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bedeutete nicht etwa die Freiheit von dem, was wir heute als »Aberglauben« zu werten pflegen. Die Hexenprozesse haben auch in Neu-England geblüht. Aber: während der Konfuzianismus die Magie in ihrer positiven Heilsbedeutung unangetastet ließ, war hier alles Magische teuflisch geworden, religiös wertvoll dagegen nur das rational Ethische geblieben: das Handeln nach Gottes Gebot, und auch dies nur aus der gottgeheiligten Gesinnung heraus. Es ist nach der Darstellung wohl völlig klar geworden: daß in dem Zaubergarten vollends der heterodoxen Lehre (Taoismus) unter der Macht der Chronomanten, Geomanten, Hydromanten, Meteoromanten, bei der krüden und abstrusen universistischen Vorstellung vom Weltzusammenhang, beim Fehlen aller naturwissenschaftlichen Kenntnis, welche teils Ursache teils aber auch Folge jener elementaren Gewalten war, bei der Verpfründung, der Stütze der magischen Tradition, an deren Sportelchancen sie interessiert war, eine rationale Wirtschaft und Technik moderner okzidentaler Art einfach ausgeschlossen war. Die Erhaltung dieses Zaubergartens aber gehörte zu den intimsten Tendenzen der konfuzianischen Ethik. Aber innere Gründe traten hinzu und hinderten jede Durchbrechung der konfuzianischen Macht.

      Die puritanische Ethik rückte, im stärksten Gegensatz zu der unbefangenen Stellungnahme des Konfuzianismus zu den Dingen der Erde, diese in den Zusammenhang einer gewaltigen und pathetischen Spannung gegenüber der »Welt«. Jede Religion, welche mit rationalen (ethischen) Forderungen der Welt gegenübertritt, gerät ja – wir werden das alsbald noch im einzelnen verfolgen – an irgendeinem Punkt mit deren Irrationalitäten in ein Spannungsverhältnis. Diese Spannungen setzen bei den einzelnen Religionen an sehr verschiedenen Punkten ein und darnach ist sowohl die Art wie der Stärkegrad der Spannung verschieden. Dies hängt in starkem Maße von der Art des durch metaphysische Verheißungen gegebenen Erlösungswegs der einzelnen Religion ab. Vor allem: der Grad der religiösen Entwertung der Welt ist dabei mit dem Grade ihrer praktischen Ablehnung nicht identisch.

