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(Wang Mang um Chr. G); – tatsächlich ist natürlich das gleiche weit öfter geschehen, aber in den rituell gebotenen Formen oder durch rituell anerkannte Eroberung oder Revolte gegen einen rituell inkorrekten Kaiser. In der für die Prägung der geistigen Kultur entscheidenden Zeit zwischen 8. und 3. Jahrhundert vor Chr. war das Reich ein sehr lockerer Verband politischer Herrschaften, welche zwar sämtlich formell die Oberlehensherrlichkeit des politisch ohnmächtig gewordenen Kaisers anerkannten, aber untereinander in Fehde und vor allem im Kampf um die Hausmeierstellung standen. Der Unterschied gegenüber dem Heiligen Römischen Reich des Okzidents bestand vor allem darin, daß der kaiserliche Oberlehensherr zugleich und vor allem – ein in vorgeschichtliche Zeit zurückreichender wichtiger Sachverhalt – nach Art etwa des okzidentalen Papstes in der von Bonifaz VIII. beanspruchten Stellung: der legitime Ober priester war. Diese unentbehrliche Funktion bedingte seine Erhaltung. Durch sie bildete er ein wesentliches Element des Kulturzusammenhalts der in ihrem Umfang und ihrer Machtstellung stetig wechselnden Teilstaaten. Die (wenigstens theoretische) Gleichheit des Rituals bildete den Kitt jenes Zusammenhalts. Hier wie im okzidentalen Mittelalter bedingte diese religiöse Einheit die rituelle Freizügigkeit der vornehmen Familien zwischen den Teilstaaten: aus dem Dienst des einen Fürsten trat der vornehme Staatsmann rituell ungehemmt in den Dienst eines anderen über. Die Herstellung des Einheitsreichs seit dem 3. Jahrhundert vor Chr., welche seitdem nur auf kurze Zeiten unterbrochen wurde, befriedeten das Reich – wenigstens dem Prinzip und der Theorie nach – nach innen. »Rechtmäßige« Kriege waren seitdem in seinem Innern nicht mehr möglich. Die Abwehr und Unterwerfung der Barbaren aber war eine rein sicherheitspolizeiliche Aufgabe der Regierung. Der »Himmel« konnte daher hier nicht die Form eines in Krieg, Sieg, Niederlage, Exil und Heimatshoffnung verehrten, in der Irrationalität der außenpolitischen Schicksale des Volks sich offenbarenden Heldengottes annehmen. Dafür waren, wenn man von der Zeit der Mongolenstürme absieht, seit der Errichtung der großen Mauer diese Schicksale im Prinzip nicht mehr wichtig und nicht irrational genug, standen gerade in den Zeiten der ruhigen Entwicklung der religiösen Spekulation nicht greifbar genug, als drohende oder als überstandene Fügungen, als beherrschende Probleme der ganzen Existenz, jederzeit vor Augen, waren vor allem nicht eine Angelegenheit der Volks genossen. Die Untertanen wechselten nur den Herren bei Thronusurpationen ebenso wie bei gelungenen Invasionen, und in beiden Fällen bedeutete dies lediglich einen Wechsel des Steuerempfängers, nicht einen Wechsel der sozialen Ordnung[69]. Die Jahrtausende alte unerschütterte Ordnung des politischen und sozialen Innenlebens wurde daher hier das, was der göttlichen Obhut anheimfiel und sie offenbarte. Auch der