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bis in die Neuzeit nur in äußerst geringem Maße ein Handels- und Exportindustrieplatz.

      Die – wie wir sehen werden – außerordentlich geringe Intensität der kaiserlichen Verwaltung brachte es zwar, wie schon angedeutet, mit sich, daß tatsächlich die Chinesen in Stadt und Land »sich selbst verwalteten«. Wie die Sippen – deren Rolle öfter zu erörtern sein wird – auf dem Lande, so waren neben ihnen, und für denjenigen, der keiner oder doch keiner alten und starken Sippe angehörte: statt ihrer, in der Stadt die Berufsverbände souveräne Herren über die ganze Existenz ihrer Mitglieder. Nirgends (außer – in anderer Art – in den indischen Kasten) war die unbedingte Abhängigkeit des einzelnen von der Gilde und Zunft (beide wurden terminologisch nicht geschieden) so entwickelt wie in China[48]. Mit Ausnahme der wenigen Monopolgilden seit jeher ohne jegliche offizielle Anerkennung durch die staatliche Regierung, hatten sie tatsächlich oft die absolute Jurisdiktion über ihre Mitglieder sich zugeeignet[49]. Ihrer Kontrolle unterlag alles, was ökonomisch für ihre Angehörigen von Bedeutung war: Maß und Gewicht, Währung (Stempelung der Silberbarren)[50], Straßenerhaltung[51], Kontrolle der Kreditgebarung der Mitglieder und: »Konditionenkartell«, würden wir sagen[52]: Feststellung der Lieferungs-[53], Lager- und Zahlungsfristen, der Versicherungssätze und der Zinsraten[54], Unterdrückung fiktiver oder sonst illegaler Geschäfte, Sorge für die ordnungsmäßige Abfindung der Gläubiger bei Geschäftsübertragung[55], Regelung der Geldsortenkurse[56], Bevorschussung von lange lagernden Waren[57], für die Handwerker vor allem: Regulierung und Beschränkung der Lehrlingszahl[58] und eventuell Wahrung des Produktionsgeheimnisses[59]. Einzelne Gilden verfügten über ein Millionenvermögen, angelegt oft in gemeinsamem Grundbesitz, erhoben Steuern von ihren Mitgliedern, Eintrittsgelder und Kautionen (für Wohlverhalten) von Neueintretenden, richteten Schauspiele aus und sorgten für das Begräbnis verarmter Genossen[60].

      Zu der Masse der Berufsverbände stand der Zutritt jedem, der das betreffende Gewerbe betrieb, offen (und war, normalerweise, für ihn pflichtmäßig). Aber es fanden sich nicht nur zahlreiche Reste alter, als tatsächlich erbliches Monopol oder geradezu erbliche Geheimkunst betriebener Sippen- und Stammesgewerbe[61], sondern daneben auch Gildemonopole, welche durch die fiskalische oder fremdenfeindliche Politik der Staatsgewalt geschaffen wurden[62]. Und die leiturgische Bedarfsdeckung, zu welcher die chinesische Verwaltung im Mittelalter immer wieder periodisch überzugehen suchte, läßt es möglich erscheinen, daß der Uebergang vom inter ethnisch arbeitsteiligen Sippen- und Stammesgewerbe mit Wanderbetrieb zum ortssässigen frei zur Lehre zugänglichen Handwerk für manche Gewerbe durch Zwischenstufen zwangsmäßig von oben für Staatslieferungen organisierter und an den Beruf gebundener Gewerbeverbände hindurch sich vollzogen hat. Dies bedingte, daß in einem sehr breiten Teil des Gewerbes Sippen- und Stammesgewerbecharakter erhalten blieb. Unter den Han waren mannigfache gewerbliche Hantierungen noch strikte Familiengeheimnisse, und die Kunst der Herstellung von Fuchou-Lack z.B. starb in der Taiping-Rebellion völlig aus, weil die Sippe, die das Geheimnis hütete, ausgerottet war. Es fehlte im allgemeinen die städtische Monopolisierung des Gewerbes. Zwar die von uns als »Stadtwirtschaft« bezeichnete Art der lokalen Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land hatte sich entwickelt – wie sie es überall tat – und auch einzelne stadtwirtschaftspolitische Maßregeln finden sich. Aber jene Art systematischer Stadtpolitik, welche die zur Herrschaft gelangten Zünfte im Mittelalter – die ja die »Stadtwirtschafts politik« erst wirklich durchzuführen suchten – getrieben haben, ist trotz mancher Ansätze nie zur Vollendung gediehen. Insbesondere hat die öffentliche Gewalt zwar gelegentlich immer wieder zu leiturgischer Bindung gegriffen, nicht aber ein System von Zunftprivilegien geschaffen, wie es das hohe Mittelalter kannte. Gerade das Fehlen dieser rechtlichen Garantien verwies ja die Berufsverbände in China auf den Weg rücksichtsloser Selbsthilfe in einem Maß, wie sie im Okzident unbekannt blieb. Sie bedingte es auch, daß feste, öffentlich anerkannte, formale und verläßliche Rechts grundlagen einer freien, genossenschaftlich regulierten Handels- und Gewerbeverfassung, wie sie der Okzident kannte und wie sie der Entwicklung des Klein kapitalismus im abendländischen mittelalterlichen Gewerbe zugute kamen, in China fehlten. Daß sie fehlten, hatte seinen Grund in dem Fehlen einer eigenen politisch-militärischen Macht der Städte und Gilden, und diese Tatsache wiederum findet ihre Erklärung in der frühen Entwicklung der Beamten- (und: Offiziers-)Organisation in Heer und Verwaltung.

