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zu viel trauerten (also durch Amtsablehnung der Verwaltung Schwierigkeit machten) sind Zeugnisse davon. Aber ein Konflikt der Interessen des eigenen Seelenheils mit den Anforderungen der natürlichen sozialen Ordnungen nach christlicher Art war undenkbar. Ein Gegensatz von »Gott« oder »Natur« gegen »positives Recht« oder »Konvention« oder irgendwelche andere verpflichtende Mächte, und deshalb auch irgendein religiöses oder rationales, mit einer Welt der Sünde oder des Unsinns in Spannung oder Kompromiß lebendes, religiös unterbautes Naturrecht fehlte, außer aus den schon erwähnten, auch aus diesem Grunde selbst in den leisesten Ansätzen, wie jeder Blick auf die Fälle, in welchen die Klassiker gelegentlich von »natürlich« reden, sofort zeigt. Denn dann ist immer der Kosmos der mit sich harmonischen Natur- und Gesellschaftsordnung gemeint. Gewiß erreicht fast kein Mensch die Stufe der unbedingten Vollendung. Aber jeder Mensch ist vollkommen zulänglich, sich innerhalb der sozialen Ordnungen, die ihn daran nicht im mindesten hindern, eine für ihn ausreichende Stufe der Vollkommenheit zu erwerben, indem er die offiziellen sozialen Tugenden: Menschenfreundlichkeit, Rechtlichkeit, Aufrichtigkeit, rituelle Pietät und Wissen, ausübt, je nachdem mehr in aktiver (konfuzianischer) oder mehr in kontemplativer (taoistischer) Färbung. Wenn die soziale Ordnung trotz Erfüllung jener Pflichten nicht zum Heil und zur Zufriedenheit aller führt, dann ist – sahen wir schon wiederholt – der charismatisch ungenügend qualifizierte Herrscher persönlich daran schuld. Darum gibt es im Konfuzianismus keinen seligen Urstand, sondern, wenigstens nach der klassischen Lehre, als Vorstufe der Kultur nur bildungslose Barbarei (für die man ja in den stets mit Einbruch drohenden wilden Gebirgsstämmen das Beispiel nahe hatte). Auf die Frage, wie man die Besserung der Menschen am schnellsten erreiche, antwortet der Meister im Lapidarstil: man möge sie zuerst bereichern und dann erziehen. Und in der Tat entsprach dem englischen formelhaften »How do you do«? – charakteristisch das ebenso formelhafte »Hast du Reis gegessen«? des Chinesen als Begrüßungsformel. Da Armut und Dummheit die einzigen beiden sozusagen »erbsündlichen« Qualitäten, Erziehung und Wirtschaft aber in der Prägung der Menschen allmächtig waren, so mußte der Konfuzianismus die Möglichkeit eines goldenen Zeitalters nicht in einem unschuldsvollen primitiven Naturstand, sondern vielmehr in einem optimalen Kulturstand erblicken.

      Nun wird uns in einer merkwürdigen Stelle der klassischen Schriften einmal ein Zustand geschildert, in welchem die Herrscherwürde nicht erblich, sondern durch Wahl besetzt ist, die Eltern nicht nur die eigenen Kinder als ihre Kinder lieben und umgekehrt, Kinder, Witwen, Alte, Kinderlose, Kranke aus gemeinsamen Mitteln erhalten werden, die Männer ihre Arbeit und die Frauen ihr Heimwesen haben, Güter zwar gespart, aber nicht zu Privatzwecken akkumuliert werden, die Arbeit nicht dem eigenen Vorteile dient, Diebe und Rebellen nicht existieren, alle Türen offen stehen und der Staat kein Machtstaat ist. Dies ist der »große Weg« und sein Resultat die »große Gleichartigkeit« – wogegen die durch Selbstsucht erzeugte empirische Zwangsordnung mit individuellem Erbrecht, Einzelfamilie, kriegerischem Machtstaat und der exklusiven Herrschaft der individuellen Interessen in charakteristischer Terminologie die »kleine Ruhe« genannt wird. Die Schilderung jener anarchistischen Idealgesellschaft fällt derart aus dem Rahmen der empirischen konfuzianischen Gesellschaftslehre heraus und ist speziell mit der Kindespietät als der Grundlage aller konfuzianischen Ethik so unvereinbar, daß die Orthodoxie sie teils auf Textverderbnis zurückführte, teils »tao-istische« Heterodoxie darin witterte (wie übrigens auch Legge tut), während begreiflicherweise jetzt die moderne Schule Kang-yu-wei's gerade diesen Ausspruch als Beweis für die konfuzianische Legitimität des sozialistischen Zukunftsideales zu zitieren pflegt. Tatsächlich dürfte auch diese Stelle ebenso wie manche andere im Li-ki der Ausdruck für die von de Groot besonders klar vertretene Ansicht sein: daß viele später und jetzt als heterodox oder doch unklassisch und sogar als eine besondere Religion angesehene Lehren sich ursprünglich zur Orthodoxie etwa so verhielten, wie christliche Mystik zur katholischen Kirche und sufistische Mystik zum Islam. Wie jede kirchliche Anstaltsgnade mit der individuellen Heilssuche des Mystikers stets nur künstlich in ein Kompromiß gebracht werden konnte, obwohl andererseits die kirchliche Anstalt selbst die Mystik als solche nicht grundsätzlich verwerfen durfte, so geriet hier die letzte Konsequenz des konfuzianischen Optimismus: die Hoffnung auf Erreichung rein irdischer Vollkommenheit ganz aus eigener ethischer Kraft der Individuen und durch die Macht geordneter Verwaltung, mit der ebenfalls grundlegenden konfuzianischen Anschauung in Spannung: daß die materielle und ethische Wohlfahrt des Volkes und aller einzelnen letztlich bedingt sei nur durch die charismatischen Qualitäten des vom Himmel legitimierten Herrschers und die staatliche Anstaltsfürsorge seiner Beamten. Aber eben diese Lehre führte den Taoismus zu seinen Konsequenzen. Die als heterodox geltende Lehre vom Nichtstun der Regierung als der Quelle alles Heils war ja nur die letzte Konsequenz des ins Mystische umschlagenden orthodox konfuzianischen Optimismus. Nur ihr akosmistisches Vertrauen auf die eigene Qualifikation und die Entwertung der Anstaltsgnade, welche daraus folgte, ließ dabei sofort die Gefahr einer Häresie entstehen. Die Ueberbietung der innerweltlichen Laiensittlichkeit durch das Aufsuchen besonderer Heilswege war eben hier, wie überall, das prinzipiell der Anstaltsgnade Bedenkliche, – ganz wie im kirchlichen nicht asketischen Protestantismus. Denn an sich war ja Tao: der »Weg« zur Tugend selbstverständlich, wie wir sahen, auch ein zentraler orthodox konfuzianischer Begriff. Und ebensogut, wie die mehr oder minder konsequenten, den Eingriff des Staates nur im Falle von allzu bedenklichen Exzessen der Reichtumsdifferenzierung vorbehaltenden, oben erwähnten Laissezfaire-Theorien einiger Konfuzianer, konnte sich natürlich die Mystik auf die Bedeutung der gottgewirkten, natürlichen, kosmischen und sozialen »Harmonie« berufen, um das Prinzip des Nichtregierens daraus abzuleiten. Ebenso schwierig und zweifelhaft, wie die Feststellung, ob vom Standpunkt der mittelalterlichen Kirche ein Mystiker noch orthodox sei, war daher für den Konfuzianismus die entsprechende Feststellung für diese Lehren. Es ist also sehr verständlich, wenn de Groot die übliche Behandlung des Taoismus als einer eigentlichen Sonderreligion neben dem Konfuzianismus überhaupt ablehnt, obwohl die Religionsedikte der Kaiser selbst mehrfach und ausdrücklich neben dem Buddhismus den Taoismus als einen nur geduldeten unklassischen Glauben nennen. Der Soziologe hat sich im Gegensatz dazu an die Tatsache der hierokratischen Sonder organisation zu halten.