      Diejenige (der Absicht nach) rationale Ethik, welche die Spannung gegen die Welt, sowohl ihre religiöse Entwertung wie ihre praktische Ablehnung, auf ein absolutes Minimum reduzierte, war, wie wir gesehen haben, der Konfuzianismus. Die Welt war die beste der möglichen Welten, die menschliche Natur der Anlage nach ethisch gut und die Menschen untereinander darin, wie in allen Dingen, zwar dem Grade nach verschieden, aber prinzipiell gleich geartet und jedenfalls schrankenlos vervollkommnungsfähig und zulänglich zur Erfüllung des Sittengesetzes. Philosophisch-literarische Bildung an der Hand der alten Klassiker war das universelle Mittel der Selbstvervollkommnung, ungenügende Bildung und als deren hauptsächlichster Grund: ungenügende ökonomische Versorgung, die einzige Quelle aller Untugenden. Solche Untugenden aber, und zwar insbesondere diejenigen der Regierung, waren der wesentliche Grund alles aus der Unruhe der (rein magisch aufgefaßten) Geister entstehenden Unheils. Der rechte Weg zum Heil war die Anpassung an die ewigen übergöttlichen Ordnungen der Welt: das Tao, und also an die aus der kosmischen Harmonie folgenden sozialen Erfordernisse des Zusammenlebens. Vor allem also: pietätvolle Fügsamkeit in die feste Ordnung der weltlichen Gewalten. Für den einzelnen war die Ausgestaltung des eigenen Selbst zu einer allseitig harmonisch ausbalancierten Persönlichkeit, einem Mikrokosmos in diesem Sinne, das entsprechende Ideal. »Anmut und Würde« des konfuzianischen Idealmenschen: des Gentleman, äußerte sich in der Erfüllung der überlieferten Pflichten. Die zeremonielle und rituale Schicklichkeit also in allen Lebenslagen war, als Zentraltugend, Ziel der Selbstvervollkommnung, wache rationale Selbstkontrolle und Unterdrückung aller Erschütterung des Gleichgewichts durch irrationale Leidenschaften, welcher Art immer, das geeignete Mittel, sie zu erreichen. Irgendwelche »Erlösung« aber, außer von der Barbarei der Unbildung, begehrte der Konfuzianer nicht. Was er als Lohn der Tugend erwartete, war im Diesseits langes Leben, Gesundheit und Reichtum, über den Tod hinaus aber die Erhaltung des guten Namens. Es fehlte, genau wie bei den genuinen Hellenen, jede transzendente Verankerung der Ethik, jede Spannung zwischen Geboten eines überweltlichen Gottes und einer kreatürlichen Welt, jede Ausgerichtetheit auf ein jenseitiges Ziel und jede Konzeption eines radikal Bösen. Wer die auf das Durchschnittskönnen der Menschen zugeschnittenen Gebote innehielt, war frei von Sünden. Vergebens suchten christliche Missionare ein Sündengefühl da zu wecken, wo solche Voraussetzungen selbstverständlich waren. Ein gebildeter Chinese würde entschieden ablehnen, dauernd mit »Sünden« behaftet zu sein, wie ja übrigens für jede vornehme Intellektuellenschicht dieser Begriff etwas Peinliches, als würdelos Empfundenes zu haben und durch konventionell oder feudal oder ästhetisch formulierte Abwandlungen (etwa: »unanständig« oder »geschmacklos«) vertreten zu werden pflegt. Gewiß gab es Sünden, aber das waren auf ethischem Gebiet Verstöße gegen die überlieferten Autoritäten: Eltern, Ahnen, Vorgesetzte in der Amtshierarchie, also gegen traditionalistische Gewalten, im übrigen aber magisch bedenkliche Verletzungen der überlieferten Bräuche, des überlieferten Zeremoniells und endlich: der festen gesellschaftlichen Konventionen. Diese alle standen untereinander gleich: »ich habe gesündigt« entsprach unserem »entschuldigen Sie« bei Verstößen gegen die Konvention. Askese und Kontemplation, Mortifikation und Weltfrucht waren innerhalb des Konfuzianismus nicht nur unbekannt, sondern als drohnenhaftes Schmarotzertum verachtet. Jede Form von Gemeinde-und Erlösungsreligiosität war teils direkt verfolgt und ausgerottet, teils in ähnlichem Sinne Privatangelegenheit und gering geschätzt wie etwa die orphischen Pfaffen bei den vornehmen Hellenen der klassischen Zeit. Die innere Voraussetzung dieser Ethik der unbedingten Weltbejahung und Weltanpassung war der ungebrochene Fortbestand rein magischer Religiosität, von der Stellung des Kaisers angefangen, der mit seiner persönlichen Qualifikation für das Wohlverhalten der Geister, den Eintritt von Regen und guter Erntewitterung verantwortlich war, bis zu dem für die offizielle wie für die Volksreligiosität schlechthin grundlegenden Kult der Ahnengeister, zu der inoffiziellen (taoistischen) magischen Therapie und den sonstigen bestehen gebliebenen Formen animistischen Geisterzwangs, anthropo- und herolatrischen Funktionsgötterglaubens. Mit der gleichen Mischung von Skepsis und gelegentlicher Uebermanntheit durch Deisidaimonie wie der gebildete Hellene stand der gebildete Konfuzianer, mit ungebrochener Gläubigkeit stand die in ihrer Lebensführung vom Konfuzianismus beeinflußte Masse der Chinesen innerhalb der magischen Vorstellungen. »Tor, wer nach dort die Augen blinzend richtet....« würde der Konfuzianer mit dem alten Faust in bezug auf das Jenseits sagen, – aber wie dieser die Einschränkung machen müssen: »Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen…« Auch die im altchinesischen Sinne gebildetsten hohen Beamten zögerten selten, ein beliebiges stupides Mirakel andächtig zu verehren. Eine Spannung gegen die »Welt« war nie entstanden, weil eine ethische Prophetie eines überweltlichen, ethische Forderungen stellenden Gottes, soweit die Erinnerung zurückreicht, völlig gefehlt hat. Daß die »Geister« sie stellten – Vertragstreue vor allem forderten – war kein Ersatz dafür. Denn stets betraf das die unter ihren Schutz gestellte Einzel pflicht, – Eid oder was es war, – nie die innere Gestaltung der Persönlichkeit als solcher und ihrer Lebensführung. Die führende Intellektuellenschicht: Beamte und Amtsanwärter, hatten die Erhaltung der magischen Tradition und speziell der animistischen Ahnenpietät als ein absolutes Erfordernis der ungestörten Erhaltung der bureaukratischen Autoritäten konsequent gestützt und alle Erschütterungen durch Erlösungsreligiosität unterdrückt. Die – neben der taoistischen Divination und Sakramentsgnade – einzige, als pazifistisch und daher ungefährlich zugelassene Erlösungsreligion: die des buddhistischen Mönchtums, wirkte in China praktisch durch Bereicherung der seelischen Spannweite um einige Nuancen stimmungsvoller Innerlichkeit – wie wir sehen werden –, im übrigen aber nur als weitere Quelle magischer Sakramentsgnade und traditionsstärken- der Zeremonien.

      Damit ist auch schon gesagt, daß die Bedeutung einer solchen Intellektuellenethik für die breiten Massen ihre Schranken haben mußte. Zunächst waren die lokalen und vor allem die sozialen Unterschiede der Bildung selbst enorme. Die traditionalistische und bis in die Neuzeit stark naturalwirtschaftliche Bedarfsdeckung, aufrechterhalten bei den ärmeren Volkskreisen durch eine nirgends in der Welt erreichte, an das Unglaubwürdige grenzende Virtuosität im Sparen (im konsumtiven Sinne des Worts), war nur möglich bei einer Lebenshaltung, welche jede innerliche Beziehung zu den Gentlemanidealen des Konfuzianismus ausschloß. Nur die Gesten und Formen des äußeren Sichverhaltens der Herrenschicht konnten hier, wie überall, Gegenstand allgemeiner Rezeption sein. Der entscheidende Einfluß der Bildungsschicht auf die Lebensführung der Massen hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem durch einige negative Wirkungen vollzogen:

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