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und wie daher die einzelnen großen Musiksysteme aller Völker und Zeiten sich vor allem durch die Art und Weise unterschieden, wie sie diese unentfliehbare Irrationalität entweder zu überdecken und zu umgehen oder umgekehrt in den Dienst des Reichtums der Tonalitäten zu stellen wußten, so schien es dem theoretischen Weltbild, noch weit mehr aber und vor allem der praktischen Lebensrationalisierung, zu ergehen. Auch hier wurden die einzelnen großen Typen der rational methodischen Lebensführung vor allem durch diejenigen irrationalen, als schlechthin gegeben hingenommenen, Voraussetzungen charakterisiert, die sie in sich aufgenommen hatten. Welches diese waren, das gerade ist es nun, was in zum mindesten sehr starkem Maße rein historisch und sozial bestimmt wurde durch die Eigenart, das heißt aber hier: die äußere, sozial, und die innere, psychologisch, bedingte Interessenlage derjenigen Schichten, welche Träger der betreffenden Lebensmethodik in der entscheidenden Zeit ihrer Prägung waren.

      Die irrationalen Einschläge in die Rationalisierung des Wirklichen waren ferner die Stätten, in welche das schwer unterdrückbare Bedürfnis des Intellektualismus nach dem Besitz überwirklicher Werte zurückzuziehen sich gezwungen sah, je mehr ihm die Welt von ihnen entkleidet erschien. Die Einheitlichkeit des primitiven Weltbildes, in welchem alles konkrete Magie war, zeigte dann die Tendenz zur Spaltung in ein rationales Erkennen und eine rationale Beherrschung der Natur einerseits, und andererseits »mystische« Erlebnisse, deren unaussagbare Inhalte als einziges neben dem entgotteten Mechanismus der Welt noch mögliches Jenseits: in Wahrheit als ein ungreifbares, hinterweltliches Reich gottinnigen, individuellen Heilsbesitzes, übrig bleiben. Der Einzelne kann sein Heil, wo diese Konsequenz restlos gezogen ist, nur als Einzelner suchen. Diese mit fortschreitendem intellektualistischem Rationalismus sich in irgend einer Form einstellende Erscheinung trat irgendwie überall da auf, wo Menschen die Rationalisierung des Weltbildes als eines von unpersönlichen Regeln beherrschten Kosmos unternahmen. Am stärksten aber naturgemäß in solchen Religionen und religiösen Ethiken, welche besonders stark durch vornehme, der rein denkenden Erfassung der Welt und ihres »Sinnes« hingegebene Intellektuellenschichten bestimmt wurden, wie die asiatischen, vor allem die indischen, Weltreligionen. Ihnen allen wurde die Kontemplation: das Eingehen in die tiefe selige Ruhe und Unbewegtheit der Alleinheit, welche sie bietet, das höchste und letzte dem Menschen zugängliche religiöse Gut, alle anderen Formen religiöser Zuständlichkeiten aber ein höchstens relativ wertvolles Surrogat dafür. Für die Beziehung der Religion zum Leben, einschließlich der Wirtschaft, hatte dies, wie wir immer wieder sehen werden, weittragende Folgen. Diese ergaben sich aus dem allgemeinen Charakter der in diesem, kontemplativen, Sinne »mystischen« Erlebnisse und aus psychologischen Vorbedingungen des Strebens nach ihnen.

      Ganz anders, wo die für die Entwicklung einer Religion ausschlaggebenden Schichten praktisch handelnd im Leben standen, ritterliche Kriegshelden oder politische Beamte oder wirtschaftlich erwerbende Klassen waren, oder endlich, wo die Religion von einer organisierten Hierokratie beherrscht wurde.