      Letztlich waren, material, die Scheidungen orthodoxer und heterodoxer Lehren und Praktiken ebenso wie alle entscheidenden Eigentümlichkeiten des Konfuzianismus durch seinen Charakter als einer ständischen Ethik der literarisch geschulten Bureaukratie einerseits, andererseits aber durch die Festhaltung der Pietät und speziell der Ahnenverehrung als der politisch unentbehrlichen Grundlage des Patrimonialismus bedingt. Nur wo diese Interessen bedroht schienen, reagierte der Selbsterhaltungsinstinkt der maßgebenden Schicht mit dem Stigma der Heterodoxie[371].

      In der grundlegenden Bedeutung des Ahnenkultes und der innerweltlichen Pietät als der Grundlage der patrimonialen Untertanengesinnung lag nun auch die wichtigste absolute Schranke der praktischen Toleranz des konfuzianischen Staates[372]. Diese zeigte einerseits Verwandtschaft, andererseits auch charakteristische Unterschiede zu dem Verhalten der okzidentalen Antike. Der Staatskult kannte nur die offiziellen großen Geister. Aber auch die taoistischen und buddhistischen Heiligtümer begrüßte der Kaiser gegebenenfalls, nur daß er nicht, wie z.B. selbst vor dem heiligen Konfuzius, den Kotau machte, sondern sich mit einer höflichen Verbeugung begnügte. Geomantische Dienste werden staatlich entlohnt[373]. Das Fung-schui war offiziell anerkannt[374]. Gelegentlich finden sich Unterdrückungen von Exorzisten aus Tibet, – welche die Alten »Wu« nannten, fügt das Dekret hinzu[375], – aber sicher aus rein ordnungspolizeilichen Gründen. Am Kult des taoistischen Stadtgottes nahm der Stadtmandarin offiziell teil und die Kanonisierungen durch den taoistischen Patriarchen bedurften des kaiserlichen Plazet. Weder existierten garantierte Ansprüche auf »Gewissensfreiheit«, noch waren andererseits Verfolgungen wegen rein religiöser Ansichten die Regel, außer wo entweder magische Gründe (ähnlich den hellenischen Religionsprozessen) oder politische Gesichtspunkte sie forderten. Aber diese verlangten immerhin ziemlich Erhebliches. Die kaiserlichen Religionsedikte und selbst ein Schriftsteller wie Mencius machten die Verfolgung der Ketzerei zur Pflicht. Die Mittel und die Intensität, auch der Begriff und das Ausmaß

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<p>371</p>

Auch die Pietät freilich konnte zu Konsequenzen führen, welche die politische Gewalt ablehnen mußte. Im Gegensatz zu der merkantilistisch und ständisch motivierten Beschränkung der Luxusausgaben namentlich für Feierzwecke war und ist, entsprechend jener Bedeutung der Pietät als letzten ethischen Maßstabs, der für Trauerausgaben zugelassene Aufwand für unsere Vorstellung ganz ungeheuerlich.

<p>372</p>

Hierzu die temperamentvolle, zu Nr. I Anm. 1 zitierte Streitschrift von de Groot.

<p>373</p>

Peking Gazette vom 13. 1. 74.

<p>374</p>

Peking Gazette vom 13. 4. und 31. 3. 83.

<p>375</p>

Peking Gazette vom 2. 10. 74. S. ferner betr. einen Exorzismus an einem Irrsinnigen das. vom 20. 8. 78.