Скачать книгу

für die wichtigsten Probleme in der Typologie der religiösen Ethik eine sehr einfache Lösung. Allein so glücklich und fruchtbar die Aufdeckung der psychologischen Bedeutung des Ressentiment an sich war, so große Vorsicht ist bei der Abschätzung seiner sozialethischen Tragweite geboten.

      Ueber die Motive, welche die verschiedenen Arten ethischer »Rationalisierung« der Lebensführung rein als solche bestimmten, wird später oft zu sprechen sein. Sie hat mit Ressentiment meist durchaus nichts zu tun.

      Was aber die Wertung des Leidens in der religiösen Ethik betrifft, so ist diese unzweifelhaft einem typischen Wandel unterworfen gewesen, der, richtig verstanden, ein gewisses Recht jener von Nietzsche zuerst durchgeführten Theorie bedeutet. Die urwüchsige Stellungnahme zum Leiden äußerte sich plastisch vor allem in der Behandlung derer, die durch Krankheit oder andere hartnäckige Unglücksfälle verfolgt waren, bei den religiösen Feiern der Gemeinschaft. Der dauernd Leidende, Trauernde, Kranke oder sonst Unglückliche war, je nach der Art seines Leidens, entweder von einem Dämon besessen oder mit dem Zorn eines Gottes belastet, den er beleidigt hatte. Ihn in ihrer Mitte zu dulden konnte für die kultische Gemeinschaft Nachteile zur Folge haben. Jedenfalls durfte er an den Kultmahlen und Opfern nicht teilnehmen. Denn sein Anblick erfreute die Götter nicht und konnte ihren Zorn erregen. Die Opfermahle waren Stätten der Fröhlichen – selbst in Jerusalem in der Zeit der Belagerung.

      Mit dieser Behandlung des Leidens als eines Symptoms des Gottverhaßtseins und geheimer Schuld kam die Religion psychologisch einem sehr allgemeinen Bedürfnis entgegen. Der Glückliche begnügt sich selten mit der Tatsache des Besitzes seines Glückes. Er hat darüber hinaus das Bedürfnis: auch noch ein Recht darauf zu haben. Er will überzeugt sein, daß er es auch »verdiene«; vor allem: im Vergleich mit andern verdiene. Und er will also auch glauben dürfen: daß dem minder Glücklichen durch den Nichtbesitz des gleichen Glückes ebenfalls nur geschehe, was ihm zukommt. Das Glück will »legitim« sein. Wenn man unter dem allgemeinen Ausdruck: »Glück« alle Güter der Ehre, der Macht, des Besitzes und Genusses begreift, so ist dies die allgemeinste Formel für jenen Dienst der Legitimierung, welchen die Religion dem äußeren und inneren Interesse aller Herrschenden, Besitzenden, Siegenden, Gesunden, kurz: Glücklichen, zu leisten hatte: die Theodizee des Glückes. Sie ist in höchst massiven (»pharisäischen«) Bedürfnissen der Menschen verankert und daher leicht verständlich, wenn auch in ihrer Wirkung oft nicht genügend beachtet.

