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target="_blank" rel="nofollow" href="#n_378" type="note">[378] und des chinesischen, eigentümlich verkümmerten und so stark, wie sonst nirgends in der Welt, seines genuinen Charakters entkleideten Judentums, sollen uns hier nicht weiter interessieren. Die islamischen Herren im fernen Westen des Reiches wurden charakteristischerweise in manchen Edikten in der Funktion erwähnt: daß Verbrecher als Sklaven in ihren Besitz verkauft werden sollten.

      Die hier nicht weiter zu erörternde Verfolgung der »europäischen Verehrung des Herrn vom Himmel« – wie der amtliche Name des Christentums lautete – bedarf keiner weiteren Motivierung. Auch bei größerem Takt der Missionare wäre sie unvermeidlich eingetreten. Nur kriegerische Gewalt hat hier zu vertragsmäßiger Duldung geführt, sobald einmal die christliche Propaganda in ihrem Sinne erkannt worden war. Die alten Religionsedikte motivierten dem Volk die Duldung der Jesuiten ausdrücklich mit ihren astronomischen Diensten.

      Die Zahl der Sekten (56 Nummern zählt de Groots Liste) war nicht gering und ihre Anhängerschaft groß, insbesondere in Honan, aber auch in andern Provinzen, ständisch besonders oft unter der Dienerschaft der Mandarinen und der Reistributflotte. Der Umstand, daß der orthodoxe (tsching) Konfuzianismus jede Heterodoxie (i tuan) als Versuch der Rebellion behandelte – wie ein Kirchenstaat eben verfährt – hat die meisten von ihnen recht oft dazu getrieben, zur Gewalt zu greifen. Recht viele sind über ein halbes Jahrtausend alt, manche noch älter, trotz aller Verfolgungen.

      Daß nicht etwa eine unüberwindliche »natürliche Anlage« es war, welche die Chinesen gehindert hat, Religionsformen von der Eigenart des Okzidents zu produzieren, bewies gerade in der neuesten Zeit der imponierende Erfolg der magiefeindlichen und bilderstürmerischen Prophetie Hang-siu-tschuan's, des Tien Wang (»Himmlischen Königs«) des Taiping[379]-tien-kwo (»Himmlischen Reichs des allgemeinen Friedens«, 1850-64), der weitaus mächtigsten und dabei durchaus hierokratischen politisch-ethischen Rebellion gegen die konfuzianische Verwaltung und Ethik, welche, soviel bekannt, China überhaupt erlebt hat[380]. Der angeblich[381] einer verbauerten adligen Sippe angehörige Stifter, ein schwer epileptischer[382] Ekstatiker, war, wie die byzantinischen Bilderstürmer vom Islam, so seinerseits zu seiner radikal allen Geisterglauben und alle Magie und Idolatrie puritanisch verwerfenden, halb mystisch-ekstatischen, halb asketischen Ethik vielleicht mit durch Einfluß protestantischer Missionen und der Bibel angeregt, in seiner Bildung jedoch konfuzianisch geschult (im Staatsexamen durchgefallen) taoistisch beeinflußt. Zu den kanonischen Büchern der von ihm mit Unterstützung seiner Sippe gestifteten Sekte gehörte die Genesis und das Neue Testament, zu ihren Gebräuchen und Symbolen ein der Taufe nachgeahmtes Wasserbad und statt des Abendmahls – infolge der Alkoholabstinenz – eine Art von Thee-Eucharistie, das modifizierte Vaterunser und der ebenfalls charakteristisch modifizierte Dekalog; daneben aber zitierte er das Schi King und andere klassische Werke in etwas krauser Auswahl der für seine Zwecke geeigneten Stellen, dabei natürlich, wie alle Reformer, vor allem zurückgreifend auf Aussprüche und Ordnungen des Kaiser des legendären Urzeitalters.