      Für die Entstehung der seit aller sicheren geschichtlichen Erinnerung bestehenden Zentralgewalt und ihres Patrimonialbeamtentums ist in China, wie in Aegypten, die Notwendigkeit der Stromregulierung als Voraussetzung aller rationalen Wirtschaft entscheidend gewesen, wie sehr deutlich z.B. eine Bestimmung in einem bei Mencius erwähnten, ins 7. Jahrhundert vor Chr. verlegten, angeblichen Kartell der Feudalfürsten beweist[63]. Im Gegensatz zu Aegypten und Mesopotamien stand allerdings, wenigstens im nördlichen China, der politischen Keimzelle des Reiches, der Ueberschwemmungsschutz durch Deiche und der Kanalbau zu Binnenschiffahrtszwecken (vor allem: Fouragetransportzwecken) voran, nicht in gleichem Maß der Kanalbau zum Zweck der Bewässerung, an dem in Mesopotamien die Anbaufähigkeit des Wüstengebietes überhaupt hing. Die Stromregulierungsbeamten und die schon in sehr alten Dokumenten – damals als eine Klasse hinter den »Nährständen« und vor den »Eunuchen« und »Lastträgern« – erwähnte »Polizei« bildeten den Keim der präliterarischen, reinen Patrimonialbureaukratie –.

      Es fragt sich, inwieweit diese Verhältnisse Konsequenzen nicht nur – wie fraglos ist – politischer, sondern auch religiöser Natur gehabt haben. Der Gott Vorderasiens war nach dem Modell des irdischen Königs geformt. Für den mesopotamischen und ägyptischen Untertan, der den Regen kaum kannte, hing alles Wohl und Wehe, vor allem die Ernte, an dem Tun des Königs und seiner Verwaltung. Der König »schuf« direkt die Ernte. Das war auch in einigen Teilen des südlichen China, wo die Wasserregulierung alles andere an Wichtigkeit überragte, wenigstens entfernt ähnlich, wenn auch nicht annähernd gleich zwingend. Der direkte Uebergang von dem Hackbau zur Gartenkultur war allerdings dadurch bedingt. Im nördlichen China stand dagegen, trotz der auch hier erheblichen Entwicklung der Bewässerung, die Frage der Naturereignisse, des Regens zumal, für die Ernte weit stärker im Vordergrund. In Vorderasien nun begünstigte die alte zentralisierte, bureaukratische Verwaltung unzweifelhaft die Möglichkeit der Vorstellung des höchsten Gottes als eines Himmelskönigs, der Welt und Menschen aus dem Nichts »geschaffen« hat und nun als überweltlicher ethischer Herrscher von der Kreatur die Leistung ihrer Pflicht und Schuldigkeit verlangt: – eine Gottesidee, die tatsächlich nur hier in dieser Stärke die Oberhand behalten hat. Sogleich ist jedoch hinzuzufügen: daß sie die Oberhand behielt, ist aus jenen ökonomischen Bedingungen allein nicht ableitbar. Auch in Vorderasien selbst ist der himmlische König ja gerade dort zur höchsten, schließlich – allerdings erst bei Deuterojesaja im Exil – zu einer schlechthin überweltlichen Machtstellung emporgestiegen, wo er, in Palästina im Gegensatz zu den Wüstengebieten, nach seiner Gnade Regen und Sonnenschein als Quelle der Fruchtbarkeit sandte[64]. Es spielten also offenbar andere Momente bei dem Gegensatz der Gotteskonzeptionen mit. Diese lagen zum erheblichen Teil nicht auf wirtschafts- sondern auf außen politischem Gebiet. Wir müssen da etwas weiter ausholen.

      Der Gegensatz der vorder- und der ostasiatischen Gottesvorstellungen war keineswegs von jeher in starker Schroffheit vorhanden. Das chinesische Altertum kannte einerseits für jeden Lokalverband einen aus dem Geist des fruchtbaren Erdbodens (sehê) und dem Erntegeist (tsi) zusammengeschmolzenen, bereits als ethisch strafende Gottheit entwickelten bäuerlichen Doppelgott

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<p>48</p>

S. darüber jetzt H. B. Morse, The Guilds of China (London 1909). Ferner aus der älteren Literatur: Macgowan, Chinese Guilds (J. of the N. China Br. of the R. As. Soc. 1888/9) und Hunter, Canton before treaty days 1821-44 (London 1882).

