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dabei. Den jüdischen Offizieren wird misstraut, obwohl dies ausdrücklich nicht geschehen soll, aber es geschieht. Colonel Dubois kennt den Brief, weiß, womit dieser Leverne Victor damals erpresst hat. Der Colonel deutet an, dass es in Zukunft nicht günstig ist, wenn jemand davon erfährt, ob es nun die Wahrheit ist oder nicht. Ich wollte eigentlich gar nicht mehr an diesen Leverne denken. Ich habe Victor gefragt, was dies alles für uns bedeuten kann, aber Victor wusste keine Antwort. Er hat mich beruhigt, es wird ganz sicher keinen Einfluss auf unsere Zukunft haben, noch sind wir auf Tahiti, und wenn es in ein paar Jahren so weit ist, dass sich Victor um einen Posten in Paris bewirbt, dann wird Dreyfus schon längst vergessen sein und wenn nicht, wird es auch nichts ausmachen.

      Papeete, 1. November 1896

      Pünktlich zu meinem Ehrentag erreicht mich der Brief von den Eltern. Es ist bestimmt Zufall, denn nichts ist hier unzuverlässiger als die Post. Von Mutter erfahre ich diesmal auch etwas über das königliche Leben in England. Die von Mutter hochverehrte Queen Victoria ist mit Datum des 22. September die am längsten regierende Monarchin Englands. Bislang hatte ihr Großvater Georg III. diesen Titel inne und wurde jetzt von der Enkelin übertroffen. Im nächsten Jahr feiert die Queen sogar schon ihr sechzigstes Thronjubiläum. Mutter wünscht ihr, dass sie es auch erleben möge. Mutter bedauert es immer noch, dass sie die Queen vor zwei Jahren nicht bei der Einweihung des Manchester-Kanals zu Gesicht bekommen hat. Ich denke oft, Mutter wünschte sich auch den Glanz des Kaiserreichs zurück. Ich für meinen Teil bin auf die Republik Frankreich stolz.

      Papeete, 7. November 1896

      Colonel Dubois Bericht über die Stimmung in Frankreich wird durch das Petit Journal bestätigt. Wir haben die Ausgabe vom 27. September jetzt auch vorliegen. Es zeigt den Gefangenen auf der Teufelsinsel, vor seiner Hütte, unter Bewachung eines Gendarmen oder Aufsehers, der die Uniformierung trägt, die ich auch von den Truppen hier kenne. Es scheint die Geschichte eines ganz normalen Gefangenen zu sein, aber genau das ist es nicht. Alfred Dreyfus ist kein normaler Gefangener, er hat sein Vaterland verraten und er ist Jude. Ich will nicht weiter darüber nachdenken. Ich habe Victor nie von meinem Wunsch erzählt, Lucie Dreyfus zu schreiben und ich habe dieses Vorhaben auch schon längst verworfen. Was die ganze Angelegenheit betrifft, haben Victor und ich uns nur sehr wenig ausgetauscht. Wir haben beide das Journal gelesen und ich habe es auch schon fast wieder fortgeschmissen, fast, ich habe es dann doch in eine der Kisten gelegt. Wir haben nicht einmal über den Ball vor zwei Jahren gesprochen, auf dem wir Madame und Monsieur Dreyfus getroffen haben.

      Papeete, 10. November 1896

      Der alte Stoffball ist jetzt vom Haus- zum Gartenspielzeug geworden. Victor ist der Übeltäter. Ich war mit den Mädchen in der Laube, als er mit dem Ball kam und er hat den beiden gezeigt, wie sie dagegen treten können. Ich musste an Vaters Fußballclub in Liverpool denken und daran, dass es wohl bald zwei neue Mitglieder geben wird. Thérèse und Julie sind wie wild hinter dem Stoffball hergelaufen und haben ihn mehr recht als schlecht vor sich hergetreten. Fanaa muss den Stoffball wohl irgendwann einmal waschen. Die beiden Mädchen sind jetzt jedenfalls ganz kaputt, sodass es mit dem Schlafengehen heute vielleicht einfacher wird.

      Papeete, 15. November 1896

      Der Monat geizt nicht mit Post. Das Schiff aus Samoa trägt einen Brief von Aliette zu mir. Die schöne Nachricht, Aliette erwartet ein Kind, sie ist im dritten Monat, sodass die Geburt in den Mai des nächsten Jahres fallen dürfte. Aliette kündigt schon jetzt an, tausend Fragen zu haben, wenn das Kind erst einmal auf der Welt ist. Ich denke es wird alles gut gehen, aber ich bin auch froh, dass ich meine beiden Mädchen noch in Frankreich zur Welt gebracht habe. Auf Tahiti werden auch Kinder geboren, sogar jede Menge, und Victor und mir könnte es ja passieren, dass wir auch noch ein Kind bekommen, das ich dann hier zur Welt bringen müsste. So richtig vorstellen könnte ich es mir allerdings nicht. Aliette möchte gerne, dass wir sie besuchen. Eine schöne Idee, zunächst werde ich ihr aber zurückschreiben.

