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und asketischer Elemente, immerhin mit einem in China wohl sonst niemals so stark hervortretenden Einschlag der letzteren, vor allem aber mit einer in China sonst unbekannten Sprengung der magischen und idolatrischen Gebundenheit und mit Uebernehmen des persönlichen gnädigen, universellen, von nationalen Schranken freien Weltgottes, welcher aller chinesischen Religiosität sonst ganz fremd geblieben war. Welche Bahnen der Entwicklung sie im Fall des Sieges weiter eingeschlagen hätte, läßt sich freilich schwerlich sagen. Die unvermeidliche Beibehaltung der Opfer an den Ahnengräbern – ähnlich wie sie auch die jesuitischen Missionen bis zum Einschreiten der Kurie auf die Denunziation der konkurrierenden Orden hinzugelassen hatten – und die Ansätze zur Betonung werkheiliger »Korrektheit« hätten wahrscheinlich in ritualistische Bahnen zurückgeführt und die zunehmende zeremonielle Regelung aller staatlichen Ordnung[398] hätte wohl auch das Prinzip der Anstaltsgnade wieder zurückgebracht. Immerhin bedeutete die Bewegung in wichtigen Punkten einen Bruch mit der Orthodoxie und bot ungleich mehr Aussicht, eine bodenständige und doch dem Christentum innerlich relativ angenäherte Religion entstehen zu lassen, als die hoffnungslosen Missionsexperimente der okzidentalen Konfessionen. Es könnte recht wohl der letzte Moment für das Entstehen einer solchen Art von Religion in China gewesen sein. –

      Der Begriff: »private Gesellschaft«, schon vorher politisch stark verdächtig, war seitdem vollends mit »Hochverrat« weitgehend identisch. Dem zähen Ringen dieses »schweigenden China« stand, zum mindesten in den Städten – weniger, aus verständlichen Gründen, auf dem Lande – die erbarmungslose Verfolgung der Bureaukratie – äußerlich erfolgreich gegenüber. Der ruhige, korrekt lebende Mann hielt sich von derartigem ängstlich fern. Das hat jenen Zug des »Personalismus« noch verstärkt, von dem früher die Rede war. –

      Es ist der konfuzianischen Literatenbureaukratie also weitgehend gelungen, durch Gewalt und durch Appell an den Geisterglauben die Sektenbildung auf ein gelegentliches Aufflammen zu beschränken. Ueberdies aber waren die sämtlichen Sekten, von deren Eigenart nähere Nachrichten vorliegen, absolut heterogen gegenüber den Sektenbewegungen, mit welchen der okzidentale Katholizismus oder der Anglikanismus zu schaffen hatte. Es handelte sich stets um Inkarnationsprophetie oder um Propheten des mystagogischen Typus, welche – oft durch Generationen erblich im Besitz dieser Würde – im Verborgenen lebten, ihren Anhängern im Diesseits und (teilweise) Jenseits Vorteile versprachen, deren Heilsbedingungen aber ausschließlich magisch-sakramentalen oder ritualistischen oder allenfalls kontemplativ-ekstatischen Charakter hatten: rituelle Reinheit, die andächtige Wiederholung stets der gleichen Formeln oder bestimmte kontemplative Uebungen waren die regelmäßig wiederkehrenden soteriologischen Mittel. Nie aber, soviel bekannt, rationale Askese[399]. Die genuin heterodox-taoistische Demut: Ablehnung aller feudalen Ostentation, hatte wesentlich kontemplative Motive, wie wir sahen. Ebenso zweifellos die Enthaltung von gewissen Arten des Luxuskonsums (Parfüms, kostbarem Schmuck), welche z.B. die Lung-Hua-Sekte ihren Gläubigen außer den üblichen buddhistischen Sektenregeln auferlegte. Auch da fehlte die Askese, wo die Sekten gewaltsame Bekämpfung ihrer Bedrücker in Aussicht nahmen und deshalb, wie eine in neuerer Zeit bekannt gewordene, das Boxen systematisch übten[400]. Die »League of righteous energy«, wie die englische Uebersetzung des wirklichen Namens der »Boxer« lautete, erstrebte Unverwundbarkeit durch magisches Training[401]. Denn sie alle waren Derivate und eklektische Verschmelzungen heterodox-taoistischer mit buddhistischer Soteriologie, der sie keinerlei prinzipiell neue Elemente hinzugefügt hatten. Es scheint nicht, daß die Sekten klassenmäßig geschichtet waren. Natürlich war das Mandarinentum am strengsten orthodox konfuzianisch. Aber heterodoxe Taoisten und namentlich Anhänger der wesentlich einen gebetsformelhaften Hauskult pflegenden Lung-Hua-Sekte scheinen gerade unter den besitzenden Klassen, aus denen die Mandarinen doch ebenfalls meist hervorgingen, ziemlich verbreitet gewesen zu sein.

