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oder charismatischer Unzulänglichkeit der Regierung – oder, nach taoistischer Lehre, von magisch relevanten Verfehlungen – sein sollten, angesichts der tatsächlichen Verteilung der Glücksgüter und der Unberechenbarkeit des Lebensschicksals doch oft auch mäßigen Ansprüchen nicht genügte. Das ewige Problem der Theodizee mußte auch hier entstehen. Und wenigstens dem Konfuzianer stand ein Jenseits oder eine Seelenwanderung nicht zur Verfügung. Infolgedessen findet sich in leisen Spuren innerhalb der klassischen Schriften die Andeutung einer Art von esoterischen Prädestinationsglaubens. Die Vorstellung hatte einen etwas zwiespältigen Sinn, ganz entsprechend dem Charakter der chinesischen Bureaukratie als einer dem Wesen nach dem Kriegsheldentum fernstehenden, ebenso aber auch ständisch von allem rein Bürgerlichen geschiedenen Literatenschicht. Die Konzeption einer Vorsehung fehlte dem Volksglauben, scheint es, gänzlich. Dagegen entwickelte er deutliche Ansätze eines astrologischen Glaubens an die Herrschaft der Gestirne über das Schicksal des einzelnen. Der Esoterik des Konfuzianismus – soweit man von einer solchen sprechen kann – scheint der Vorsehungsglaube nicht schlechthin fremd. Aber – namentlich bei Mencius zeigt sich das – die Vorsehung bezog sich im allgemeinen nicht auf das konkrete Schicksal des einzelnen Menschen, sondern nur auf die Harmonie und den Verlauf der Schicksale der sozialen Gesamtheit als solcher, ganz wie bei allen urwüchsigen Gemeinschaftskulten. Andererseits aber war auch die jedem rein menschlichen Heldentum – welches den Glauben an eine gütige Vorsehung überall stolz abgelehnt hat – spezifische Auffassung der Vorherbestimmung als eines irrationalen Verhängnisses im Sinne etwa der hellenischen »Moira«, einer unpersönlichen Schicksalsmacht also, welche die großen Peripetien im Leben des einzelnen bestimmt, im Konfuzianismus nicht wirklich durchgeführt. Sondern beides stand nebeneinander. Seine eigene Mission und was sie beeinflußte, sah Konfuzius offenbar als positiv providentiell geordnet an. Daneben findet sich nun der Glaube an die irrationale Moira. Und zwar in sehr charakteristischer Wendung. Nur der »höhere Mensch«, so heißt es, weiß überhaupt vom Schicksal. Und ohne Schicksalsglauben, wird hinzugefügt, kann man kein vornehmer Mensch sein. Der Glaube an eine Vorherbestimmung diente also hier, wie auch sonst, dazu, diejenige Art von stoischem Heldentum, welche dem literarischen Intellektualismus allein zugänglich ist: die »Bereitschaft«, etwa im Sinne Montaignes, zu unterbauen, um mit Gleichmut das Unabänderliche hinzunehmen und eben darin die Gesinnung des vornehm gebildeten Kavaliers zu bewähren. Der gemeine Mann jagt, schicksalsfremd oder in Angst vor dem Verhängnis, nach Glück und Gut, oder er steht – und dies schien, nach den Missionarberichten, praktisch die Regel zu sein – dem Schicksalswechsel, wenn auch nicht als einem Kismet, so doch als einem Fatum, resignierend gegenüber. Während der konfuzianische »höhere« Mensch, vom Verhängnis wissend und ihm innerlich gewachsen, in stolzem Gleichmut seiner Persönlichkeit und ihrer Pflege zu leben gelernt hat[368]. Man sieht: hier wie immer diente dieser, eine restlos rationale innerweltliche Theodizee wenigstens für den einzelnen ablehnende (daher von manchem Philosophen als die Ethik gefährdend verworfene und innerhalb des Konfuzianismus gegen den sonstigen Rationalismus des Systems in Spannung lebende) Glaube an die Irrationalität der Prädestination, der zu den andern uns schon bekannten irrationalen Bestandteilen des konfuzianischen Rationalismus hinzutritt, als Stütze der Vornehmheit. In einem charakteristisch anderen Sinne als der an einem persönlichen Gott und seiner Allmacht orientierte puritanische Prädestinationsglaube, der zwar gleichfalls die Güte der Vorsehung hart und klar ablehnte, aber dabei dennoch für sich nach dem Jenseits blickte. Das Jenseits aber kümmerte im Konfuzianismus den vornehmen so wenig wie den gemeinen Mann. Das einzige über den Tod hinausreichende Interesse des ersteren war die Ehre seines Namens, für die er den Tod zu leiden bereit sein mußte. Und in der Tat haben konfuzianische Herrscher und Generäle – wenn im hohen Spiel des Krieges und der Menschenschicksale der Himmel gegen sie war – mit Stolz zu sterben gewußt, besser als wir das an ihren christlichen Kollegen bei uns zu erleben hatten. Daß dieses spezifische Ehrgefühl Kennzeichen des vornehmen Mannes war, und daß es sich wesentlich an eigene Leistungen, nicht an Geburt knüpfte, war wohl das stärkste Motiv hochgespannter Lebensführung, welches der Konfuzianismus überhaupt kannte[369]. Auch darin war diese Lebensführung durchaus ständisch und nicht in unserem okzidentalen Sinne »bürgerlich« orientiert.