israelitische Gott nahm von den sozialen Innenbeziehungen Notiz: als Anlaß der Bestrafung seines Volkes wegen Abfalls von den von ihm eingesetzten alten Bundesordnungen durch kriegerisches Mißgeschick. Aber diese Verletzungen waren, gegenüber der weit wichtigeren Abgötterei, nur eine Kategorie der Sünde unter anderen. Für die chinesische Himmelsmacht dagegen waren die alten sozialen Ordnungen Eins und Alles. Als Hüter ihrer Stetigkeit und ungestörten Geltung und als Hort der durch die Herrschaft vernünftiger Normen garantierten Ruhe, nicht als Quelle irrationaler, befürchteter oder erhoffter, Schicksalsperipetien, waltete der Himmel. Solche Peripetien waren Unruhe und Unordnung. Sie waren daher spezifisch dämonischen Ursprungs. Die Garantie der Ruhe und inneren Ordnung leistete am besten eine in ihrer Unpersönlichkeit und gerade durch sie als über alles Irdische spezifisch erhaben qualifizierte Macht, welcher Leidenschaft, und vor allem »Zorn«: das wichtigste Attribut Jahwes, fremd bleiben mußte. Diese politischen Grundlagen des chinesischen Lebens also begünstigten den Sieg derjenigen Elemente des Geisterglaubens, welche zwar überall in aller zum Kult sich entwickelnden Magie vorgeformt waren, aber im Okzident durch die Entfaltung der Heldengötter und, endgültig, eines persönlichen ethischen Welterlösergottes von Plebejer schichten, in der Entwicklung gebrochen wurden. Die eigentlich chthonischen Kulte mit ihrer typischen Orgiastik sind zwar auch in China durch die Ritter- und später die Literatenaristokratie ausgetilgt worden[70]. Es finden sich weder Tänze – der alte Kriegstanz war verschwunden – noch Sexualorgiastik, noch musikalische Orgiastik, noch andere Rauschformen, kaum auch Rückstände vor, und nur ein einziger Ritualakt scheint »sakramentalen« Charakter angenommen zu haben; aber gerade er war ganz unorgiastisch. Der Himmelsgott siegte auch hier: – die Philosophen motivierten dies nach Se Ma Tsien's Konfuzius-Biographie damit: daß die Götter der Berge und Wasserbäche die Welt regieren, weil von den Bergen der Regen kommt. Aber er siegte als Gott der himmlischen Ordnung, nicht der himmlischen (Kriegs-)Heerscharen. Es war die spezifisch chinesische, aus andern Gründen und in anderer Art auch in Indien in der Oberhand gebliebene Wendung der Religiosität, welche an der Unverbrüchlichkeit und Gleichmäßigkeit des die Geister zwingenden magischen Rituals und des für ein Ackerbauvolk grundlegenden Kalenders, beide: die Naturgesetze und die Ritualgesetze in Eins setzend und nun an diese Einheit des »Tao«[71] anknüpfend, das Zeitlose, Unabänderliche zur religiös höchsten Macht erhob. Nun wurde statt eines überweltlichen Schöpfergottes ein übergöttliches, unpersönliches, immer sich gleiches, zeitlich ewiges Sein, welches zugleich ein zeitloses Gelten ewiger Ordnungen war, als letztes und höchstes empfunden. Die unpersönliche Himmelsmacht »sprach nicht« zu den Menschen. Sie offenbarte sich ihnen durch die Art des irdischen Regimentes, also in der festen