      Im übrigen stellten offenbar die Frauen hier, wie in jeder soteriologischen Religiosität, ein starkes Kontingent. Ganz begreiflicherweise, weil ihre religiöse Wertung durch die (heterodoxen und daher unpolitischen) Sekten hier ebenso, wie im Okzident, meist erheblich über dem Niveau ihrer Schätzung im Konfuzianismus stand.

      Im Alltagsleben der Massen spielten die vom Taoismus und Buddhismus entnommenen oder beeinflußten Elemente offenbar eine recht bedeutende Rolle. Es wurde einleitend allgemein dargelegt, daß die Heilands- und Erlösungsreligiosität überall ihre dauernde Stelle vornehmlich in den »bürgerlichen« Klassen finden, wo sie an Stelle der Magie zu treten pflegen, welche zunächst die einzige für Not und Leid des einzelnen als solchen zur Verfügung stehende Zuflucht bildet, und daß aus der individuellen Heilssuche beim Magier die rein religiösen Gemeinden der Mystagogen herauszuwachsen pflegen. In China, wo der Staatskult ebenfalls von der Not des einzelnen keine Notiz nahm, ist die Magie niemals durch eine große Erlösungsprophetie oder einheimische Heilandsreli giosität verdrängt worden. Nur eine teils den hellenischen Mysterien, teils der hellenischen Orphik ungefähr entsprechende Unterschicht von Erlösungsreligiosität war entstanden. Sie war zwar stärker als dort, aber rein magischen Charakters geblieben. Der Taoismus war nur Organisation der Magier, der Buddhismus in der Form, wie er importiert wurde, nicht mehr die Erlösungsreligiosität der frühbuddhistischen Zeit Indiens, sondern magische und mystagogische Praxis einer Mönchsorganisation. In beiden Fällen fehlte also, wenigstens für die Laien, das soziologisch Entscheidende: eine religiöse Gemeinde bildung. Diese volkstümlichen, in Magie stecken gebliebenen Erlösungsreligiositäten waren daher in aller Regel gänzlich unsozial. Der einzelne als einzelner wendete sich an den taoistischen Magier oder den buddhistischen Bonzen. Nur die buddhistischen Feste bildeten eine Gelegenheitsgemeinschaft und nur die heterodoxen, oft politische Ziele verfolgenden, aber eben deshalb auch politisch verfolgten Sekten Dauergemeinschaften. Es fehlte nicht nur alles, was unserer Seelsorge entspricht, sondern vor allem auch jede Spur von einer »Kirchendisziplin« und also auch jedes Mittel einer religiösen Lebensreglementierung. Statt dessen hat er, wie etwa in den Mithras-Mysterien, Stufen und Grade der Heiligung und des hieratischen Ranges. –

