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daran gedacht, dass es sich nicht um ein fehlerfreies System handelt? Wenn zwei oder drei Mitarbeiter gleichzeitig hineingehen, wird trotzdem nur eine Zugangskarte registriert.«

      »Deshalb ist es wichtig, dass ihr sie auch danach fragt, ob sie allein gekommen sind, ob jemand die Terrassentür im Sitzungszimmer benutzt oder bemerkt hat, dass sie im Laufe des Tages offen stand.«

      »Offen wird sie wohl kaum gestanden haben.« Ihr Ton klang noch immer leicht beleidigt. »Es hat gestürmt und den größten Teil des Tages in Strömen gegossen.«

      »Willumsen, zufällig weiß ich, dass bei Kurt & Ko Rauchverbot herrscht. Wer rauchen will, muss nach draußen unter das Halbdach«, erklärte Flemming. »Und die Terrassentür benutzen die meisten, wenn sie sich eine Zigarette anstecken wollen. Nur wenn das Sitzungszimmer benutzt wird, gehen die Leute zum Rauchen vor die Eingangstür.«

      »Ah ja, du kennst hier ja Leute …«

      »Zu deiner Aufklärung: Dan Sommerdahl ist momentan krankgemeldet. Ich habe gestern den ganzen Abend mit ihm verbracht. Von 18.00 Uhr bis ein paar Stunden nach dem Fund der Leiche. Mir reicht das als Alibi. So wie ich es sehe, ist Dan der Einzige, bei dem ich zu zweihundert Prozent sicher sein kann, dass er nicht der Täter ist. An ihn brauchst du also keinen Gedanken mehr zu verschwenden.« Flemming klappte sein Mobiltelefon zu. Irgendwann würde er ein grundsätzliches Gespräch mit Lone Willumsen führen müssen. Offensichtlich hatte sie ein Rollenproblem, und das machte sich ein bisschen zu häufig bemerkbar. Wenn er bloß wüsste, wo das Problem lag.

      Während er darauf wartete, dass Frank Janssen mit Benjamin zurückkam, schrieb er seine Notizen des Gesprächs mit Dan ins Reine. Verdammt viele Leute, die bei Kurt & Ko arbeiteten. Viel zu viele! Außerdem war er sich vollkommen darüber im Klaren, dass der Mörder nicht unbedingt auf dieser Liste stehen musste. Schon möglich, dass ein Großteil des Personals aus dem Verwaltungsbereich abends nie Überstunden machte, aber sollte seine Theorie stimmen und irgendjemand hatte sich stundenlang in der Küche versteckt gehalten, dann konnte der Mörder auch aus diesem Personenkreis stammen. Jemand, der sich außerhalb der normalen Arbeitszeiten nie im Büro zeigte. Wenn er nur mehr über das Opfer wüsste. Das ist wichtiger als eine weitere Zugangsliste, dachte er. Sie wussten inzwischen, dass es sich nicht um ein Sexualverbrechen handelte, und nichts wies bisher auf einen Einbruch hin, der außer Kontrolle geraten war. Man bricht doch nicht in ein Haus ein, in dem sämtliche Lampen brennen und die Putzfrau mit Lappen und Staubsauger herumläuft. Und wenn es sich umgekehrt abgespielt hatte? Und der Einbrecher sich bereits in den Büros aufhielt, als Benjamin und Lilliana auftauchten? Aber wieso sollte er dann anderthalb Stunden warten, bevor er einen der beiden Putzleute ermordete?

      Lone Willumsen hatte natürlich recht, das Logischste war, Benjamin zu verdächtigen. Lillianas Kollege hatte alle Möglichkeiten gehabt, den Mord zu begehen; er hatte über den Ablauf des gestrigen Abends ganz eindeutig gelogen; er hatte sich ein Alibi besorgt, und seine Mutter war unübersehbar nervös. Außerdem war er vorerst der Einzige, der nachweislich Kontakt zu Lilliana hatte. Benjamin war ganz sicher ein guter Tipp, doch aus irgendeinem Grund glaubte er nicht daran.

      Flemming Torp war bereit, seine Lieblingsjeans zu verwetten, dass sich das Motiv im Leben der Ermordeten und in ihrer Beziehung zu dem Mörder finden ließ. Aber wie zum Teufel sollte man Nachforschungen anstellen, wenn das Opfer anonym blieb? Lillianas Fingerabdrücke fanden sich nicht in irgendwelchen Dateien; sie passte zu keiner der Beschreibungen von verschwundenen Personen; es gab keine Adresse, die sie aufsuchen konnten. Sie konnten nur darauf setzen, dass irgendjemand sie nach einigen Tagen vermisste und die Polizei um Hilfe bat. Selbstverständlich konnten sie den Gang der Ereignisse ein wenig beschleunigen und ein Bild von ihr in die Zeitungen setzen lassen, doch dieser Gedanke widerstrebte Flemming. Selbst der tüchtigste Leichenbestatter wäre kaum in der Lage, Lillianas Gesicht lebendig erscheinen zu lassen, und es hatte etwas Unwürdiges, die verfärbten und grotesken Züge einer toten Frau der Allgemeinheit zu präsentieren.

