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von Hendriks Mutter, sie scheint über irgendetwas sehr aufgebracht zu sein, sie schreit und weint, untröstlich, dann fällt die Tür mit einem lauten Krachen wieder ins Schloss. Am nächsten Morgen eröffnet mir mein Vater am Frühstückstisch, dass ich künftig nicht mehr zu Hendrik gehen dürfe, und obwohl ich bettele und flehe, den Grund dafür wissen will, bleibt er hart, und ich blicke zu meiner Mutter, die ihre Lippen zusammen presst, mir ausweicht, aus ihren Augen ist das Leuchten erst einmal verschwunden, sie wirken nun wie kleine, dunkle Steine.

       Beim nächsten Mal ist meine Mutter vorsichtiger. Eines Tages komme ich von der Schule nach Hause und merke schon an der Türschwelle, dass etwas anders ist, dass der Kokon sich wieder über mich stülpen will. Unser Nachbar von gegenüber steht in unserem Wohnzimmer, ich kenne ihn nur flüchtig vom Sehen, weil er Pilot und selten zu Hause ist. Ich mag ihn nicht, denn er ist viel älter als meine Eltern, und seine Haare sind grau und so kurz, dass sie kaum mehr sichtbar sind. Ich stehe stocksteif vor ihm und bekomme keine Luft mehr, während meine Mutter flötet, Herr Vogler hat dir etwas mitgebracht, Schätzchen, und im nächsten Moment hält er mir auch schon eine Papiertüte entgegen, doch ich kann sie nicht nehmen, meine Arme hängen wie Stöcke an mir herunter. Mach sie doch mal auf, säuselt meine Mutter, nun nimm doch mal die Tüte, und da merke ich plötzlich, wie ich den Kokon aufbrechen kann, ich muss mich innen nur ganz kalt machen, so wie ich das immer mache, wenn wir zum Zahnarzt gehen, dann tue ich immer so, als spüre ich gar nichts mehr, als sei ich für die Dauer des Besuches einfach gar nicht vorhanden. Das klappt auch in diesem Moment, ich kann plötzlich wieder meine Hände bewegen, die Tüte nehmen und sie öffnen, darin ist ein Namensschild mit meinem Namen drauf, daneben ist eine Micky Maus abgebildet, war gar nicht schwer, das in Amerika zu finden, brummt Herr Vogler, schließlich ist dein Name sehr amerikanisch. Das willst du doch bestimmt gleich an deine Tür kleben, flüstert meine Mutter, und ich nicke nur und gehe nach oben, doch die beiden folgen mir, stehen mit mir vor meiner Zimmertür und warten, hier wäre es doch schön, Schätzchen, oder, meine Mutter deutet auf einen freien Platz auf meiner mit Aufklebern gespickten Tür, und ich löse folgsam den Klebestreifen auf der Rückseite des Schildes und klebe es auf die genannte Stelle. Dort wird es so lange hängen, wie wir in diesem Haus wohnen, als ewiges Zeichen meiner Niederlage, ein dreifaches Hoch auf den amerikanischen Klebstoff, dennoch fragte mein Vater mich nie, woher ich dieses Schild habe.

       Im Rückblick scheint es, als sei dieses Mitbringsel aus Übersee schon eine Art Vorbote gewesen für das, was danach kam, Amerika erwies sich in vielerlei Hinsicht als hartnäckig, als sehr hartnäckig. Als Herr Vogler irgendwann eine seiner Stewardessen heiratete, war die Affäre mit meiner Mutter beendet. Ich weiß noch, wie ich einmal mit ihr zum Einkaufen ging und unser Nachbar mit seiner frisch angetrauten Ehefrau gegenüber sein Haus verließ, wäre meine Mutter ein Pfeil gewesen, sie wären beide auf der Stelle tot gewesen. Vielleicht hatte sie tatsächlich ernsthafte Hoffnungen gehegt, dass dieser alternde Flugkapitän sie aus unserer Einfamilienhaussiedlung entführt, indem er einfach seine Maschine in der Mitte unserer Straße landet, die Gangway herunter lässt und sie galant ins Cockpit geleitet, und dann fliegen die beiden überglücklich ans andere Ende der Welt. Ihr Pech war nur, dass er nichts anderes zu wollen schien als unser Dorfleben.

       Doch es findet sich schnell ein neues Opfer. Auf dem Geburtstag meines Opas lernt meine Mutter einen entfernten Cousin meines Vaters kennen, er heißt Steffen, nennt sich aber Steven, hat schütteres, braunes Haar und einen sorgfältig gestutzten Bart und ist Holzhändler irgendwo im tiefsten Mittelamerika. Wie reich man damit werden kann, scheint meine Mutter erst zu begreifen, als sie seinen knallroten Porsche vor der Tür stehen sieht. Steven lädt meine Eltern und mich zu einer Probefahrt ein, und so kurven wir vier durch die Gegend, eingepfercht in dem viel zu kleinen und viel zu schnellen Wagen, meine Mutter lacht wieder zu laut und öffnet das Fenster, so dass ihr die Haare ins Gesicht wehen, während die Männer auf den Vordersitzen über die Einzelheiten des Motors fachsimpeln und Steven erzählt, dass er in Amerika noch einen Porsche habe und diesen hier nur nutze, wenn er mal wieder in Deutschland sei. Mir ist es zu eng in dem Auto, und ich merke, wie mir leicht übel wird, ich bin froh, als wir wieder vor dem Haus meiner Großeltern halten.