<p>49</p>

Dies galt formell anscheinend besonders von den Hwei-kwan- Gilden der aus anderen Provinzen stammenden (Beamten und) Kaufleute (unseren »Hansen« entsprechend), die zum Schutz gegen die Feindschaft der ortsansässigen Kaufleute (wie gelegentlich in den Praambeln der Statuten angegeben wird) seit jedenfalls dem 14., wahrscheinlich schon dem 8. Jahrhundert entstanden, tatsächlich Eintrittszwang übten (wer Geschäfte machen wollte, mußte bei Lebensgefahr beitreten), Klubhäuser besaßen, Steuern je nach dem Gehalt der Beamten und bei Kaufleuten je nach dem Umsatz erhoben, jede Anrufung der Gerichte gegeneinander straften, für Gräber auf einem besonderen, die Heimatserde ersetzenden, Kirchhof sorgten, die Prozeßkosten in Fällen von Konflikten mit Nichtmitgliedern trugen und gegenüber den örtlichen Autoritäten die Anrufung der Zentralgewalt (und natürlich: die Bereitstellung der erforderlichen douceurs) besorgten (so z.B. im Jahre 1809 gegen lokale Reisausfuhrverbote remonstrierten). Neben fremdbürtigen Beamten und Kaufleuten finden sich auch Zünfte fremdbürtiger Handwerker; Nadelmacher aus Kiangsu und Taitschou in Wentschou, Goldschlägergilde nur von Leuten aus Ningpo, ebenda. Diese Organisationen sind Rudimente der Stammesgewerbeorganisation. In all diesen Fällen war die absolute Gewalt der Gilde durch die kontinuierlich bedrohte Lage der Mitglieder der Hanse in fremdstämmiger Umgebung ebenso gegeben, wie z.B. die straffe, aber immerhin weit weniger rigorose Disziplin etwa der Hansen in London und Nowgorod. Aber auch die ortseingesessenen Gilden und Zünfte (Kung so) übten durch Ausstoßung, Boykott und Lynchjustiz (Totbeißen eines Zunftmitglieds, welches die Vorschriften über die Höchstzahl der Lehrlingshaltung übertreten hatte, kam im 19. Jahrhundert vor!) eine fast absolute Herrschaft über die einzelnen Mitglieder.

<p>50</p>

Z.B. durch die große »Gesamtgilde« von Niutschwang.

<p>51</p>

Ebendort.

<p>52</p>

Besonders bei den Hwei-kwan- Gilden (»Hansen«) verbreitet.

<p>53</p>

Die Opiumgilde in Wutschou bestimmt, wann das Opium zu Markt kommen darf.

<p>54</p>

So die Bankiersgilden in Ningpo, Schanghai und an anderen Orten für die Zinssätze, die Teegilde in Schanghai für Lagerungs- und Versicherungssätze.

<p>55</p>

So die Drogistengilde in Wentschou.

<p>56</p>

Die Bankiersgilden.

<p>57</p>

So – infolge der vorhin erwähnten Reglementierung der Verkaufssaison – die Opiumgilden.

<p>58</p>

Auch aus der eigenen Familie.

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Die Gilde der Goldschläger aus Ningpo in Wentschou verbot jede Aufnahme Ortsgebürtiger in die Zunft und jede Lehre ihrer Kunst an sie. Die Herkunft aus der inter-ethnischen, stammesgewerblichen, Produktionsteilung tritt darin besonders deutlich hervor.

<p>60</p>

Dagegen war sowohl das Unterstützungswesen wie der religiöse Charakter (gemeinsamer Kult) unentwickelter als nach abendländischen Analogien anzunehmen wäre. Wenn die Eintrittsgelder zuweilen an einen Gott (Tempelkasse) gezahlt wurden, so sicherlich (ursprünglich), um sie dem Zugriff der politischen Gewalt zu entziehen. Wenn ein Tempel als Versammlungsraum diente, so regelmäßig nur bei armen Innungen, die sich kein Klubhaus leisten konnten. Die ausgerichteten Schauspiele waren profan (nicht: »mysteria«, wie im Abendland). Die religiösen Fraternitäten (Hwei) entwickelten geringe Intensität religiöser Interessen.

<p>61</p>

So in dem erwähnten Fall in Ningpo, der zahlreiche Parallelen hat.

<p>62</p>

So vor allem die Ko-hong-Gilde in Kanton, deren 13 Firmen bis zum Frieden von Nangking den gesamten Außenverkehr monopolisierten: eine der wenigen auf formeller Privilegierung durch die Regierung beruhenden Gilden.

<p>63</p>

Die Regulierung der Bewässerung war schon in der Zeit der Entwicklung der Schrift ausgebildet (und vielleicht hing die letztere mit der durch jene bedingten Verwaltung zusammen). »Regieren« (tsching) bedeutet: den Stock in der Hand führen, der alte Ausdruck für »Gesetz« (fa) hängt mit dem Ablassen des Wassers zusammen (Plath, China vor 4000 Jahren, München 1869, S. 125).

<p>64</p>

Eben dies hält, wie wir sehen werden, Jahwe den Israeliten vor.