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höhnisches Gelächter meiner Mitschüler. Dreimal wiederholt sich diese Prozedur im Laufe des Schuljahres, aber ich meine, dass ich nicht weiter in die Volksschule gehen möchte, sondern aufs Gymnasium gehöre.

       Fußballweltmeister

      Noch gibt es nur wenige Fernsehapparate, in Deutschland etwa 15.000 Stück. Einer davon steht bei Nölls im Wohnzimmer, und ich bin dort oft zu Gast.

      Heute aber, und das wundert mich, bleiben Herr und Frau Nöll nicht daheim, sondern gehen in eine Gaststätte, um sich dort das Spiel Deutschland gegen Ungarn anzuschauen. Es ist das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft, das aus Bern übertragen wird. Die Ungarn sind haushoher Favorit.

      Georg, mein Freund Wolfgang Klees und ich sitzen derweil in unserer Gartenlaube und hören aus eben jener Gaststätte den Jubel, wenn ein Tor für Deutschland gefallen ist. Es regnet unaufhörlich, nein, jetzt schüttet es sogar. Das Dach ist undicht, wir werden nass. So rennen wir schnell ins Haus ans Radio. Noch steht es unentschieden, und die Zeit ist in wenigen Minuten abgelaufen. Da ruft der Reporter Herbert Zimmermann: „Der Ungar ist am Ball. Er hat den Ball – verloren diesmal, gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt –Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor für Deutschland." Fünf Minuten später ist Deutschland Weltmeister.

      Knapp 50 Jahre später wird es einen sehr bewegenden Film geben, Das Wunder von Bern, und dort wird für mich Fußballlaien auch das Geheimnis des Sieges gelüftet. Herr Adolf Dassler (Adidas) ist der Sportwart der Deutschen Mannschaft. Er hatte einen neuen Fußballschuh mit austauschbaren Stollen entwickelt. Kurze, für trockenes Wetter, lange, für Regen, und diese Schuhe hatte nur die Deutsche Mannschaft. Nicht nur in Waldbröl hatte es geschüttet, auch in Bern, und das war unser Glück.

      Jetzt, neun Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches, hat sich Deutschland zumindest im Fußball wieder internationale Anerkennung erkämpft.

       Werbung von VW

      Georg hat einen Schulkameraden, der ein kleines Ringbuch besitzt. Ein Werbegeschenk von VW. So ein Büchlein hätte ich auch gerne. Also mache ich mich an einem Tag, an dem wir bis fünf Uhr nachmittags Schule hatten, auf den Weg zu VW-Wehner. Zwei flotte Verkäufer sitzen gleich am Eingang, und ich trage mein Anliegen vor. „Ja“, meint der eine etwas höhnisch, „das bekommen nur unsere Kunden. Dein Vater fährt wohl keinen VW, sag ihm er solle sich einen VW kaufen, dann bekommst Du auch so ein Ringbuch.“

      Da bricht es aus mir heraus, laut weinend sage ich: „Aber ich habe doch keinen Vater mehr, der ist doch im Krieg geblieben.“ Nun sind die flotten Jungs doch sehr betroffen, denn das haben sie natürlich nicht gewollt und sind rührend bemüht, die Scharte wieder auszuwetzen. Einer von ihnen bindet mir gar meinen Schuh zu.

       Tante Angelika

      Dass sich mein Vater 1937 in seine Schülerin verliebte und sich mit ihr noch während der Schulzeit verlobte, war die Sensation bis hin zur obersten Schulbehörde in Koblenz schlechthin.

      Natürlich wollte die Frau des Schuldirektors vom ersten Kind Patentante werden, das aber wurde unsere Tante Ruth, weil ihr Mann zuvor gefallenen war. Auch beim Georg wurde es Frau Petry aus einem ähnlichen Grunde nicht. So wurde sie schließlich meine Patentante. Ich habe viel von ihr gehört und zu Weihnachten auch immer einen schönen Pullover von ihr bekommen. Gesehen habe ich sie zehn Jahre lang nicht.

      Nun, im Jahre 1954, haben wir eine Haushilfe aus Bergneustadt, und jetzt in den Herbstferien nimmt sie mich mit zu sich nach Hause. Natürlich kennt sie Herrn Direktor Petry, der seit 1945 im Ruhestand lebt. Zum einen hat sie die gleiche Schule besucht, und zudem ist Bergneustadt eben auch nur eine Kleinstadt, wo jeder jeden kennt.

      Heute machen wir unseren ersten Besuch dort, und Tante Angelika lädt mich für den übernächsten Tag zu sich ein. Zu ihrem Mann darf ich Onkel Walter sagen. Mit ihm unterhalte ich mich, während Tante Angelika noch in der Küche schafft. Dann ist der Kaffeetisch gedeckt, und es gibt Pflaumenkuchen mit einer dicken Portion Sahne oben drauf. Mein Gott, schmeckt der gut, besser als jede Buttercremetorte. Pflaumenkuchen mit Sahne wird von nun an mein Lieblingskuchen sein. Wichtig ist dabei aber, dass der Boden aus Hefeteig, und nur aus Hefeteig besteht.