      Der Gottvater des Christentums[383], daneben Jesus[384] als ihm nicht wesensgleich, aber »heilig«, endlich der Prophet als dessen »jüngerer Bruder«, auf dem der heilige Geist ruht[385], tiefer Abscheu gegen die Heiligen- und Bilderverehrung, ganz besonders auch gegen den Muttergotteskult, Gebete zu festen Stunden, Sabbatruhe Samstags mit zweimaligem Gottesdienst, bestehend aus Bibellesen, Litanei, Predigt, Vorlesen des Dekalogs, Hymnen, Weihnachtsfest, geistliche Schließung der (unlöslichen) Ehe, Zulässigkeit der Polygamie, Verbot der Prostitution bei Todesstrafe und strenge Absonderung der unverehelichten Weiber von den Männern, strenge Abstinenz von Alkohol, Opium, Tabak, Abschaffung des Zopfes und der weiblichen Fußverstümmelung, Opferspenden am Grabe der Toten[386], – diese eigentümliche, an den Eklektizismus Muhammeds erinnernde Mischung christlicher mit konfuzianischen Formen war das Resultat. Wie der orthodoxe Kaiser, so war auch der Tien Wang oberster pontifex, die fünf höchsten Res sortbeamten nächst ihm führten den Titel »König« (des Westens, Ostens, Südens, Nordens und ein fünfter als Assistent), die drei Examensgrade fanden sich, unter Abschaffung des Aemterkaufs, auch im Taiping-Reich, alle Beamten wurden auch dort vom Kaiser ernannt, und auch die Magazinpolitik und die Zwangsrobot war der alten orthodoxen Praxis entnommen, während andererseits in manchen Punkten, so in der strengen Trennung der »äußeren« und »inneren« (wirtschaftlichen, unter Heranziehung weiblicher Leiter geführten) Verwaltung und in der verhältnismäßig »liberalen« Verkehrs-, Straßenbau- und Handelspolitik wichtige Unterschiede bestanden. Der prinzipielle Gegensatz war wohl der gleiche wie zwischen Cromwells Regiment der Heiligen – mit einigen an den alten Islam und an das Täuferregiment in Münster erinnernden Zügen – und dem Laudschen cäsaropapistischen Staat. Der Staat war der Theorie nach das Gemeinwesen eines asketischen kriegerischen Ordens: militärischer Beutekommunismus typischer Form und ein Liebesakosmismus altchristlicher Art in Mischung miteinander, unter Zurückdrängung der nationalistischen Instinkte zugunsten der internationalen religiösen Verbrüderung. Der Beamte sollte nach religiösem Charisma und sittlicher Bewährung ausgelesen werden, die Verwaltungsbezirke waren einerseits Militärrekrutierungs- und Verproviantierungsbezirke, andererseits Kirchensprengel mit Bethallen, Staatsschulen, Bibliotheken und vom Tien Wang ernannten Geistlichen. Die militärische Disziplin war puritanisch streng wie die Lebensordnung mit ihrer Konfiskation aller Edelmetalle und Kostbarkeiten für die Gemeinschaftskosten[387]. Auch geeignete Frauen wurden in das Heer eingereiht, Renten aus der Gemeinschaftskasse den für Verwaltungszwecke in Anspruch genommenen Familien gezahlt[388]. In der Ethik ist der konfuzianische Schicksalsglaube mit der ins Neutestamentliche transponierten Berufstugend[389] in Verbindung gebracht. Ethische »Korrektheit« – statt der zeremoniellen Korrektheit des Konfuzianers – ist »das was den Menschen vom Tier unterscheidet«[390] und auch beim Fürsten kommt auf sie alles an[391]. Im übrigen die konfuzianische »Reziprozität«, nur daß man nicht sagen soll: man wolle den Feind nicht lieben. Mit dieser Ethik ist »das Glück zu erlangen leicht«, obwohl – im Gegensatz zum Konfuzianismus – die Natur des Menschen als von sich aus unfähig gilt, alle Gebote wirklich zu erfüllen[392]: Reue und Gebet sind Mittel der Sündenvergebung. Die militärische Tapferkeit galt als wichtigste und Gott wohlgefälligste Tugend[393]. Im Gegensatz zu der freundlichen Stellung zum Judentum und protestantischen Christentum wird die taoistische Magie und die buddhistische Idolatrie ebenso scharf verworfen wie der orthodoxe Geisterkult. Während protestantische Missionare des Dissent und der Low Church wiederholt in Taiping-Bethallen Gottesdienste gehalten haben, bestand die Feindschaft der Jesuiten – wegen der Bilderfeindschaft und der scharfen Verwerfung des Muttergotteskults – und der englischen High Church von Anfang an. Die Taiping-Heere waren, kraft der religiös bedingten Disziplin des Glaubenskampfes, den Heeren der orthodoxen Regierung ebenso überlegen wie die Cromwellsche Armee der königlichen. Die Regierung Lord Palmerstons fand es aber aus politischen und merkantilen[394] Gründen zweckmäßig, diesen Kirchenstaat nicht aufkommen und jedenfalls den Vertragshafen Schanghai nicht in seine Hand fallen zu lassen[395]. Mit Hilfe Gordons und der Flotte wurde die Taiping-Macht gebrochen und der Tien Wang, der sich jahrelang in visionären Ekstasen und einer Haremsexistenz[396] im Palast abgeschlossen hatte, endete, nach vierzehnjährigem Bestand des Reichs, sein Leben und das seines Harems in Selbstverbrennung in seiner Residenz Nanking. Noch ein Jahrzehnt später[397]wurden »Rebellen«-Führer gefangen; die Menschenverluste, die finanzielle Schwächung und Verwüstung der beteiligten Provinzen sind noch weit länger nicht

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<p>379</p>

Der Name ist alt. Wir erinnern uns, daß der Taoistische Kirchenstaat sich ebenso nannte.