      Verschlungener sind dagegen die Wege, welche zur Umkehrung dieses Standpunktes: zur religiösen Verklärung des Leidens also, führten. Primär wirkte die Erfahrung, daß das Charisma ekstatischer, visionärer, hysterischer, kurz: aller jener außeralltäglichen Zuständlichkeiten, welche als »heilig« gewertet wurden und deren Hervorrufung deshalb Gegenstand der magischen Askese bildete, geweckt oder doch begünstigt wurde durch zahlreiche Arten von Kasteiungen und Enthaltungen sowohl von der normalen Ernährung und vom Schlaf wie vom Sexualverkehr. Das Prestige dieser Kasteiungen war Folge der Vorstellung, daß gewisse Arten von Leiden und durch Kasteiung provozierten abnormen Zuständen Wege zur Erlangung übermenschlicher: magischer, Kräfte seien. Die alten Tabu-Vorschriften und die Enthaltungen im Interesse kultischer Reinheit: Konsequenzen des Dämonenglaubens, wirkten in gleicher Richtung. Dazu trat aber dann als selbständiges und neues die Entwicklung der »Erlösungs«-Kulte, welche dem individuellen Leiden gegenüber eine prinzipiell neue Stellung einnahmen. Der urwüchsige Gemeinschaftskult, vor allem derjenige der politischen Verbände, ließ alle individuellen Interessen aus dem Spiel. Der Stammesgott, Lokalgott, Stadtgott, Reichsgott kümmerte sich nur um Interessen, welche die Gesamtheit angingen: Regen und Sonnenschein, Jagdbeute, Sieg über die Feinde. An ihn wendete sich also die Gesamtheit als solche im Gemeinschaftskult. Zur Abwendung oder Beseitigung von Uebeln, die den Einzelnen betrafen, – vor allem: Krankheit –, wendete dieser sich nicht an den Kult der Gemeinschaft, sondern als Einzelner an den Zauberer, den ältesten individuellen »Seelsorger«. Das Prestige einzelner Magier und jener Geister oder Götter, in deren Namen sie ihre Wunder taten, schuf ihnen Zulauf ohne Rücksicht auf die lokale oder Stammeszugehörigkeit und dies führte unter günstigen Umständen zu einer von den ethnischen Verbänden unabhängigen »Gemeinde«-Bildung. Manche – nicht: alle – »Mysterien« lenkten in diese Bahn ein. Errettung der Einzelnen als Einzelner aus Krankheit, Armut und allen Arten von Not und Gefahr war ihre Verheißung. Der Magier wandelte sich so zum Mystagogen: erbliche Dynastien von solchen oder aber eine Organisation geschulten Personals mit einem nach irgendwelchen Regeln bestimmten Haupt entwickelten sich, wobei dieses Haupt entweder selbst als Inkarnation eines übermenschlichen Wesens oder nur als Verkünder und Vollstrecker seines Gottes: als Prophet, gelten konnte. Damit war eine religiöse Gemeinschaftsveranstaltung für individuelles »Leiden« als solches und für »Erlösung« davon entstanden. Die Verkündigung und Verheißung wendete sich nun naturgemäß an die Massen derjenigen, welche der Erlösung bedurften. Sie und ihre Interessen traten in den Mittelpunkt des berufsmäßigen Betriebes der »Seelsorge«, welche erst damit recht eigentlich entstand. Feststellung, wodurch das Leiden verschuldet sei: Beichten von »Sünden«, d.h. zunächst: Verstößen gegen rituelle Gebote, und Beratung: durch welches Verhalten es beseitigt werden könne, wurden jetzt die typische Leistung von Magiern und Priestern. Ihre materiellen und ideellen Interessen konnten damit in der Tat zunehmend in den Dienst spezifisch plebejischer Motive treten. Einen weiteren Schritt auf dieser Bahn bedeutete es, wenn daraus unter dem Druck typischer und immer wiederkehrender Not eine »Heilands«-Religiosität sich entwickelte. Sie setzte einen Erlöser-Mythos, also eine (mindestens: relativ) rationale Weltbetrachtung voraus, zu deren wichtigstem Gegenstand wiederum das Leiden wurde. Ansatzpunkte dazu bot sehr häufig die primitive Naturmythologie. Die Geister, welche das Kommen und Gehen der Vegetation und den Gang der für die Jahreszeiten wichtigen Gestirne beherrschten, wurden die bevorzugten Träger der Mythen vom leidenden, sterbenden, wiederauferstehenden Gott, welcher nun auch den Menschen in der Not die Wiederkehr diesseitigen oder die Sicherheit jenseitigen Glückes verbürgte. Oder eine volkstümlich gewordene Gestalt aus der Heldensage – wie Krischna in Indien – wurde, ausgestattet mit Kindheits-, Liebes-und Kampfmythen, zum Gegenstand eines brünstigen Heilandskultes. Bei einem politisch bedrängten Volk, wie den Israeliten, haftete der Heilands-(Moschuach-) Name zuerst an den von der Heldensage überlieferten Rettern aus politischer Not (Gideon, Jephtah) und bestimmte von da aus die »messianischen« Verheißungen. Bei diesem Volk, und in dieser Konsequenz nur hier, wurde – unter sehr besonderen Bedingungen – das Leiden einer Volk sgemeinschaft, nicht das des Einzelnen, Gegenstand religiöser Erlösungshoffnun gen. Die Regel war: daß der Heiland zugleich individuellen und universellen Charakter trug: das Heil für den Einzelnen und für jeden Einzelnen, der sich an ihn wendete, zu verbürgen bereit war. – Die Gestalt des Heilands konnte verschiedener Prägung sein. In der Spätform der zarathustrischen Religion, mit ihren zahlreichen Abstraktionen, übernahm eine rein konstruierte Figur in der Heilsökonomie die Rolle des Mittlers und Retters. Oder gerade umgekehrt: eine durch Wunder und visionäres Wiedererscheinen legitimierte historische Person stieg zum Heiland auf. Für die Realisierung der sehr verschiedenen Möglichkeiten waren rein historische Momente maßgebend.

      Fast immer entstand aber aus den Erlösungshoffnungen irgend eine Theodizee des Leidens.

      Die Verheißungen der Erlösungsreligionen blieben zwar zunächst nicht an ethische, sondern an rituelle Vorbedingungen geknüpft, wie etwa die diesseitigen und jenseitigen Vorteile der eleusinischen Mysten an rituelle Reinheit und das Anhören der eleusinischen Messe. Aber die zunehmende Rolle, welche jene Spezialgötter, in deren Obhut der Rechtsgang stand, mit zunehmender Bedeutung des Rechts spielten, verlieh diesen die Aufgabe des Schutzes der überlieferten Ordnung: der Bestrafung des Unrechtes und Belohnung des Gerechten. Und wo eine Prophetie die religiöse Entwicklung bestimmend beeinflußte, trat naturgemäß stets die »Sünde«, nicht mehr nur als magischer Verstoß, sondern vor allem als: Unglaube gegen den Propheten und seine Gebote, in der Rolle des Grundes von Unglück aller Art auf. Nun war der Prophet selbst zwar keineswegs regelmäßig ein Sprößling oder ein Repräsentant gedrückter Klassen. Wir werden sehen, daß das Gegenteil nahezu die Regel bildete. Und auch der Inhalt seiner Lehre entstammte keineswegs überwiegend ihrem Vorstellungskreis. Aber allerdings waren es in der Regel nicht die Glücklichen, Besitzenden, Herrschenden, welche eines Erlösers und Propheten bedurften, sondern die Bedrückten oder mindestens die von

Скачать книгу