      Papeete, 23. November 1896

      Heute wurde mir ein Buch geschenkt. Der Titel lautet »Rarahu«. Es ist die Geschichte eines Tahitianischen Mädchens und das Buch soll selbst in Frankreich sehr bekannt sein. Ich kenne die Geschichte noch nicht, habe aber schon von Monsieur Pierre Loti gehört, der unter seinem richtigen Namen, nämlich Julien Viaud, ein früher Vorgänger von Victor war, ich meine damit, dass Monsieur Viaud ebenfalls als Militär hier auf der Insel stationiert war. Ich soll sein Buch lesen, damit ich noch mehr von dem Geist erfahre, der hier auf der Insel herrscht.

      Papeete, 10. Dezember 1896

      Die Weihnachtsgrüße von Aliette sind ein paar Tage zu früh eingetroffen, aber wir haben ja zumindest schon die Weihnachtszeit, auch wenn hier in den Tropen keine rechte Stimmung aufkommen will. Aliette sieht es genauso. Ich habe mit Victor über eine Reise nach Tutuila gesprochen, es sind doch mehr als zweitausend Kilometer über See, mit dem Dampfschiff eine Reise von mehr als einer Woche. Die Jérôme würde sogar noch länger brauchen. Mit dem Dampfschiff eine Woche hin, eine Woche zurück und eine Woche bei Aliette auf Tutuila und dann fährt das Schiff nicht regelmäßig, sodass diese Reise gut vier Wochen dauert. Ich habe auf der Karte nachgesehen, es gibt auch keinen Ort zwischen Tutuila und Tahiti, auf dem wir uns treffen könnten. Dieser Gedanke ist aber Unsinn, denn ich will ja sehen, wie Aliette lebt.

      Papeete, 14. Dezember 1896

      Ich habe schon begonnen, das Buch »Rarahu« zu lesen. Von Pierre Loti wird ganz zu Beginn behauptet, dass er Engländer sei. Julien Viaud nennt sich dort Pierre Loti und ist in seinem Roman ein geborener Harry Grant, recht verwirrend. Die Beschreibung von Rarahu ist sehr zutreffend für die jungen Mädchen hier auf Tahiti, die Tätowierungen, das wunderschöne schwarze Haar und die ebenmäßigen Gesichtszüge. Dann scheint Monsieur Viauds Bericht auch sonst sehr authentisch zu sein, denn er schreibt von einer Königin Pomaré, die es tatsächlich hier auf Tahiti gegeben hat und die erst vor wenigen Jahren gestorben ist.

      Papeete, 28. Dezember 1896

      Kurz nach Weihnachten ist auch noch ein Brief von der lieben Jeanette eingetroffen. Ihr Schwiegervater will sich aus dem Beruf zurückziehen, sodass ihr Mann die Verantwortung für die Bäckerei erhält. Es soll jetzt auch noch ein zweites Geschäft eröffnet werden. Es sind Neuerungen, die Jeanettes Mann bisher nicht durchsetzen konnte. Dann gab es noch eine viel schönere Nachricht. Jeanette ist wieder schwanger, das Kind soll im Juni zur Welt kommen. Ich freue mich für sie.

      1897

      Papeete, 14. Januar 1897

      Im letzten Jahr musste Victor schon einmal auf die Marquesas. Eine solche Reise steht in den nächsten Monaten erneut an, diesmal wohl für länger. Es wurde noch kein Termin genannt. Wir haben ernsthaft darüber gesprochen, dass die Kinder und ich mitfahren. Für zwei oder drei Wochen würde es nicht lohnen, aber für zwei oder drei Monate käme es schon in Betracht. Wir werden sehen.

      Papeete, 20. Januar 1897

      Die Inseln der Marquesas sind in meinen Blick geraten, in meinen geografischen Blick. Im Hafen habe ich mitbekommen, wie ein Frachter von der Insel Nuku Hiva entladen wurde. Seine Fracht bestand aus Kopra und getrockneten Seegurken, hier besser bekannt als Trepang. Das Kopra ist mir als wichtiges Handelsgut ja schon vertraut. Auf den Inseln der Marquesas soll es die beste Qualität haben. Diese Waren kommen nicht nur von Nuku Hiva, sondern auch von anderen Inseln. Ich habe mir das Seegebiet von dem Frachterkapitän zeigen lassen. Ich habe vierzehn Inselchen gezählt. Zu den größeren gehören noch Tauhata, Fatu Hiva, Oa Pou und Ua Huka. Dann habe ich noch gelernt, dass es eigentlich ganz gut ist, wenn Victor allein auf die Marquesas reist, denn die Inseln werden von den Einheimischen »Te Henua Kenana« genannt, »Inseln der Männer«. Ich hoffe, ich habe es richtig wiedergegeben. Es war natürlich ein Scherz des Kapitäns und wir Frauen

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