<p>380</p>

Die offiziellen Dokumente des Taiping-Kaisers, vor allem das »Buch der Auslegung des göttlichen Willens«, die »kaiserliche Erklärung des Tai-Ping«, das »Buch der religiösen Vorschriften«, das »Buch der himmlischen Dekrete«, der sog. »Trimetrische Kanon«, die mandschufeindliche Proklamation von 1852, die Zeremonial- und Militärorganisationsstatuten und der neue Kalender sind, nachdem das englische Kriegsschiff »Hermes« sie nach Schanghai gebracht hatte, zuerst von dem Missionar Medhurst in Schanghai mit entsprechend naivem Kommentar in einer Missionszeitschrift publiziert (als Sonderausgabe erschienen unter dem Titel Pamphlets in and by the Chinese Insurgents of Nanking, Schanghai 1853). Die große Rebellion ist oft, insbesondere in fast allen Werken über China, dargestellt, deutsch (gemeinverständlich) von C. Spillmann (Halle 1900). Mißlich ist, daß der beste Kenner der chinesischen Sektengeschichte, de Groot (a.a.O.) es verschmäht hat, auf die Art der Taiping-Rebellion näher einzugehen und die christlichen Einschläge – da sie in den von ihm vorsichtigerweise allein herangezogenen offiziellen Regierungsdokumenten (der Mandschu) nicht sicher verständlich sind, dahingestellt läßt, die Missionarliteratur aber abschätzig beurteilt. Die Darstellung bescheidet sich daher mit nur hypothetischem Wert.

<p>381</p>

Nachkontrolle der vielbestrittenen Tatachen ist mir nicht möglich.

<p>382</p>

Darauf beruht im wesentlichen das Versagen im militärisch entscheidenden Moment, ohne welches fast ohne Zweifel – nach Abschneidung der Zufuhr durch Besetzung des Kaiserkanals und Eroberung Nankings und des ganzen Yangtse-Beckens – das Schicksal der wiederholt und nahezu vernichtend geschlagenen Pekinger Regierung besiegelt und ein völlig anderer Verlauf der ostasiatischen Geschichte wenigstens nicht ausgeschlossen gewesen wäre.

<p>383</p>

Für Gott findet sich in den offiziellen Dokumenten einmal der Name Jehovah, sonst (nach Zählung der Missionare) am häufigsten (42%) der Name des volkstümlichen Himmelsgottes, nur halb so oft (21%) der konfuzianische Name des Himmelsgeistes, etwas häufiger wiederum der (personalistische) Ausdruck Thin fuoder Thin (33%), weit seltener (4%) Schin (was meist »Geist« bedeutet).

<p>384</p>

Jesus ist verehelicht gedacht, wie der Tien Wang es war. Der Prophet hat in der Vision seine Frau gesehen.

<p>385</p>

Dagegen lehnte er sowohl das Prädikat der »Heiligkeit« wie die Bezeichnung »Vater« für sich ab.

<p>386</p>

Dies besonders war den Missionaren anstößig und stellte in der Tat, obwohl offiziell jede Deutung als eines Opfers an oder für die Ahnengeister abgelehnt wurde: – das Opfer war ein Opfer an Gott und, wie eine christliche Totenmesse, für die Seelen der Ahnengeister –, eine recht wichtige Konzession an die Tradition dar.

<p>387</p>

Book of Celestial Decrees a.a.O. »When you have money, you must make it public and not consider it as belonging to one or another.« (Ebenso Kostbarkeiten.)

<p>388</p>

Ueber die Einzelheiten bestehen in den zugänglichen Berichten starke Widersprüche; namentlich der faktische Umfang des Staatssozialismus bleibt dunkel. Er ist natürlich in starkem Maß als Kriegs wirtschaft zu deuten. Ebenso ist große Vorsicht in der Annahme der von de Groot vielleicht zu schroff abgelehnten) Angaben der englischen Missionare geboten, die hier notgedrungen benutzt wurden. Denn ihr Eifer sah wohl mehr »Christliches« als da war.

<p>389</p>

Weil, auch im Geschäftsleben, der Erfolg nicht vom Menschen, sondern vom Schicksal abhängt, soll man dem Gebot der Erfüllung der Berufspflicht ohne Schielen nach dem Erfolg folgen: »follow your proper avocations and make yourselves easy about the rest (in der Imperial Declaration of the Thae-Ping« a.a.O., unter Berufung auf Konfuzius).

<p>390</p>

A.a.O.

<p>391</p>

»Intrade principally regard rectitude.« »In learning be careful to live by rule« (a.a.O.).

<p>392</p>

Das Book of religious precepts (a.a.O.) beginnt mit dem Bekenntnis, daß niemand in der Welt gelebt habe, ohne gegen die »Befehle des Himmels« zu sündigen.

<p>393</p>

Trimetrical Canon a.a.O.

<p>394</p>

Seidenzucht und Seidenexport gingen jedoch erst im letzten Kriegsjahr zurück. Vorher stiegen sie ansehnlich.

<p>395</p>

Erst im letzten Augenblick gab, infolge heftiger Angriffe im Parlament, Palmerston Order, die »Mandschu« nicht weiter zu unterstützen, – um auch sie nicht aus der Verlegenheit kommen zu lassen.

<p>396</p>

Polygamie des Tien Wang selbst und der Offiziere bestand im chinesischen Sinn (Konkubinat).

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Peking Gazette vom 2. 10. 1874.