Ordnung der Natur und des Herkommens, das ein Teil der kosmischen Ordnung war, und – wie überall: – durch das, was den Menschen geschah. Gutes Ergehen der Untertanen dokumentierte die himmlische Zufriedenheit, also: das richtige Funktionieren der Ordnungen. Alle schlimmen Ereignisse dagegen waren Symptome einer Störung der providentiellen himmlisch-irdischen Harmonie durch magische Gewalten. Diese für China durchaus grundlegende optimistische Vorstellung von der kosmischen Harmonie ist aus dem primitiven Geisterglauben allmählich herausgewachsen. Das Ursprüngliche[72] war hier wie anderwärts der Dualismus der guten (nützlichen) und der bösen (schädlichen) Geister, der »Shen« und der »Kwei«, welche das ganze Universum erfüllten und in den Naturereignissen ebenso wie im Handeln und Ergehen der Menschen sich äußerten. Auch die »Seele« des Menschen galt – entsprechend der überall verbreiteten Annahme von einer Mehrheit der beseelenden Kräfte – als zusammengesetzt aus der dem Himmel entstammenden Shen- und der irdischen Kwei-Substanz, welche sich nach dem Tode wieder trennten. Die allen Philosophenschulen gemeinsame Lehre faßte dann die »guten« Geister als das (himmlische und männliche) Yang-Prinzip, die »bösen« als das (irdische und weibliche) Yin-Prinzip zusammen, aus deren Verbindung die Welt entstanden sei. Beide Prinzipien waren ewig, wie Himmel und Erde. Dieser konsequente Dualismus war aber hier, wie fast überall, optimistisch abgeschwächt und getragen durch die Identifikation des dem Menschen Heil bringenden magischen Charisma der Zauberer und Helden mit den heilbringenden Shen-Geistern, die der segenspendenden Himmelsmacht, dem Yang, entsprangen. Da nun der charismatisch qualifizierte Mensch offensichtlich Macht über die bösen Dämonen (die Kwei) hatte, und feststand: daß die Himmelsmacht die gütige höchste Leiterin auch des sozialen Kosmos war, so mußten also die Shen-Geister im Menschen und in der Welt in ihrem Funktionieren gestützt werden[73]. Dazu genügte es aber, daß die dämonischen kwei-Geister in Ruhe gehalten wurden: dann funktionierte die vom Himmel geschützte Ordnung richtig. Denn ohne Zulassung des Himmels waren die Dämonen unschädlich. Die Götter und Geister waren mächtige Wesen. Kein einzelner Gott oder vergötterter Heros oder noch so mächtiger Geist aber war »allwissend« oder »allmächtig«. Die nüchterne Lebensweisheit der Konfuzianer konstatierte im Fall des Unglücks frommer Menschen unbefangen: daß »Gottes Wille oft unstet« sei. Alle diese übermenschlichen Wesen waren zwar stärker als der Mensch, standen aber tief unter der unpersönlichen höchsten Himmelmacht und auch unter einem kaiserlichen Pontifex, der in der Himmelsgnade stand. Nur diese und die ihr ähnlichen unpersönlichen Mächte kamen – im Gefolge dieser Vorstellungen – für die überpersönliche Gemeinschaft als Kultobjekte in Betracht und bestimmten ihr Schicksal[74]. Das Schicksal des einzelnen konnten dagegen die magisch zu beeinflussenden Einzelgeister bestimmen.