      Damit ist auch schon gesagt, daß die Bedeutung einer solchen Intellektuellenethik für die breiten Massen ihre Schranken haben mußte. Zunächst waren die lokalen und vor allem die sozialen Unterschiede der Bildung selbst enorme. Die traditionalistische und bis in die Neuzeit stark naturalwirtschaftliche Bedarfsdeckung, aufrechterhalten bei den ärmeren Völkskreisen durch eine nirgends in der Welt erreichte, an das Unglaubwürdige grenzende Virtuosität im Sparen (im konsumtiven Sinne des Worts), war nur möglich bei einer Lebenshaltung, welche jede innerliche Beziehung zu den Gentlemanidealen des Konfuzianismus ausschloß. Nur die Gesten und Formen des äußeren Sichverhaltens der Herrenschicht konnten hier, wie überall, Gegenstand allgemeiner Rezeption sein. Der entscheidende Einfluß der Bildungsschicht auf die Lebensführung der Massen hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem durch einige negative Wirkungen vollzogen: die gänzliche Hemmung des Entstehens einer prophetischen Religiosität einerseits, die weitgehende Austilgung aller orgiastischen Bestandteile der animistischen Religiosität andererseits. Es muß als möglich gelten, daß dadurch wenigstens ein Teil jener Züge mitbedingt ist, welche man zuweilen als chinesische Rassenqualitäten anzusprechen pflegt. Vor allem die kühle Temperierung der konfuzianischen Sozialethik, dann ihre Ablehnung anderer als rein personaler – familialer, scholarer oder kameradschaftlicher – Bande spielten hier mit.

      Die Wirkung der Erhaltung dieses Personalismus zeigt vor allem die Sozialethik. Es fehlte in China bis in die Gegenwart das Verpflichtungsgefühl gegenüber »sachlichen« Gemeinschaften, seien sie politischer oder ideeller oder welcher Natur immer[370]. Alle Sozialethik war hier lediglich eine Uebertragung organischer Pietätsbeziehungen auf andere, die ihnen gleichartig gedacht wurden. Die Pflichten innerhalb der fünf natürlichen sozialen Beziehungen: zum Herrn, Vater, Ehemann, ältern Bruder (einschließlich des Lehrers) und Freund enthielten den Inbegriff aller unbedingt bindenden Ethik. Der konfuzianische Grundsatz der Reziprozität, welcher allen außerhalb dieser Beziehungen liegenden natürlichen sachlichen Pflichten zugrunde liegt, enthielt keinerlei pathetisches Element in sich. Alle in der genuinen Sozialethik der Nachbarschaftsverbände überall bodenständigen Pflichten, so namentlich die überall als Zeichen vornehmer Lebensführung geltende, von allen heiligen Sängern gepriesene, von jeder religiösen Ethik rezipierte Gastfreiheits- und Wohltätigkeitspflicht der Besitzenden, hatten unter der Einwirkung der konfuzianischen Rationalisierung und Konventionalisierung der ganzen Lebensführung sehr stark formelhaften Charakter angenommen. So namentlich das »Praktizieren der Tugend« – wie der charakteristische übliche Ausdruck lautete – in Gestalt der Gastlichkeit für Arme am 8. Tage des 12. Monats. Das Almosen – das urwüchsige Kerngebot aller ethischen Religiosität – war ein traditioneller Tribut geworden, dessen Verweigerung gefährlich war. Die christliche Bedeutsamkeit des Almosens hatte dazu geführt, die »Armen«, da ihre Existenz für das Seelenheil der Reichen notwendig war, als einen gottverordneten »Stand« innerhalb der christlichen Gemeinschaft anzusehen. In China hatten sie sich in gut organisierten Gilden zusammengeschlossen, die zu prinzipiellen Feinden zu haben niemand leicht wagte. Daß im übrigen Hilfsbereitschaft dem »Nächsten« gegenüber im allgemeinen nur erwartet wurde, wo ein konkreter persönlicher oder sachlicher Anlaß dazu vorhanden war, dürfte nicht nur in China das Normale sein und nur der Landeskenner kann beurteilen, ob tatsächlich, wie gesagt wird, hier ausgeprägter als anderwärts. Da der Volksreligiosität hier noch, wie der magischen Religiosität ursprünglich überall, dauernde leibliche Gebrechen als Folgen irgendeiner rituellen Sünde galten und das Gegengewicht religiöser Mitleidsmotive fehlte, so mag es, so sehr die Ethik (Mencius) den sozialen Wert des Mitleids rühmte, recht wohl sein, daß diese Empfindung nicht eben sehr entwickelt wurde. Jedenfalls nicht auf dem Boden des Konfuzianismus. Selbst die (heterodoxen) Vertreter der Feindesliebe (z.B. Mo ti) begründeten diese wesentlich utilitarisch. –