      Diese, soziologisch angesehen, verkümmerten Ansätze von Erlösungsreligiosität sind dennoch, sittengeschichtlich betrachtet von erheblicher Wirkung gewesen. So gut wie alles, was das chinesische Volksleben an religiöser Predigt und individueller Heilssuche, Vergeltungs- und Jenseitsglauben, religiöser Ethik und andächtiger Innigkeit überhaupt aufwies, hat trotz der Verfolgungen, denen er ausgesetzt war, der Buddhismus importiert, wie ja ganz das gleiche auch für Japan gilt. Um freilich überhaupt zu einer »Volksreligion« werden zu können, mußte diese mönchische Intellektuellensoteriologie Indiens die denkbar tiefstgehenden inneren Wandlungen durchmachen. Wir werden sie also zunächst auf ihrem Heimatboden betrachten müssen. Dann wird erst ganz verständlich werden, warum von dieser Mönchskontemplation her Brücken zum rationalen Alltagshandeln nicht geschlagen werden konnten und auch, warum die Rolle, die ihr in China zugestanden wurde, trotz der scheinbaren Analogie so stark von derjenigen abweicht, welche das Christentum in der Spätantike auf sich zu nehmen vermochte.

      VIII. Resultat: Konfuzianismus und Puritanismus.

      Wir stellen das Gesagte vielleicht am zweckmäßigsten derart in den Zusammenhang unserer Gesichtspunkte, daß wir uns das Verhältnis des konfuzianischen Rationalismus – denn dieser Name gebührt ihm – zu dem uns geographisch und historisch nächstliegenden: dem Rationalismus des Protestantismus, verdeutlichen. Für die Stufe der Rationalisierung, welche eine Religion repräsentiert, gibt es vor allem zwei, übrigens miteinander in vielfacher innerer Beziehung stehende Maßstäbe. Einmal der Grad, in welchem sie die Magie abgestreift hat. Dann der Grad systematischer Einheitlichkeit, in welche das Verhältnis von Gott und Welt und demgemäß die eigene ethische Beziehung zur Welt von ihr gebracht worden ist.

      In der ersten Hinsicht stellt der asketische Protestantismus in seinen verschiedenen Ausprägungen eine letzte Stufe dar. Seine am meisten charakteristischen Ausprägungen haben der Magie am vollständigsten den Garaus gemacht. Auch in der sublimierten Form der Sakramente und Symbole wurde sie prinzipiell ausgerottet, so sehr, daß der strenge Puritaner selbst die Leichen seiner Lieben formlos verscharren ließ, um nur jeder »Superstition«, und das hieß hier:

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<p>398</p>

Das Zelt des Tien Wang hieß »der kleine Himmel«. Die Ablehnung der Heiligkeitsprädikate durch ihn wäre von etwaigen Nachfolgern wohl sicher nicht beachtet worden. Die Zeremonialvorschriften ein schließlich der Rangtitulaturen (darunter z.B. für weibliche hohe Beamte der Titel »Eure Keuschheit«!) tragen ganz chinesischen Charakter an sich.

<p>399</p>

Wenn man nicht die Festtage, Meidung von Schmuck usw. dahin rechnen will die aber Einzel postulate blieben.

<p>400</p>

Diese Sekte (I huo kuen) war schon im Anfang des 19. Jahrhunderts aufgetreten (de Groot, Sectarianism p. 425).

<p>401</p>

Die Sekte glaubte auch an diese Unverwundbarkeit. Im übrigen reicht das mir zugängliche gesichtete Material zu einer Darstellung nicht aus. Sie wurden nur als Orden, eine »ecclesia militans« gegen die fremden Barbaren konstituiert. Ueber sie die früher zitierte Denkschrift an die Kaiserin Tsu Hsi, die, ebenso wie die Prinzen, an ihr magisches Charisma geglaubt hatte. Ebenso wie sie – Peking Gazette vom 13. 6. 78 – an die magischen Qualitäten der Krupp-Kanonen glaubten. Angesichts dieser chinesischen Dokumente wird man in diesem Fall den Zweifel de Groots (Sectarianism p. 430 Anm. a. E.), daß Häretiker wie die »Boxer« von einer »konfuzianischen« Regierung protegiert worden seien, nicht wohl teilen dürfen.