      Der aus der berufsmäßigen Befassung mit Kult und Mythos oder und in noch weit höherem Grade: mit Seelsorge, das heißt: Beichte und Beratung von Sündern, erwachsende Rationalismus der Hierokratie suchte überall die Gewährung des religiösen Heilsgutes für sich zu monopolisieren, und also in die Form der nur von ihr rituell zu spendenden, nicht vom Einzelnen erreichbaren, »Sakramentsgnade« oder »Anstaltsgnade« zu bringen und entsprechend zu temperieren. Die individuelle Heilssuche des Einzelnen oder freier Gemeinschaften durch Kontemplation, orgiastische oder asketische Mittel, war ihr, vom Standpunkt ihrer Machtinteressen aus ganz naturgemäß, höchst verdächtig und mußte rituell reglementiert und vor allem hierokratisch kontrolliert werden. – Jedes politische Beamtentum andrerseits mißtraute allen Arten von individueller Heilssuche oder freier Gemeinschaftsbildung als Quellen der Emanzipation von der Domestikation durch die Staatsanstalt, mißtraute ebenso auch der konkurrierenden priesterlichen Gnadenanstalt, verachtete aber, vor allem, im letzten Grunde das Streben nach diesen unpraktischen Gütern jenseits von utilitarischen innerweltlichen Zwecken überhaupt. Religiöse Pflichten waren jeder Beamtenschaft letztlich einfach amtliche oder soziale Staatsbürger- und Standespflichten: das Ritual entsprach dem Reglement, und alle Religiosität nahm daher ritualistischen Charakter an, wo eine Bürokratie diesen bestimmte. – Auch eine ritterliche Kriegerschicht pflegte in ihren Interessen durchaus diesseitig gewendet und aller »Mystik« fremd zu sein. Doch fehlte ihr, wie dem Heldentum überhaupt, in aller Regel sowohl Bedürfnis wie Befähigung zu rationalistischer Bewältigung der Wirklichkeit: die Irrationalität des »Schicksals«, unter Umständen der Gedanke eines unbestimmt deterministisch gedachten »Verhängnisses« (der homerischen »Moira«) stand hinter und über den als leidenschaftliche, starke Helden gedachten Göttern und Dämonen, von welchen den menschlichen Helden Beistand und Feindschaft, Ruhm und Beute oder Tod zuteil wird. – Den Bauern lag, spezifisch naturgebunden und von den Elementargewalten abhängig, wie ihre ganze ökonomische Existenz war, die Magie: der zwingende Zauber gegen die über und in den Naturkräften waltenden Geister, oder das einfache Erkaufen göttlichen Wohlwollens, so nahe, daß nur gewaltige, von anderen Schichten oder von mächtigen als Zauberer durch die Macht des Wunders legitimierten Propheten ausgehende, Umwälzungen der Lebensorientierung sie aus dem Verharren in dieser überall urwüchsigen Form von Religiosität herauszureißen vermochten. Orgiastische und ekstatische »Besessenheits«-Zustände, durch toxische Rauschmittel oder durch Tanz erzeugt, – dem Standesgefühl des Rittertums, als würdelos, fremd, – vertraten bei ihnen die Stelle der »Mystik« der Intellektuellen. – Endlich die im westeuropäischen Sinne »bürger lichen« Schichten und was diesen anderwärts entsprach: Handwerker, Händler, hausindustrielle Unternehmer und ihre nur im modernen Okzident heimischen Derivate, waren – und das ist für uns ganz besonders wichtig – die in den Möglichkeiten ihrer religiösen Stellungnahme scheinbar vieldeutigste Schicht. Die sakramentale Anstaltsgnade der römischen Kirche in den mittelalterlichen Städten, den Stützen der Päpste, die mystagogische Sakramentsgnade in den antiken Städten und in Indien, die orgiastische und kontemplative Sufi- und Derwisch-Religiosität des vorderasiatischen Orients, die taoistische Magie, die buddhistische Kontemplation und die ritualistische Gnadenaneignung unter der Seelendirektion von Mystagogen in Asien, alle Formen der Heilandsliebe und des Erlöserglaubens vom Krischna- bis zum Christuskult in der ganzen Welt, der rationale Gesetzesritualismus und die von aller Magie entblößte Synagogenpredigt der Juden, die pneumatischen antiken und die asketischen mittelalterlichen Sekten, die Prädestinationsgnade und ethische Wiedergeburt der Puritaner und Methodisten und alle Arten individueller Heilssuche wurzelten sämtlich besonders stark, stärker als in allen anderen, gerade in diesen Schichten. Gewiß war die Religiosität auch aller anderen Schichten natürlich sehr weit entfernt davon, eindeutig auf denjenigen Charakter angewiesen zu sein, der vorstehend als ihnen besonders wahlverwandt hingestellt wurde. Aber die »Bürgerschicht« scheint auf den ersten Blick in dieser Hinsicht im ganzen doch noch weit vielseitiger bestimmbar. Und dennoch treten Wahlverwandtschaften zu bestimmten Typen der Religiosität gerade bei ihr hervor. Gemeinsam und durch die Natur ihrer von der ökonomischen Naturgebundenheit stärker losgelösten Lebensführung bedingt war ihnen ja die Tendenz zum praktischen Rationalismus der Lebensführung. Auf technischer oder ökonomischer Berechnung und Beherrschung von Natur und Menschen – mit wie primitiven Mitteln auch immer – ruhte ihre ganze Existenz. Die überkommene Art der Lebenstechnik konnte auch bei ihr im Traditionalismus erstarren, – wie es überall stets wieder geschehen ist. Aber immer bestand, wenn auch in sehr verschiedenem Maße, gerade bei ihr die Möglichkeit, an die Tendenz zum technischen und ökonomischen Rationalismus anknüpfend eine ethisch rationale Lebensreglementierung erstehen zu lassen. Nicht überall vermochte sie sich gegen die (meist) magisch stereotypierte Tradition durchzusetzen. Wo ihr aber durch Prophetie ein religiöser Unterbau geschaffen wurde, da konnte dieser jedem der beiden öfter zu besprechenden Grundtypen des Prophetentums angehören: der »exemplarischen« Prophetie: – einer Prophetie, welche das zum Heil führende Leben, regelmäßig ein kontemplatives und apathisch-ekstatisches Leben, vorlebte, – oder der »Sendungs«-Prophetie, welche im Namen eines Gottes Forderungen, naturgemäß: ethischen und oft: aktiv asketischen Charakters, an die Welt richtete. Die letztere, zum aktiven Handeln innerhalb der Welt auffordernde Art fand begreiflicherweise gerade hier, und je mehr die bürgerlichen Schichten als solche sozial ins Gewicht fielen, je mehr sie ferner tabuistischer Gebundenheit und Gespaltenheit in Sippen und Kasten

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