      »Störe ich?« Frank Janssen steckte den Kopf in Flemmings Büro.

      »Komm rein.« Flemming winkte den jungen Kriminalassistenten herein. »Habt ihr ihn?«

      »Er sitzt unten im Vernehmungszimmer.« Frank wedelte mit einer weißen Plastikkarte mit einem schwarzen Magnetstreifen auf der Rückseite. »Die hatte er bei sich. Ich glaube nicht, dass er weiß, wieso wir ihn danach gefragt haben. Er ist jedenfalls bereit zu schwören, dass er sie die ganze Zeit bei sich trug. Niemand sonst hätte sie benutzen können.«

      »Gut. Hält er an seiner Geschichte von gestern fest?«

      »Ja. Aber ich habe keinen Druck gemacht. Ich wollte ihn dir überlassen.«

      »Danke.« Flemming erhob sich. »Wollen wir?«

      »Hast du schon gegessen?«, erkundigte sich Frank.

      Flemming schüttelte den Kopf.

      »Soll ich uns nicht ein paar Hotdogs und zwei kalte Flaschen Cocio holen? Dem Burschen schadet es nicht, wenn er noch eine halbe Stunde Zeit zum Nachdenken bekommt, und früher oder später müssen wir ohnehin etwas essen.«

      Als sie eine Viertelstunde später den letzten Tropfen Kakao getrunken hatten, erkundigte sich Flemming: »Was ist eigentlich mit den beschlagnahmten Rechnungsbüchern und dem Laptop der Schrubberkompanie? Hast du jemanden, der sich das ansieht?«

      »Jep.« Frank Janssen stellte die leeren Flaschen neben den Papierkorb und wischte den Schreibtisch mit einem Stück Küchenrolle ab. »Ich habe Elise gefragt.«

      »Elise Nielsen? Von der Pass-Stelle?«

      »Genau die. Ich weiß zufällig, dass an dieser Frau eine große Steuerprüferin verloren gegangen ist. Und sie schuldet mir einen Gefallen. Sie geht davon aus, in ein paar Tagen alles durchgesehen zu haben. Gehen wir zu Benjamin?«

      »Eines Tages musst du mir dein Verhältnis zu Frauen erklären, Janssen. Ich habe das Gefühl, das könnte eine sehr interessante Geschichte sein.«

      Aus dem Vernehmungszimmer sah man auf den Hof des Polizeipräsidiums, wo eine Rasenfläche von einer sorgfältig beschnittenen, kniehohen Buchsbaumhecke begrenzt wurde. Die Aussicht wurde durch die massiven Stahlgitter verunstaltet, die aus Sicherheitsgründen vor die Fenster montiert waren. Auch die Einrichtung des Raumes war nicht wesentlich gemütlicher geworden, seit man beschlossen hatte, die Tische und Stühle am Boden festzubolzen.

      Durch das Fenster der Tür sahen sie Benjamin Winther am Tisch, den dunkelhaarigen Kopf hatte er auf die Arme gelegt. Das Gesicht war der Tür abgewandt, nur die Menge an zusammengeknüllten Papierservietten zeigte mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass der junge Mann entweder geweint oder eine gewaltige Erkältung hatte. Als die Polizisten eintraten und dem uniformierten Beamten zunickten, der die Tür bewachte, richtete Benjamin Winther sich auf. Flemming spürte einen Stich in der Brust, als ihn aus dieser blassen Maske aus weißem Puder, schwarzem Lidschatten und Schmutz ein Paar große rot geränderte Augen anstarrten.

      »Möchtest du erst einmal auf die Toilette, um dich frisch zu machen?«, fragte er.

      Benjamin stand zögernd auf. »Ja, danke«, murmelte er. Der Beamte begleitete ihn nach draußen.

      »Okay, okay«, sagte Frank, »dann bin ich heute eben der Bad Cop. Du musst es nur sagen.«

      »Ach, hör schon auf. Ich weiß nicht, warum der uns anlügt und nicht sagt, was er gestern wirklich gemacht hat oder wie gut er Lilliana kannte, aber ich glaube keine Sekunde, dass dieses Bürschchen der Mörder ist.«

      »Ich kenne viele, die sagen würden, dass er geradezu der Prototyp eines Serienkillers ist – mit all diesen Piercings und Sicherheitsnadeln.«

      »Vergiss nicht, dass mein Sohn auch erst einundzwanzig ist.« Flemming setzte sich an den Tisch und überprüfte, ob im Kassettenrecorder eine unbespielte Kassette lag. »Er und seine Freunde sehen ungefähr genauso aus, und meine Erfahrung sagt mir, dass es sich bei denjenigen, die am meisten gepierct, bemalt, tätowiert und toupiert sind, in der Regel um die Sanftesten handelt.«

      »Du bist alt und sentimental.«

      Flemming

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