      Die heiligen persönlichen Pflichten der Sozialethik konnten nun untereinander in Konflikt geraten. Dann mußten sie eben relativiert werden. Zwangsteilungen von Familien- und fiskalischen Interessen, Selbstmorde und Weigerungen von Vätern, ihre Söhne

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<p>368</p>

Bei Religionsgesprächen zwischen Konfuzianern und Buddhisten pflegte die buddhistische Karman-Theodizee besonders nachdrücklich abgelehnt zu werden: Nicht Folge früherer Taten sei die soziale Lage eines Menschen, sondern des Schicksals, welches auch von den Blättern der Bäume die einer auf Teppiche, die andern in den Schmutz wirble.

<p>369</p>

Wie leicht freilich dieser Namensstolz auch hier in die nackte Sehnsucht zu leben, einfach um zu leben, umschlagen konnte, zeigt das kürzlich erwähnte Schildkrötengleichnis, dessen Urheber zwar kein reiner Konfuzianer war, aber den Konfuzius mit hoher Verehrung zitiert. Aber nicht dies, sondern die Briefe Se Ma Tsien's und die Denkschriften der Zensoren an die Kaiserin Tsu Hsi, die oben zitiert sind, geben die echte konfuzianische Gesinnung wieder.

<p>370</p>

Ueber die einen guten Typus für die Wirkung darstellende »chinesische Kreditvereinigung« (die den, mit entsprechenden Zusätzen, auch für alle Klubs üblichen Namen hwui führt) kommt mir in letzter Stunde die recht gute, von Herkner, Bertkiewicz und Eberstadt beeinflußte Berliner Dissertation von Wu Chang (1917) zu Gesicht. Sie zeigt die primitive, auf rein bäuerliche (und zwar klein bäuerliche) Verhältnisse und streng persönliche Bekanntschaft miteinander zugeschnittene Struktur dieser schon früher (1) erwähnten Vergesellschaftungen. Nach ihrer rein persönlichen Vertrauenswürdigkeit ausgelesen, vereinigen sich die Beitragleistenden. Im einfachsten Fall: – es gibt deren drei verschiedene – derart, daß in der »ersten Versammlung« alle übrigen für das »erste Mitglied«, in der zweiten alle (einschließlich des ersten) für das »zweite Mitglied« und so fort Beiträge und die laufenden Zinsen ihrer inzwischen durch Nutzung des Kapitals etwa aufgelaufenen Schuld zahlen, bis zum »letzten Mitglied«, welches also insgesamt nur seine Beiträge nebst den Zinsen zurückerhält; die Reihenfolge der die Beiträge jeweils erhaltenden Mitglieder wird meist durch das Los bestimmt; wenn es sich um die Sanierung eines Schuldners handelt, ist natürlich dieser »erstes Mitglied«, während zum »letzten Mitglied« sich unter Umständen Mäzenaten anbieten. Die Wirkung ist: daß jeder der vor dem »letzten Mitglied« Plazierten ein – je nach der Plazierung verschieden großes – fremdes Kapital für einige Zeit zur freien Verfügung hat, zu dessen, je nachdem: Rückzahlung oder Ersparung er Beiträge (und: Zinsen) leistet. Die Kreditvereinigung, welche entweder ein gewisses Maß gegenseitiger Beaufsichtigung oder genaue gegenseitige Kenntnis der Wirtschaftsgebarung bedingte, kam offenbar in ihrer Wirkung den Raiffeisen'schen Darlehenskassen ziemlich nahe und ersetzte für die kleinbäuerliche Bevölkerung, mit der die Banken keine Geschäfte machten, z.B. auch den Hypothekenkredit für den Bodenankauf, konnte aber allen denkbaren Zwecken dienen. – Das im Gegensatz zu den früher (zweiter Aufsatz oben) geschilderten Zuständen der Sekten Charakteristische ist, von der Form abgesehen: daß hier 1. der konkrete ökonomische Zweck das Primäre, vielmehr: Ausschließliche, war, und 2. daß in Ermangelung der Qualifikationsprüfung durch die Sekte die Kreditwürdigkeit rein individuell festgestellt werden mußte. Im übrigen aber können diese Kreditvereinigungen in der Tat zur Illustration des Wesens des griechischen »Eranos« dienen.