       Opas Tod

      Wieder bin ich in Steimelhagen zu Besuch. Die Eltern meiner Patentante Käthe wohnen dort. Sie betreiben ja eine kleine Landwirtschaft. Morgens fährt Onkel Paul-Walter nach Patmos, um seinen Vater, meinen Opa, abzuholen, der ist schwer krank. Auf der Rückfahrt kommen sie an Steimelhagen vorbei und ich steige zu. Es ist sehr eng, und ich muss mich auf die Rückbank quetschen. Opa kommt sofort ins Krankenhaus, in dem er nach einigen Monaten am 3. Dezember 1954 verstirbt. Er ist 65 Jahre alt geworden. Wenn ich diese Zeilen schreibe werde ich schon älter sein.

      Nun liegt er also in Mutters Arbeitszimmer aufgebahrt, und wir nehmen von ihm Abschied. Leider darf ich nicht alleine ins Zimmer gehen; ich hätte doch so gerne mit meinen Händen eine Schwimmbewegung über seinem Fußende gemacht, in der Hoffnung, er würde wieder auferstehen, und wenn es nicht geholfen hätte, so hätte es doch auch nichts geschadet. Das kann ich nun nicht, ständig ist ein Erwachsener zugegen. Die Beerdigung war gigantisch. Ich schätze, einen so großen Trauerzug hatte Waldbröl noch nie zuvor gesehen.

       Dem Tod ins Auge sehen

      Mit Georg und Kurt-Walter gehe ich zur Baustelle der neuen Hollenbergschule. Kurt-Walter hat seinen Roller mit. Es ist Sonntag und die Arbeit ruht. Ein Steg führt auf eine Holzwand hin. Es ist die Schalung der Kelleraußenwand, in die demnächst Beton gegossen werden soll. Der Steg überspannt in ca. 2 Meter Höhe den Teil der Baugrube, außerhalb des Gebäudes, der später wieder verfüllt wird. Auf diesem Steg gehe ich an die Schalung heran, und schaue in einen tiefen Keller. Plötzlich sehe ich unter mir auf der Erde ein rot / weißes Vermessungsstäbchen, das ich haben möchte. Das Problem dabei ist aber, dass Kurt-Walter hinter mir steht und sofort in die Grube springen wird, wenn ich meinen Wunsch äußere. Da trifft es sich gut, dass die Schalwand durch Längs- und Querhölzer, stabilisiert wird. Es sind Kanthölzer, 10 mal 10 cm stark, die etwa zwei Meter lang sind. Diese Längshölzer sollen mir nun als Leiter dienen, auf der ich bequem nach unten klettern kann. Gesagt, getan. Unglücklicherweise ist der oberste Balken noch nicht befestigt, (verrödelt), und so stürze ich mit ihm in die Tiefe. Da liege ich nun in Todesangst, dass der Balken mir gleich meinen Schädel spalten wird. Der aber liegt einen Meter neben mir, ich habe nur eine Platzwunde an der Stirn, und die muss genäht werden. So komme ich wieder ins Krankenhaus und werde genäht und mit einigen Tagen Schulfrei belohnt.

       Das goldene Bad

      Das Krankenhaus in Waldbröl ist ein Relikt aus dem Dritten Reich. Die Organisation „Kraft durch Freude, KdF“, organisierte u.a. Reisen, und den KdF Wagen, den späteren VW Käfer als Leistungsmotivation für die Volksgenossen. Ihr Chef war Robert Ley, und der kam aus Waldbröl. Ebenso, wie Wolfsburg als Autostadt entstand, sollte Waldbröl Traktorenstadt werden und einen so gewaltigen Aufschwung nehmen, dass es mit dem 60 Km entfernten Köln durch eine U-Bahn verbunden werden sollte. Es ist also nicht verwunderlich, dass auch in Waldbröl ein KdF-Hotel gebaut wurde, das nun als Krankenhaus dient.

      Die Ausstattung des Hauses ist edel. Im Erdgeschoss gibt es an den Wänden viel Marmor, Mosaike, und Gobelins. Jahrelang erzählte man sich in Waldbröl, dass es in diesem Hotel auch ein Bad mit goldenen Wänden (ein goldenes Bad) gegeben hätte, für den Fall, dass der "Führer" dort einmal einkehren würde.

      Dieses Bad, ein fensterloser Raum, liegt neben dem Operationssaal. Nachdem meine Wunde genäht ist, schauen Mutter und ich hinein, und sind maßlos enttäuscht. Er ist weiß gefliest, mit einer drei Zentimeter breiten umlaufenden Bordüre aus goldenen Mosaiksteinen in ca. zwei Metern Höhe. Das ist alles.

       Georgs Zimmer

      Gisela aus Bergneustadt war die letzte Ganztagshaushilfe. Nachdem sie uns verlassen hat, ziehen wir Jungens in das „Mädchenzimmer“. Warum

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