       Wenige Wochen später steht der rote Porsche vor unserem Haus. Und wieder. Und wieder. Ich begreife bis heute nicht, warum mein Vater nichts davon mitbekommen hat, sicherlich haben die Nachbarn getuschelt, Porsche waren in unserer Gegend trotz allem etwas extrem Seltenes, die Leute mit solchen Autos wohnten woanders, bei uns fuhr man VW oder BMW, aber ich verstehe so vieles nicht, und ich kann meinen Vater heute nicht mehr fragen.

       Manchmal machen meine Mutter, Steven und ich Ausflüge mit dem Porsche, wir fahren dann zum Baggersee in der Nähe und laufen dort ein bisschen herum. Einmal machen wir ein Picknick, als meine Mutter plötzlich anfängt, Steven mit Gummibärchen zu bewerfen, den kleinen roten, er macht sich einen Spaß daraus zu versuchen, sie mit dem Mund aufzufangen, und so sitzen sie nebeneinander auf der Wolldecke, völlig versunken in ihr Spiel. Ich stehe auf und will zum See herunter gehen, doch meine Mutter ruft mich zurück, versuch es doch auch mal, Schätzchen, fordert sie mich auf, ich stehe vor ihnen und greife schließlich nach der Tüte mit den Gummibärchen, mache mich innerlich ganz kalt und werfe, während meine Mutter lacht und Fotos von uns macht und Steven mich anspornt, lauthals. Dann treffe ich. Direkt in seinen weit aufgerissenen Mund.

       Bald kommen immer öfter Pakete bei uns an, Pakete mit unzähligen Luftpost-Aufklebern und mir unverständlichen Aufschriften. Meine Mutter wartet mit dem Öffnen, bis ich nach Hause gekommen bin, dann fischt sie Süßigkeiten und kleine Geschenke für mich heraus und für sich Fotos von Stevens Haus in Amerika und Kassetten, unzählige schwarz glänzende, von ihm selbst besprochene Kassetten, die wir uns dann zusammen anhören, ich verstehe zwar viele Dinge nicht, die Steven darauf meiner Mutter erzählt, aber höre trotzdem weiter zu. Auf einer Kassette beschreibt er minutiös das Innere seines Hauses, die Details jedes Zimmers, in seinem Haus scheint es unzählige Räume zu geben, mehrere Schlaf- und Badezimmer, und von einigen kann man direkt auf einen See blicken, der an sein Grundstück grenzt. Es gibt sogar einen Kamin in seinem Haus, und er malt sich aus, wie es sein würde, dort mit meiner Mutter zu sitzen. Vor dem Kamin. Auf einem Bärenfell. Im Nachhinein ist es absurd, wie klischeereich das Ganze war, aber damals lausche ich gebannt, als höre ich eine von meinen Hörspielkassetten und müsse unbedingt erfahren, wie die Geschichte ausgeht. Danach beschwört mich meine Mutter jedes Mal, nur ja nichts davon meinem Vater zu erzählen, aber das müsste sie inzwischen nicht mehr sagen, ich weiß intuitiv, dass er von diesen Kassetten besser nichts wissen sollte.

       Bald kommt es auch zu Telefonaten, langen Gesprächen zu seltsamen Zeiten. Das mit der Zeitverschiebung verstehe ich damals noch nicht richtig, ich wundere mich nur, warum Steven immer so spät anruft, manchmal ist mein Vater währenddessen oben im Arbeitszimmer, und meine Mutter flüstert deshalb in den Hörer. Irgendwann werden die Anrufe häufiger, drängender, meine Mutter lächelt nun nicht mehr, wenn sie mit Steven spricht, sondern redet beschwörend auf ihn ein und schickt mich aus dem Zimmer, ich versuche, an der Tür zu lauschen, aber verstehe nicht genug, um mir einen Reim darauf machen zu können.

       Eines Abends sitzt sie weinend im Wohnzimmer. Steven will mich heiraten, schluchzt sie, ich soll mit ihm in dem Haus am See wohnen, mit dem Kamin, und er will, dass du mitkommst, dort die Schule besuchst, aber das kann ich doch nicht tun, ich kann dich doch nicht einfach deinem Vater entreißen und nach Amerika mitschleppen, ich weiß nicht, was ich tun soll, ich liebe ihn doch, aber er setzt mich so unter Druck, er will bald eine Antwort von mir, was soll ich denn um Gottes Willen nur machen. Ich starre meine Mutter an, in mir ist plötzlich ein riesiger Eisklumpen, der wächst und wächst, ich will nicht nach Amerika, aber ich will auch nicht, dass meine Mutter weint, trotz allem, an meinen Vater denke ich in diesem Moment nicht. Schließlich stottere ich, dann mach das doch, wenn du das willst. Nein, das kann ich nicht, erwidert meine Mutter, ihre Wimperntusche ist verlaufen und malt schwarze, schmierige Streifen in ihr sonst so gepflegtes Gesicht, ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn das schief geht, und ich habe dich mitgeschleppt. Da fange ich auch an zu heulen, und so sitzen wir beide dort auf dem Sofa und wissen nicht, was wir tun sollen.

       Irgendwann kommen keine Anrufe mehr. Und keine Pakete. Doch manchmal finde ich meine Mutter im Wohnzimmer, wie sie die alten Kassetten hört und weint, in solchen Momenten fühle ich mich ganz schlecht und wünsche mich weit weg. Dorthin, wo es kein Amerika

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