. »Danke für das Angebot. Ich habe selbst eine Spur, mit der ich mich befassen möchte; eine Spur von der Sorte, die am besten von jemandem verfolgt wird, der sich bei Kurt & Ko ein bisschen auskennt.«

      »Wovon redest du?«

      »Tja, ich habe mir schon gedacht, dass du es nicht bemerkt hast«, erwiderte Dan mit wenig verhohlenem Triumph in der Stimme. »Lilliana hatte nichts, ihre Sachen sind löchrig und geflickt, ihr Küchenschrank ist leer, und ihr Bettzeug fällt bald auseinander. Trotzdem steht im Kühlschrank eine Flasche teurer französischer Champagner, und ihr Nachthemd ist so neu, dass es noch nicht einmal in der Wäsche war.«

      »Du meinst, sie hatte einen reichen Liebhaber?« Flemmings Stimme war sarkastisch.

      »Auf jeden Fall einen Liebhaber. In ihrem Zimmer lag außerdem eine halb leere Packung Kondome.«

      »Die können dort seit Jahren gelegen haben.«

      »Könnten sie, ja, ist aber nicht so. Ich habe mir das Fabrikationsdatum angesehen. Ich werde morgen versuchen, meine Quellen bei Kurt & Ko anzuzapfen. Ich will denjenigen finden, der etwas mit ihr hatte.«

      »Das muss doch nicht unbedingt jemand aus der Agentur sein, Dan. Lilliana hat auch woanders geputzt, und sie hatte vermutlich auch ein Leben außerhalb der Arbeit.«

      Dan lächelte spöttisch. »Offenbar hast du etwas übersehen, als du es so eilig hattest, mich daran zu hindern, die Champagnerflasche anzufassen.«

      »Was denn?«

      »In die goldene Banderole um den Pfropfen ist ein Logo geprägt. Hast du es nicht bemerkt? Zwei K, das erste spiegelverkehrt, auf beiden Seiten eines großen &-Zeichens, du hast dieses Logo schon an den Glastüren, auf unserem Briefpapier und auf meiner Visitenkarte gesehen.«

      »Das Logo der Agentur?«

      Dan nickte. »Diese Flaschen wurden letztes Jahr zum zehnjährigen Jubiläum der Agentur produziert. Nur Menschen mit einer sehr engen Verbindung zu Kurt & Ko haben dazu Zugang.«

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