      Mit diesen verkehrte man ganz urwüchsig auf dem Tauschfuß: soundsoviel rituelle Leistungen für soundsoviel Wohltaten. Zeigte sich dann, daß ein Schutzgeist nicht stark genug war, die Menschen trotz

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<p>69</p>

Daher betont O. Francke nachdrücklich, daß die Mandschuherrschaft nicht als »Fremdherrschaft« empfunden wurde. Immerhin bedarf dies wohl der Einschränkung für Zeiten der revolutionären Erregung: die Manifeste der Taiping sind ein lebendiges Zeugnis dafür.

<p>70</p>

Mit dem Namen »Genius der Erde« wurde Heu tu, einer der sechs Minister des Kaisers Huang-ti, deifiziert (vgl. Note 215 p. LII des von Michels übersetzten und annotiert herausgegebenen Schih Luh Kuoh Kiang Yuh Tschi: »Histoire géographique des XVI royaumes«, Paris 1891). Darnach kann damals schon ein chthonischer Kult kaum bestanden haben, da dann ein solcher Titel blasphemisch gewesen wäre.

<p>71</p>

Denn darin, in dieser Verschmelzung, lag offenbar die Quelle des »Universismus« der »Tao«-Konzeption, die dann (in ganz wesentlich geistvollerer Art als in Babylonien die aus der Leberschau entnommenen Begriffe oder gar als die altägyptischen »metaphysischen« Konzeptionen) zu einem kosmischen System der »Entsprechungen« ausgebaut wurde (alles Nähere über die philosophische Deutung – soweit sie nicht für uns in Abschnitt VII noch in Betracht kommt – muß man in de Groots schönem, zitierten, Buch über »Universismus« nachlesen (welches, rein systematisch angelegt, die Frage der Herkunft nicht erörtert). Es ist aber klar, daß die chronomantische Deutung des Kalendermachens und des Kalenders selbst ebenso wie die absolute Stereotypierung des Rituals und, mit beidem zusammenhängend, die rationale, von der später zu besprechenden Mystik ausgehende Tao-Philosophie erst sekundär waren. Der älteste Kalender (hia siao tsching, »kleiner Regulator«) scheint am wenigsten mit solchen Theologumena belastet zu sein, deren Entwicklung offenbar erst nach der Kalenderreform Schi Hoang Ti's einsetzte. Das später von der Regierung unter strengster Verfolgung jeder eigenmächtigen Kalendermacherei Privater hergestellte chronomantische Grundbuch: Schi hien schu, als Volksbuch massenhaft nachgedruckt, gibt den »Tagemeistern« (Berufschronomanten den Stoff. Die sehr alte Kalenderbehörde der Laschi (»hohen Schriftsteller«) war geschichtlich die Quelle sowohl der Astronomen-(Kalender-) wie der Astrologen-(portenta-)behörden, wie der rein exemplarisch und paradigmatisch gedachten Hofannalistik, die ursprünglich mit der Kalendermacherei in Personalunion war. S. u.

<p>72</p>

Zum Nachstehenden vgl. namentlich de Groot, Rel. of the Ch., insbesondere p. 33 f., 55 f.

<p>73</p>

Mit dieser Motivierung wurde gelegentlich gegen allzu mächtig gewordene Mätressen (Konkubinen) von Kaisern Front gemacht: Weiberherrschaft bedeute Uebergewicht des yin über das yang.

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Im Staatskult spielten allerdings (s. die höchst anschauliche und peinlich genaue Darstellung in de Groots »Universismus«) neben dem Kult 1. des »Himmels«, der jedoch (nach de Groot) beim großen Opferakt als primus inter pares unter den Ahnengeistern des Kaisers erschien, – 2. der Erde (»Kaiserin Erde«), – 3. der kaiserlichen Ahnen, auch die Kulte – 4. des Sche Tsi: Schutzgeistes des Bodens und der Feldfrüchte, – 5. der Sonne und des Mondes, – 6. des Sien Nung, Archegeten der Ackerbaukunst, – 7. des (weiblichen) Archegeten der Seidenzucht (Opfernde: die Kaiserin), – 8. der großen, seit 1722 aber: aller Kaiser der früheren Dynastien (außer: den gewaltsam Gestorbenen oder durch erfolgreiche Rebellion – Zeichen mangelnden Charismas – Gestürzten), – 9. Konfuzius und einige Koryphäen seiner Schule, – diese alle (grundsätzlich) durch den Kaiser persönlich. Dazu traten 10. die Regen- und Windgötter (Tien Sehen) und die Götter der Berge, Meere, Flüsse (Ti Ke), – 11. der Jupiter als Kalendergott (Geist des großen – Jupiter- – Jahres), – 12. der Archeget der Heilkunde zusammen mit dem Frühlingsgott (vielleicht ein Symptom einstiger chthonischer Orgiastik als Quelle der magischen Therapeutik), – 13. der Kriegsgott (der kanonisierte General Kuan ti, 2./3. Jahrhundert n. Chr.), – 14. der Gott der klassischen Studien (Schirmgott gegen Ketzerei), – 15. der (1651 kanonisierte) Nordpolgeist, – 16. der Feuergott Huo Schen, – 17. die Kanonengötter, – 18. die Festungsgötter, – 19. »der heilige Berg des Ostens«, – 20. die Drachen- und Wassergötter oder die Bau-, Ziegelei-und Getreidespeichergötter – 21. die kanonisierten Provinzialbeamten. Diese waren alle (normalerweise) durch die zuständigen Beamten zu bedienen. Man sieht, es war schließlich fast die gesamte äußere Staatsorganisation mit ihren Geistern kanonisiert. Aber die höchsten Opfer wurden offensichtlich un persönlichen Geistern dargebracht.